Erlebte Geschichte: „Nostalgie wäre mir sehr unlieb“

Der Schauspieler Michael Weber zog es immer wieder nach St. Pauli. Nun schrieb er einen wundervollen Roman über die dortigen 1980er-Jahre.

Etwas anderes als Pinneberg: die Simon-von-Utrecht-Straße, Hamburg-St. Pauli, 1987. Bild: Henning Scholz

HAMBURG taz | Michael Weber geht heute Abend noch fechten. Also macht er ein paar trippelnde Ausfallschritte, stößt mit einem imaginären Degen vor und zurück, steckt ihn ihn wieder weg und schließt sein jahrzehntealtes Herrenfahrrad ab. Er wird demnächst in „König Artus“ auftreten, einem Kinderstück des Deutschen Schauspielhauses, zu dessen Ensemble er wieder gehört.

Wieder – denn Michael Weber, Jahrgang 1958, der in Hamburg Schauspiel studierte, ist immer wieder dorthin zurückgekehrt, sei es nach Engagements am Wiener Burgtheater, am Bochumer Theater oder am Schauspiel Köln unter Karin Baier. Seit dieser Spielzeit also ist er wieder am Schauspielhaus, arbeitet aber auch weiterhin an eigenen Projekten. Zu denen zählt nun sein erster Roman, „Martha“: ein Dokumentarroman, hier und dort durchaus ausgesponnen, aber eben doch vor allem an Erlebtem gefestigt und gestärkt – der Zeit, als der junge Michael Weber nach St. Pauli kam, Anfang der 80er. Wo Martha schon viel länger wohnte.

Weber aber kommt aus Pinneberg, und wenn einer in Pinneberg aufwächst, dann bleibt er entweder sein Leben lang dort. Oder er macht etwas ganz anderes. Für Weber ist es bis heute das Theater, und es ist St. Pauli – und wenn schon St. Pauli, dann muss es mittendrin sein, in der Davidstraße. Wo eben damals auch Martha Ihde wohnte, ein paar Stockwerke über Webers Wohngemeinschaft, mit ihrem Mann Ernst und ihrem Pudel Tarzan und einem Affen, der wegmusste, als er Durchfall bekam – aber da sind wir jetzt schon mitten im Stoff.

„Ich hatte nie Ambitionen zu schreiben“, erzählt Weber. Aber Theater und Literatur, das liegt dann doch nahe beieinander. Was er spätestens merkte, als er, als junger Schauspieler, Lesungen abhielt, mit Texten von Hubert Fichte etwa, in der Buchhandlung „Männerschwarm“, die damals noch am Pferdemarkt liegt, am Rand von St. Pauli. Und dann gibt es diesen Stoff, weil es eine Heldin gibt: Martha. Nachbarin und wohl auch Freundin, so unterschiedlich die Welten auch waren, in der beide lebten: Weber mit wechselnden Freundinnen in einer anfangs fast leeren Wohnung, wo die Matratzen auf dem Boden lagen. Martha in ihrer Wohnung mit Schrankwand, groß wie ein Containerschiff, und rustikalem Ehebett und jeder Menge bestickten Kissen (und dem Affen, der wegmusste, nicht zu vergessen).

Man kam gut miteinander aus, man feierte zusammen, so unterschiedlich auch die Musik gewesen sein mag. Was verband: das Leben auf St. Pauli. Das Gewerbe nebenan. Die Davidstraße, eine ganz schlechte Adresse: „Ein Versandhandel, ich weiß nicht mehr, ob Neckermann oder Quelle, haben da nicht ausgeliefert“, sagt Weber. „Das muss man sich mal vorstellen!“

Idealisieren will er all das weiß Gott nicht, aber man habe sich, sagt er, eben in Ruhe gelassen, in der jeweiligen Art zu leben. „Jetzt zu sagen, St. Pauli war dörflich, ist natürlich Quatsch. Aber man hat sich gegenseitig geholfen und sei es, dass man sich gegenseitig bei den Kohlen ausgeholfen hat.“ Das alles ist doch ein Stoff, aus dem man etwas machen kann! Vielleicht sogar muss.

