Entwürfe Kühne+Nagel-Grundstück: „taz bemüht sich“

Der Logistik-Konzern Kühne+Nagel will den Firmensitz erweitern, die taz an „Arisierungs“-Profit erinnern. Für beides liegen nun Entwürfe vor.

Elfstöckiger Eingriff in den öffentlichen Raum: So stellt sich Kühne+Nagel seinen neuen Stammsitz in Bremen vor Foto: Kühne+Nagel

BREMEN taz | Der Stuhl ist umgekippt, ein Bein gebrochen. Ganz am Rand des zwei mal zwei Meter großen Sichtbeton-Sockels steht eine menschliche Gestalt, aus Eisen gegossen, die zutiefst verunsichert auf das Möbelwrack zurückblickt. Mit diesem Mahnmal-Entwurf reagiert der Frankfurter Bildhauer Achim Ripperger auf den Aufruf der taz, Ideen für ein „Arisierungs“-Denkmal am Bremer Weserufer zu entwickeln.

Gestern hat nun auch die Firma Kühne+Nagel der Öffentlichkeit präsentiert, wie sie sich die Gestaltung des öffentlichen Platzes an der Bremer Kaisenbrücke vorstellt, auf dem die taz ein Mahnmal, und der Logistikriese einen neuen Firmensitz errichten will. Die taz will an die von Kühne+Nagel verdrängte Dimension der NS-Geschäfte und „Arisierungs“-Gewinne erinnern, die Firma einen neuen, repräsentativen Stammsitz für die 1.500 Bremer Mitarbeiter. Weltweit sind es sogar 63.000 Angestellte, die freilich aus steuerlichen Gründen von der Schweiz aus verwaltet werden.

Kühne+Nagel plant einen elfgeschossigen Bau. Die Fassade, erläutert Architekt Jan Meding, werde „mit einem Mehl aus Wesersandstein eingefärbt“, um sich optisch an die Altstadt anzupassen. In der Tat soll das Gebäude als „Tor zu Innenstadt“ fungieren. Doch trotz dieser stadtbildprägenden Lage weigerte sich das Unternehmen, einen Architektur-Wettbewerb zuzulassen.

26 Millionen Euro will Kühne+Nagel in das Vorhaben investieren. Das fast 1.000 Quadratmeter große Grundstück schlägt dabei mit weniger als einer Million Euro zu Buche, wie das Bauressort gestern offiziell bestätigte.

Die taz hatte den demnach bei unter 1.000 Euro liegenden Quadratmeterpreis bereits thematisiert. In der Tat läge der Preis für derartige Innenstadt-Lagen eher bei 3.000 Euro pro Quadratmeter, bestätigte gestern das Bauressort. Dennoch sei der um zwei Drittel niedriger liegende Preis angemessen, da das Grundstück erhebliche Belastungen aufweise: Unter anderem müssten Kabel verlegt und Fundamente eines früher dort vorhandenen Brückenkopfes beseitigt werden. Angesichts dieser Unwägbarkeiten sei es nachgerade klug, so Ressortsprecher Tittmann, dass die Stadt sich dieser Risiken entledigt habe.

Die Problematik vorhandener Leitungen und Altlasten ist freilich kein Spezifikum dieses einen Grundstücks, sondern für Innen- und Altstadtlagen typisch. Nichtsdestotrotz hatte Kühne+Nagel seinerseits ein „Bodenwertgutachten“ vorgelegt, dem zu Folge die Stadt an den Käufer noch Geld als „Lasten-Ausgleich“ hätte zahlen müssen.

Bis zum 20. Februar sammelt die taz Ideen für ein „Arisierungs“-Mahnmal. Einsendeadresse ist: 4qmWahrheit@taz.de

Im Anschluss vergibt eine Experten-Jury dotierte Entwurfsaufträge. Auch, wenn Bremen keine Fläche zur Verfügung stellt, wird die taz den Wettbewerb wie angekündigt zu Ende führen. Es wäre das erste Mahnmal, das explizit die wirtschaftliche Seite des Holocausts thematisiert.

