Ein Jahr Jamaika in Schleswig-Holstein: An der Schmerzgrenze

Seit fast einem Jahr regiert in Schleswig-Holstein eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP. Ohne offenen Streit, aber hinter den Kulissen rumort es.

Daniel Günther, Robert Habeck und Wolfgang Kubicke stehen vergnügt nebeneinander und haben jeweils ein Fläschchen Schnaps in der Hand.

So ging's los mit Jamaika: Schleswig-Holsteins Obermokels beim Schnapseln Foto: dpa

KIEL taz | Bei den Windrädern herrscht zurzeit Baustopp, dafür bauen die drei Parteien, die in Schleswig-Holstein seit knapp einem Jahr als Jamaika-Koalition regieren, eine neue Abschiebehaftanstalt. Und sind weitgehend guter Dinge dabei. „Streit kann ich nicht feststellen“, sagt Ministerpräsident und CDU-Landeschef Daniel Günther. „Es gibt Themen, die schwierig für uns sind“, sagt Steffen Regis, der mit Ann-Kathrin Tranziska seit Oktober 2017 als neue Doppelspitze den Grünen-Landesverband führt.

An der grünen Schmerzgrenze befindet sich die Abschiebehaftanstalt, die in einer ehemaligen Kaserne in Glückstadt an der Elbe entstehen soll. Die Vorgängerregierung aus SPD, Grünen und SSW hatte 2014 die ehemalige Abschiebehaft in Rendsburg geschlossen – nun müssen die Grünen im Landtag die Finger für den neuen Bau heben. Die Haftanstalt käme zwar, sagt Regis, „aber nur mit grünen Korrekturen: innere Offenheit, Sozial- und Asylberatung. Es darf kein Knast werden.“

Schleswig-Holsteins Flüchtlingsbeauftragter Stefan Schmidt kritisiert die Einrichtung dennoch „grundsätzlich“ und fordert weitere „Mindeststandards“: soziale Betreuung, juristische Beratung und Bewegungsfreiheit im Inneren, Sport- und Freizeitangebote. Dass CDU und FDP auch Familien, Schwangere und Minderjährige in Glückstadt kasernieren wollen, kritisiert auch die SPD. „Das entspricht nicht mehr der humanen Flüchtlingspolitik in Schleswig-Holstein, die bisher einen breiten politischen Konsens darstellte“, sagt deren flüchtlingspolitische Sprecherin Serpil Midyatli.

Rumort es wegen solcher Themen in der Jamaika-Koalition? „Ich habe in gut unterrichten Zeitungen gelesen, dass es so sein soll“, sagt Daniel Günther. Klar sei, dass nicht alles „das Herzblut aller beteiligten Parteien“ sei. „Aber das ist öffentlich bekannt.“ Zu weiteren öffentlich bekannten Streitpunkten gehört auch der von Dänemark geplante Ostseetunnel im Fehmarn-Belt.

„Wir sind einig, dass wir nicht immer einig sind – unter diesem Motto arbeitet die Koalition, die fast Modell für den Bund geworden wäre, seit Juni vergangenen Jahres. Die Grünen nehmen für sich in Anspruch, die soziale Frage zu stellen und Solidarität und Gerechtigkeit im Blick zu behalten“, sagt Regis: „In der Koalition sind wir Grünen links.“

Die erste Jamaika-Koalition in einem deutschen Bundesland regiert in Schleswig-Holstein und zwar seit dem 28. Juni 2017.

Das Kabinett besteht aus Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und sieben MinisterInnen: drei CDU-Leute und je zwei von den Grünen und der FDP.

Die Landtagswahl am 7. Mai 2017 hatte folgendes Ergebnis: CDU 32,0 Prozent, SPD 27,3 Prozent, Grüne 12,9 Prozent, FDP 11,5 Prozent, AfD 5,9 Prozent, SSW 3,3 Prozent.

Nach der Mandatsverteilung ist die Jamaika-Koalition mit 44 Sitzen (CDU 25, Grüne 10, FDP 9) auf eine klare Mehrheit gegenüber der Opposition (SPD 21, AfD 5, SSW 3) mit 29 Sitzen gekommen.

Die CDU hat sich hingegen urgrüne Themen angeeignet: Windenergie-Ausbau ist ein zentrales Thema der ganzen Regierung, im Juli soll dazu ein Konzept vorgestellt werden. In der Folge wird es um die Frage gehen, wie das Windstrom-Land seine Energieüberschüsse speichern und verwerten kann, da die Leitungen gen Süden auf sich warten lassen. Ein Problem damit, dass der frühere Gegner im eigenen Themenfeld wildert, hat Regis nicht: „Grüne Themen sind auch beim Ministerpräsidenten präsent. Das zeigt unsere starke Rolle.“

Der Bau von Windrädern, Kita-Gebühren, kommunaler Finanzausgleich und der Verkauf der HSH-Nordbank – es klingt wenig spektakulär, womit sich Jamaika aktuell befasst. Dennoch steckt in allen Fragen Zündstoff: „Wir haben Dinge angeschoben, aber noch längst nicht abgeräumt“, sagt Günther.

In den nächsten Monaten könnte sich etwas im Zusammenspiel verschieben, wenn Robert Habeck, bisher prägende Gestalt im Landesverband und in der Regierung, aus dem Kabinett ausscheidet und sich auf seinen neuen Job als Grünen-Bundesvorsitzender in Berlin konzentriert. Die FDP hatte ihren Lautsprecher Wolfgang Kubicki im Herbst in die Bundespolitik ziehen lassen – möglich, dass sich das mittelfristig auch bei Wahlen auswirkt. In der Vergangenheit schnitten die Liberalen im Land oft besser ab als im Bundestrend, das wurde dem Bekanntheitsgrad des Rechtsanwalts mit dem schnellen Mundwerk zugerechnet.

Droht den Grünen ähnliches? „Nein“, sagt Steffen Regis, „das Zugpferd Robert Habeck ist nicht weg. Die Zügel werden nur länger.“ Viel Gegenwind durch die Opposition muss die Regierung nicht fürchten: Die drei Abgeordneten der Minderheitenvertretung SSW setzen auf konstruktive Zusammenarbeit, die fünf AfDler sind inhaltlich schwach, ihre Anträge sind häufig Kopien aus anderen Ländern und kreisen um die ewig gleichen Themen. Die SPD steht nach Wahlniederlagen – zuletzt bei den Kommunalparlamenten – vor der Aufgabe, sich neu aufzustellen.

„Angst vor der SPD hatte ich nie – Respekt zuletzt heute“, beteuert Günther. „Es wäre ja schlimm, wenn man keinen Respekt vor dem politischen Gegner hätte.“ Klingt ein bisschen nach Mitleid.

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