Ergebnisse Zensus 2011: Deutschland zählt sich klein

Weniger Einwohner, weniger Ausländer, mehr Wohnungen: Deutschland hat Inventur gemacht. Die Ergebnisse haben weitreichende Konsequenzen.

Puh, es gibt doch noch Menschen in Deutschland. Bild: dpa

BERLIN taz | Eine Warnung am Anfang: Jetzt wird's zahlenlastig! Prozente, absolute Werte, anteilige Veränderungen – eine volle Ladung Statistik.

Deutschland hat Inventur gemacht. Wer sind wir, wie viele, und wie wohnen und leben wir? Ein Drittel der Bevölkerung wurde schriftlich oder mündlich befragt, 80.000 Interviewer waren unterwegs, zwei Jahre wurde ausgewertet, über 700 Millionen Euro kostete der Zensus. Die Ergebnisse sind zum Teil interessant und können weitreichende Konsequenzen haben.

Den Damen und Herren des Statistischen Bundesamts war der Stolz anzumerken, als sie am Freitag die ersten Ergebnisse des Zensus 2011 in Berlin vorgestellten. Die wichtigste Erkenntnis: Deutschland hat viel weniger Einwohner als bislang angenommen. Zum Stichtag, dem 9. Mai 2011, lebten 80,2 Millionen Menschen hier – 1,5 Millionen weniger als angenommen.

Das überrascht die Statistiker nicht. Die bisherigen Angaben beruhen auf den Volkszählungen von 1987 (BRD) und 1981 (DDR). Seitdem wurden die Einwohnerzahlen kontinuierlich aktualisiert mit Hilfe von Daten zu Geburten, Todesfällen und Ummeldungen. „Meldet man sich bei einem Umzug nicht ab, hat man keine Nachteile“, so Gert Wagner, Vorsitzender der Zensuskommission, zur taz.

Von den 1,5 Millionen Menschen, die Deutschland laut Zensus verloren hat, geht ein Großteil auf Ausländer zurück. Statt – wie bisher angenommen – 7,3 Millionen Einwohnern ohne deutschen Pass leben hier nur 6,2 Millionen. „Besondere Menschen aus Ländern außerhalb der EU haben einen Anreiz, sich nicht abzumelden, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehren, aber vielleicht einmal wiederkommen wollen. Ohne Abmeldung behalten sie ihr Aufenthaltsrecht“, erklärte Wagner.

Finanzielle Konsequenzen für Länder und Kommunen

Projekt: Für die erste gesamtbundesdeutsche Volkszählung wurden 10 Prozent der Bevölkerung direkt befragt, ebenso wie alle Immobilienbesitzer, also insgesamt rund ein Drittel aller Einwohner. Dazu wurden Verwaltungsdaten aus Melderegistern oder von der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet. Das Ganze kostete über 700 Millionen Euro.

Fragen: Der Fragebogen umfasste zum Beispiel Fragen zum Familienstand, zum Schulabschluss, zu Beruf und Migrationshintergrund. Auch nach der Religionszugehörigkeit wurde gefragt.

Resultate: Die Ergebnisse des Zensus stehen detailliert auf ergebnisse.zensus2011.de (pw)

Neben Menschen mit ausländischem Pass wurde auch die Zahl der Einwohner mit Migrationshintergrund ermittelt. Demnach leben in Deutschland 15 Millionen Menschen (18,9 Prozent), die selbst oder deren Eltern nach 1955 einwandert sind. Hamburg, Bremen und Baden-Württemberg liegen an der Spitze mit je rund 25 Prozent, das Schlusslicht bilden die ostdeutschen Ländern außer Berlin mit weniger als 5 Prozent.

Für manche Kommunen und Länder kann dieser Bevölkerungsschwund finanzielle Konsequenzen haben – denn die Finanzausgleiche werden pro Kopf berechnet. Wer also überproportional verloren hat – wie Berlin und Hamburg – muss ums Geld fürchten. Neue Verteilungskämpfe werden beginnen. Das betrifft auch die Kommunen, die über den Finanzausgleich Geld zugeteilt bekommen. Städte wie Aachen, Mannheim und Freiburg werden – weil sie die größte Einwohnerdifferenz haben – künftig weniger erhalten.

Die Zensusdaten können auch politische Konsequenzen haben. Zwar wird sich an der Sitzverteilung im Bundesrat nichts ändern. Allerdings können einzelne Wahlbezirke künftig anders zugeschnitten werden. Manche Oberbürgermeister können degradiert werden. In einigen Gemeinden etwa in Bayern und Thüringen können gar Feiertage wegfallen, die nur dort gelten, wo es eine überwiegend katholische Bevölkerung gibt.

Kritik von Datenschützern

Die Frage nach der religiösen Weltanschauung war im Vorfeld bereits umstritten. „Das war von der Europäischen Kommission nicht vorgegeben. Der Gesetzgeber ist den Interessensbekundungen der Kirchen aber trotz meiner Bedenken gefolgt“, sagte der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, der taz.

Während die Angaben zur rechtlichen Mitgliedschaft einer Religionsgemeinschaft im Zensus Pflicht war, konnte die Beantwortung der Frage nach Religion oder Weltanschauung verweigert werden. Da 17 Prozent der Befragten dies taten, sind die Daten zur Glaubensrichtung nicht repräsentativ. Zwei Drittel bekannten sich zum Christentum, 10 Prozent gaben an, keiner Glaubensrichtung anzugehören. Nur 2 Prozent zählten sich dem Islam angehörig. Der tatsächliche Anteil soll höher sein.

Statistisch gesichert ist dagegen die Erkenntnis zum Wohnraum: Laut Zensus gibt es in Deutschland 41,3 Millionen Wohnungen, 500.000 mehr als angenommen. Der Großteil wird von Mietern genutzt. Besonders in Berlin (16 Prozent) und Hamburg (24 Prozent) ist der Anteil der Wohneigentümer gering. Im Schnitt stehen 4,4 Prozent des Wohnraums leer. Besonders wenig Leerstand gibt es in Hamburg (1,5 Prozent), viel dagegen in Sachsen (10 Prozent).

Im Gegensatz zu den 1980er Jahren, als der Widerstand gegen die Volkszählung in Westdeutschland groß war, regte sich im Vorfeld des Zensus 2011 kaum Protest. Im Promillebereich lag die Zahl derjenigen, die sich der Beantwortung der Fragebögen verweigerten. Datenschützer Schaar erklärt sich das über geänderte gesellschaftliche Verhältnisse. „Damals war der Staat nicht zimperlich. Viele hatten den Eindruck, mit der Volkszählung werde der Überwachungsstaat vorbereitet“, sagte er der taz. Heute gäben etliche Menschen im Netz vieles von sich aus preis.

Die Zensusdaten dürfen vier Jahre gespeichert werden. So lange können sie einzelnen Personen zugeordnet werden. Für Schaar ist diese Frist zu lang. „Ich werde auf eine rasche Löschung der Daten drängen.“

Noch sind nicht alle Daten ausgewertet. Der Termin für den nächsten Zensus steht aber bereits. 2021 wird Deutschland erneut durchgezählt – denn so will es die Europäische Union.

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