Hintergrund ist das Monopol, das sich die Großspedition dafür gesichert hatte, den gesamten Besitz der aus Westeuropa deportierten jüdischen Bevölkerung zur "Verwertung" abtransportieren zu dürfen.

Kurz vor Redaktionsschluss reagierte der Senat auf das Anfang Januar abgegebene Angebot der taz, den doppelten Quadratmeterpreis für eine Grundfläche für ein „Arisierungs“-Mahnmal zu bezahlen. Er „respektiere dieses Bemühen“, erklärte der grüne Bausenator Joachim Lohse, zumal sich „jedes Unternehmen seiner Vergangenheit stellen sollte“. Dennoch wolle man „ausschließlich das Gesamtgrundstück“ verkaufen.

Achim Ripperger ist einer von mehreren Dutzend KünstlerInnen, der sich bislang am Ideen-Wettbewerb beteiligt haben. Die taz wird das Thema nun keineswegs fallen lassen – zumal es Kühne+Nagel nach wie vor ablehnt, sich an der Erinnerung an die profitable Totalverwertung jüdischen Besitzes zu beteiligen.

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2015 bis 2022: Von der taz-Kampagne „4 Qm Wahrheit“ bis zum Bau des Arisierungsmahnmal in Bremen

Kühne+Nagel: Das Logistikunternehmen Kühne+Nagel (K+N) feiert 2015 auf dem Bremer Marktplatz sein 125-jähriges Jubiläum und stellt dabei die Firmengeschichte zur Schau. Die taz recherchiert die fehlenden Fakten, u.a. die maßgebliche Beteiligung der Firma am Abtransport der Wohnungseinrichtungen der deportierten jüdischen Bevölkerung in ganz Westeuropa.

Crowdfunding: Unter dem Motto „4 Qm Wahrheit“ werden 27.003 Euro für den Kauf von 4 Quadratmeter Boden auf dem Platz gesammelt, auf dem K+N in Bremen seinen Neubau errichten will – als Standort für ein Mahnmal.

Kaufangebot: Die taz bietet der Stadt Bremen den doppelten Quadratmeterpreis wie K+N. Das Angebot wird abgelehnt, involviert aber Finanz- und Bauausschuss in die Thematik.

Gestaltungs-Wettbewerb: Die taz sammelt Ideen, wie „die Totalität der,Verwertung' jüdischen Eigentums in Gestalt eines Mahnmals visualisiert werden könnte. Unter den 60 Teilnehmenden des Gestaltungs-Wettbewerbs aus ganz Deutschland und Österreich sind sowohl bekannte Künst­le­r:in­nen als auch Schulklassen. Der Wettbewerb löst zahlreiche familienbiographische Nachfragen und Auseinandersetzung aus. Der Entwurf von Evin Oettingshausen kommt auf Platz 1.

Die taz veranstaltet am 3. November 2016 ein Symposium in der Bremischen Bürgerschaft: „Arisierung“ – über den Umgang mit dem Unrechts-Erbe.

Alle Fraktionen der Bremischen Bürgerschaft beschließen im November 2016 den Bau des Mahnmals.

Langes Ringen um den „richtigen“ Standort in Bremen: Soll das Mahnmal bei Kühne+Nagel, am Europahafen, an der Jugendherberge oder irgendwo dazwischen verortet werden?

Dynamik: Parallel zum politischen Prozess entstehen, ausgelöst von der Kampagne „4 qm Wahrheit“, künstlerische Aktionen, temporäre Mahnmale, Masterarbeiten, internationale Ausstellungsbeiträge, Radioreportagen und Regionalromane.

Ergebnis: Am 1. Februar 2022 beschließt der Bremer Senat den Bau des Mahnmals – zwischen Kaisenbrücke und den Bremer Weserarkaden, schräg unterhalb des Firmengebäudes von Kühne+Nagel.

Eröffnung: Am 10. September 2023 wurde das „Arisierungs“-Mahnmal eröffnet. Begleitinformationen finden sich auf der Webseite: geraubt.de

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