Elende Konkurrenz: „Wir lassen keinen Deutschen erfrieren“

Bisher waren Obdachlose eine Opfergruppe rechter Gewalt. Jetzt entdecken rechte Asylgegner sie für ihre Propaganda.

Wird für Propagandazwecke plötzlich von Rechtsextremen umgarnt: Deutscher Obdachloser Foto: Tonias Hase/dpa

BREMEN taz | Rechtsextreme Hooligans haben in den vergangenen Wochen in Hamburg, Bremen und anderen Städten Sachspenden an Obdachlose verteilt. Dazu aufgerufen hat der Verein „Gemeinsam Stark“, der sich laut Satzung eigentlich nicht als wohltätige Unternehmung begreift, sondern gegen die vermeintliche Islamisierung Deutschlands und für eine stärkere Abschottung Europas eintritt.

In dieses Bild fügt sich auch das neue Engagement für Obdachlose, denn eigentlich wollen die Rechtsextremen Obdachlose und Flüchtlinge gegeneinander ausspielen. Weil die Regierung ihr Geld für winterfeste Flüchtlingsunterkünfte brauche, so heißt es im Aufruf, lasse man die Obdachlosen im Stich. Im Internet präsentiert sich die Gruppe unter der Zeichnung einer vermummten Gestalt mit Baseballcap. „100 Prozent Patriot“, steht daneben.

Der Verein hat sich Anfang des Jahres als Spaltprodukt der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) gegründet. Zum zweiten Vorsitzenden sollen sie die Bremer Szenegröße Sven „Captain Flubber“ H. gewählt haben. Szenekundige Beobachter haben ihn auch auf der Verteilaktion am Bremer Hauptbahnhof gesehen. Man werde „keinen Deutschen erfrieren“ lassen, versprechen die Hooligans. Und obgleich bereits diese Einschränkung Bände über das Gedankengut der Hooligans spricht, ist es dennoch ungewöhnlich, dass die rechte Szene Obdachlose als „die wahren Helden der modernen Zeit“ handelt.

Noch während der rechten Gewaltwelle der 1990er Jahre waren Obdachlose eine zentrale Opfergruppe des faschistischen Terrors. Die Zeit und der Berliner Tagesspiegel haben 2010 rund 30 von Neonazis ermordete Obdachlose ermittelt – und das allein durch Auswertung der Lokalpresse. Die tatsächliche Opferzahl dürfte erheblich größer sein.

Weil die Regierung Geld für Flüchtlinge ausgebe, lasse sie die Obdachlosen im Stich, argumentieren die Hooligans

Im Nationalsozialismus wurden Obdachlose im Sinne der sogenannten „Sozialhygiene“ als „Asoziale“ zwangssterilisiert oder ermordet. Aber auch damals betonte Reichspropagandaminister Joseph Goebbels im Zusammenhang mit dem NS-Winterhilfswerk eine „lebendige nationale Solidarität des deutschen Volkes“: Deutsche helfen Deutschen.

Dass jetzt Rechtsextreme mit ein paar Äpfeln und Kleidungsstücken in Einkaufswagen an Bahnhöfen herumstehen, mag leicht als Propaganda zu durchschauen sein. Doch wie beängstigend anschlussfähig dies an die gesellschaftliche Stimmungslage ist, zeigt ein Blick auf die virtuellen Stammtische.

Als kürzlich an zwei Bremer Schulen der Unterricht ausfiel, weil Flüchtlingszelte wegen eines heraufziehenden Sturms vorübergehend evakuiert wurden, waren die Kommentarspalten der lokalen Medien voll: „Kümmert euch lieber mal mehr um Obdachlose ihr Gutmenschen!!!“, schrieb einer der vielen Empörten auf dem Facebook-Auftritt von Radio Bremen. Dort gibt es derzeit kaum ein Flüchtlingsthema, bei dem nicht postwendend Obdachlose ins Gespräch gebracht werden.

Und wäre nun wahr, was „das Volk“ so spricht, dann könnten Obdachlose sich mittlerweile kaum retten vor tatkräftigen UnterstützerInnen und Anteilnahme. Doch als am Totensonntag die jährliche Gedenkfeier für die im laufenden Jahr verstorbenen Wohnungslosen auf dem Waller Friedhof stattfand, wären durchaus noch Plätze frei gewesen für diese Mitfühlenden.

Nur rund 50 BesucherInnen kamen in die Friedhofskapelle, um der Verstorbenen zu gedenken – viele darunter selbst obdachlos oder MitarbeiterInnen der Kirchengemeinde.

Der Verein „Innere Mission“ hat hier vor drei Jahren eine gemeinsame Grabstätte eingerichtet, damit Obdachlose nicht länger anonym unter die Erde gebracht werden müssen. Auf einer Videoleinwand wurden Portraits, Namen und Lebensdaten der Verstorbenen eingeblendet. Die meisten sind in ihren 60ern gestorben, doch auch Dreißigjährige sind darunter.

Auf dem Friedhof blieben die Trauernden dann unter sich – die am Totensonntag zahlreichen anderen FriedhofsbesucherInnen sahen lieber heimlich aus der Ferne zu. Wer auf der Straße lebt, sei gesellschaftlich isoliert und habe meist keinen Kontakt mehr zu Freunden und Familie, sagte Pastor Jürgen Mann in der Predigt. Und wo er von Obdachlosigkeit sprach, meinte er ausdrücklich auch die Geflüchteten unter ihnen.

Bei der Inneren Mission gehen zeitweise bis zu 2.000 Säcke Kleiderspenden pro Woche ein, um die deutsche Obdachlose und Flüchtlinge an den Ausgabestellen tatsächlich konkurrieren. Die Verteilaktion der Hooligans ist dagegen nicht nur belanglos, sondern entlarvt sich spätestens hier als Propaganda. Denn während die Hooligans öffentlichkeitswirksam durch Norddeutschland tingeln, hat die erheblich effektiver arbeitende kirchliche Obdachlosenhilfe nicht einmal genug Freiwillige, um an allen Wochentagen Spenden auch nur annehmen zu können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.