Und dann kam Weber in Kopenhagen ans Theater, das den Untertitel „königliches“ trägt. „Ich habe einen Uraltfreund aus meiner Zeit des Zivildienstes, den wir in Flensburg gemacht haben. Er ist dann weiter nach Dänemark gegangen, hat dort Regie studiert, ist ein angesehener dänischer Regisseur geworden, und er hat immer wieder davon gesprochen, dass ich mal bei ihm spielen muss.“

In der Spielzeit 2006/2007 war es so weit: ein Stück, bei dem Weber auf der Bühne Musik machen konnte und wo er textlich nur so viel gefordert war, dass es reichte, Dänisch rein phonetisch zu sprechen. „Ich war dann ein paar Monate in Kopenhagen“, erzählt Weber, „am Wochenende bin ich nach Hamburg zu meiner Familie gefahren, aber ich hatte zwischendurch relativ viel Zeit und ich wollte diese Zeit nutzen.“

Und zum anderen eben seine Erlebnisse auf St. Pauli, in den 80ern, mit Martha: „Ich habe mich immer wieder gefragt: Warum machst du nichts draus?“ Ein Freund schließlich „hat gesagt: ’Mach’ es. Fang einfach an – wenn es nichts taugt, wirst du das schon merken.‘“

In Kopenhagen entstand so etwas wie der Grundstock zum Roman: „Ich hatte eine Art Recherche gemacht, eher eine Sammlung von Erinnerungen; dann habe ich angefangen zu schreiben und es kam immer mehr dazu“, erzählt Weber. „Ich habe mich gefragt, ob das genug Material ist … oder sind das nur Anekdoten?“ Ist es am Ende vielleicht nur ein nostalgischer Blick zurück? „Nostalgie“, sagt Weber und klingt sehr bestimmt dabei, „wäre mir sehr unlieb.“

Doch was er geschrieben, überarbeitet und gestrafft hat, überzeugt ihn immer noch, als er gut ein Jahr später wieder drauf schaute: „Man kennt das ja, man schreibt etwas, findet das ganz toll und dann nach einer Zeit, wenn der Text ein wenig lag und Abstand ist, denkt man: ’O Gott!‘. Hier aber dachte ich: Ich würde das auch ganz gerne lesen.“

„Martha“erzählt nicht nur von Martha Ihden, ihrem Mann, Hund (und Affen). Es erzählt, so nebenbei wie galant, auch von einem jungen Mann namens Michael Weber, der als werdender Schauspieler seinen Weg finden muss, während Martha sich die Treppen hochquält, am Ende doch arg vom Raucherhusten geschüttelt und immer wieder mal leicht, mal auch schwerer angetüdelt. Auch von Ernsts Tod, seiner bewegend-tristen Beerdigung erzählt dieser Roman – und am Ende von Marthas eigenem Sterben, drüben auf der anderen Elbseite, im Krankenhaus Harburg, ausgerechnet.

Wird auf „Martha“ mehr in Buchform folgen? Michael Weber ist da ganz entspannt. Eine nächste Idee aber gibt es schon, die nebenher noch einmal von seiner Leidenschaft für das Dokumentarische erzählt, so wie er auch Jahre lang Mitglied der Geschichtswerkstatt St. Pauli geblieben ist, auch wenn es ihn beruflich weit weg zog: „Ich habe einen Bruder“, sagt er, „der hat 1977 eine Weltumsegelung gemacht und das damals gefilmt – mit Super-8, also stumm und alles geht ganz langsam. Die Bilder sind heute verblasst, aber wenn man da eine Tonspur drüberlegt …“

Das könnte was werden, wenn er mal wieder Zeit findet. Und wenn er jetzt einen Rat geben soll, dann diesen: Leute, wenn euch etwas beschäftigt, wenn etwas, das ihr erlebt habt, herausdrängt – dann macht! „Man braucht ja nur einen Stift und ein wenig Zeit“, sagt Michael Weber, „und dann sieht man schon ...“

Michael Weber: „Martha“, Laika Verlag, 222 S., 18 Euro
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