Ein Monat Mindestlohn in Berlin: Die Arbeitgeber tricksen

Seit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns laufen beim DGB die Telefonleitungen heiß. Viele Arbeitnehmer berichten von mauschelnden Vorgesetzten.

Mindestens 8,50 Euro, pro Stunde, gilt seit einem Monat. Bild: dpa

Seit einem Monat gilt der bundesweite Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde, nur wenige Branchen sind davon ausgenommen (siehe Infokasten). Die Kontrollbehörde für den Mindestlohn ist der Zoll, der neben der Zollkontrolle an den Grenzen auch die dem Bund zustehenden Steuern eintreibt und Schwarzarbeit kontrolliert. Für eine erste Bilanz ist es noch zu früh, sagt Michael Kulus, Sprecher des Hauptzollamts Berlin. Seine Behörde würde sich nicht auf die Angaben des Arbeitgebers verlassen, sondern die realen Geldzahlungen an die Arbeitnehmer kontrollieren – das Januargehalt wird erst in diesen Tagen überwiesen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat unter (03 91) 4 08 80 03 eine Mindestlohn-Hotline geschaltet, und darüber „kommen die Anfragen wie wild“, sagt Doro Zinke, DGB-Vorsitzende Berlin-Brandenburg. Es habe bisher keinen Tag unter 300 Anrufen gegeben. „Ein klassisches Problem ist der 450-Euro-Jobber, bei dem der Chef behauptet, ihm stehe kein Mindestlohn zu.“ Stimmt aber nicht – auch Minijobber haben Anspruch auf 8,50 Euro die Stunde.

Auch sonst kennt Zinke einige Fälle für „Eskapaden, auf die sich die Chefs einlassen, um das Gesetz zu umgehen, wie zum Beispiel die Umstellung von Stundenlöhnen auf die Leistungsberechnung“. Aus dem Hotelgewerbe, für das schon länger ein gesetzlicher Branchen-Mindestlohn gilt, ist das bereits bekannt: So versuchen manche Häuser, die Reinigungskräfte nicht etwa pro Stunde zu bezahlen, sondern pro Zimmer. Das ist aber nur erlaubt, wenn dabei – umgerechnet auf Stunden – mindestens der Mindestlohn rauskommt.

Andere Arbeitgeber versuchen, den Mindestlohn zu umgehen, indem sie – illegalerweise – unbezahlte Mehrarbeit verlangen. Laut Vertrag ist dann ein Arbeitnehmer nur für 20 oder 30 Stunden pro Woche angestellt – tatsächlich muss er aber Vollzeit arbeiten. „Sie glauben gar nicht, wie viele Halbtags-Bauarbeiter es in Berlin angeblich gibt“, sagt Zinke.

Seit dem 1. Januar müssen alle Arbeitnehmer mindestens 8,50 Euro pro Stunde verdienen. Wirklich alle Arbeitnehmer? Nicht ganz:

Einige Branchen haben zwei Jahre lange Übergangsregelungen. Dazu zählen die Fleischindustrie, Leiharbeit, Land- und Forstwirtschaft sowie Gartenbau, Textil- und Bekleidungsindustrie, Friseurhandwerk und Großwäschereien. Zeitungsverlage dürfen ihre Zeitungsausträger sogar noch ein Jahr länger unter Mindestlohn bezahlen.

Praktikanten bekommen keinen Mindestlohn für Praktika im Rahmen von Schule, Ausbildung, Studium oder Berufsorientierung.

Gleiches gilt für Strafgefangene, Auszubildende, Behinderte in Behindertenwerkstätten und Langzeitarbeitslose für die ersten sechs Monate in der neuen Anstellung.

In einem „besonders dreisten Fall“, sagt Zinke, wollte der Arbeitgeber die betriebliche Altersvorsorge auf den Mindestlohn anrechnen. Das ist aber verboten. Genauso wie das Taxameter, das nach drei Minuten Wartezeit auf Pause springt. Pausen müssen nämlich laut Arbeitsrecht nicht bezahlt werden. Die Wartezeit auf einen Auftrag darf aber nicht als Pause gezählt werden. „Sie müssen ja jeden Moment anfangen können zu arbeiten“, sagt Zinke.

Bei der DGB-Hotline melden sich derzeit natürlich nur die Arbeitnehmer, bei denen es Probleme gibt. „Die Tendenz bei den Anrufen geht ganz leicht nach unten“, sagt Zinke. Die DGB-Vorsitzende Berlin-Brandenburg geht davon aus, dass mittelfristig der Mindestlohn flächendeckend durchgesetzt sein wird und man in ein paar Jahren nur noch den Kopf schüttelt über die Startprobleme. Das Thema sei in aller Munde, und es werde mit der Zeit für die Arbeitnehmer immer selbstverständlicher werden, den Mindestlohn einzufordern und sich dafür mit seinem Chef anzulegen.

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