Erinnerung an Hatun Surücü: "Der Fall hat uns aufgerüttelt"

Heute jährt sich zum siebten Mal der Mord an der Berlinerin Hatun Sürücü. Seitdem hat sich viel bewegt, sagt die Linken-Politikerin Evrim Sommer

Die drei Brüder von Hatun Sürürü (hier eine Zeichnung aus dem Prozess) waren angeklagt, ihrer Schwester umgebracht zu haben. Verurteilt wurde deswegen lediglich der jüngste. Bild: reuters

taz: Frau Sommer, heute findet eine Mahnwache zum Gedenken an die vor sieben Jahre einem sogenannten Ehrenmord zum Opfer gefallene Berlinerin Hatun Sürücü statt. Sie werden auch daran teilnehmen. Warum beschäftigt uns gerade dieser Fall so lange und nachhaltig?

Evrim Sommer: Er war der Auslöser für eine Debatte über Themen, über die vorher nicht gesprochen wurde. Dass auch hier in Deutschland MigrantInnen nach archaischen Regeln und tradierten Rollenvorstellungen leben, wurde lange ignoriert. Es leben ja auch nicht alle so. Aber es gab und gibt solche Familien. Da wurde lange nicht genau hingesehen, es wurde mit Tradition, Kultur, Religion erklärt nach dem Motto: Sollen die doch so leben, wie sie wollen. Das hat der Fall Hatun Sürücü aufgebrochen, er hat die deutsche Gesellschaft aufgerüttelt.

Sind auch die Familien aufgerüttelt worden, die nach solchen Traditionen leben?

Das bezweifle ich. Ich komme selber aus der kurdischen Community, und ich kriege immer wieder mit, dass ein kleiner Teil davon noch nach diesen archaischen Vorstellungen lebt. Ich sehe das auch bei meinen Besuchen in ländlichen Gebieten der Türkei. Da gibt es sicher mehr solche Fälle als hier. Aber auch hier passiert es noch. Wir können nicht sagen, es ist vorbei.

Trotzdem hat man den Eindruck, dass weniger hysterisch als vor sieben Jahren mit dem Thema umgegangen wird. Hat sich die Zahl der Taten verändert oder der Umgang der Öffentlichkeit mit dem Thema?

Am 7. Februar 2005 wurde die damals 23-jährige Hatun Sürücü vor ihrer Haustür durch mehrere Schüsse in den Kopf getötet. In ihrer Wohnung schlief währenddessen ihr damals fünf Jahre alter Sohn Can. Angeklagt für den Mord wurden drei Brüder der Getöteten, verurteilt wurde der jüngste zu neun Jahren und drei Monaten Haft. Die älteren Brüder wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen und leben in der Türkei.

Verantwortlich für den Mord soll aber die ganze Familie Hatun Sürücüs gewesen sein. Die aus dem kurdischen Teil der Türkei stammenden Einwanderer hätten mit dem Mord die Ehre der Familie wiederherstellen wollen, die durch den "deutschen Lebensstil" der Geschiedenen und Alleinlebenden beschädigt worden sei, so die offizielle Lesart des deshalb so genannten Ehrenmordes.

Der Mord an der jungen Berlinerin löste eine deutschlandweite Debatte über Integration und Emanzipation von Einwanderern aus. Die tatsächliche Zahl von "Ehrenmorden" unter MigrantInnen in Deutschland ist dabei ebenso unklar wie ihre Definition.

In Berlin gedenken PolitikerInnen und AktivistInnen heute um 9.30 Uhr der Ermordeten mit einer Kranzniederlegung am Ort ihres Todes am Oberlandgarten 1 in Tempelhof. Die Grünen-Fraktion zeigt um 18 Uhr im Abgeordnetenhaus den Film "Drei Frauen. Drei Generationen. Leben mit und ohne Kopftuch" von Maria Müller.

(awi)

Ich glaube, dass sich vor allem der öffentliche Umgang mit dem Thema verändert hat. Die negative Folge der Debatte, die der Mord an Hatun Sürücü ausgelöst hatte, war ja, dass unglaublich pauschalisiert wurde: Plötzlich waren alle türkischstämmigen Migrantinnen zwangsverheiratet und Opfer von Gewalt. Und das stimmt ja nicht: Gewalt gegen Frauen zieht sich durch alle gesellschaftlichen Kreise. Und sie geht auch nicht zurück, wie uns Zahlen und Studien zeigen. Aber es wird heute nicht mehr so einseitig hingeguckt und berichtet, nicht mehr so abgewertet und pauschalisiert. Auch emanzipierte und erfolgreiche Migrantinnen werden mittlerweile zur Kenntnis genommen.

Sie loben in Ihrer Presseerklärung zum Sürücü-Gedenken, was die bisherige rot-rote Landesregierung in Sachen Schutz von Frauen gegen Gewalt unternommen habe. Ihre grünen Kolleginnen sagen dagegen, es sei nicht viel passiert.

Die 42-Jährige ist frauenpolitische Sprecherin der Partei Die Linke im Abgeordnetenhaus. Geboren wurde sie in der Osttürkei.

Das stimmt definitiv nicht. Wir haben als rot-rote Landesregierung in zwei Teilschritten das Angebot von Projekten, die sich mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auch auf interkultureller Ebene beschäftigen, gestärkt. Wir haben außerdem zweijährige Verträge für alle Frauenprojekte auf den Weg gebracht und den damaligen Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) daran gehindert, den Etat dafür zu halbieren. Wir haben aus der Szene der Projekte viel Lob für unsere Arbeit bekommen. Allerdings reicht das heute nicht mehr aus. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass die Frauenhäuser in Berlin überlaufen sind.

Und wie sehen Sie nun als Oppositionspolitikerin die Zukunft?

Ich habe kein gutes Gefühl, wenn ich mir vorstelle, was unter Rot-Schwarz auf die Frauenprojekte in der Stadt zukommt. Wenn die Regierung sagt, sie wolle unsere Projekte fortsetzen, ist das zwar schön. Aber es reicht nicht, wie die fehlenden Plätze in der Frauenhäusern zeigen. Man muss die Dinge weiter entwickeln und ausbauen - vor allem den Schutz von Frauen vor Gewalt.

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