Ein Flüchtling in Berlin: Das Drama des Frank H.

Das Schicksal von Frank H. beweist, dass Flüchtlinge zu wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft werden können, wenn sich die Politik offen für sie zeigt.

Kein Vergessen: Frank H. erinnert noch heute zu Recht an das traurige Schicksal anderer Flüchtlinge Bild: dpa

BERLIN taz | Es wird wieder viel über die Flüchtlinge in der Stadt debattiert. Meist sehr pauschal streiten Aktivisten und Politiker, Asylbewerber, Kirchenvertreter und die Medien über Sinn und Machbarkeit eines „Bleiberechts für alle“ oder auch über die Frage, ob der gigantische Polizeieinsatz in Kreuzberg gerechtfertigt ist. Vergessen wird dabei häufig, dass es um ganz konkrete Menschen geht, die höchst individuelle Schicksale und Härten erlebt haben. Wie dramatisch das ist und was den Flüchtlingen tatsächlich helfen könnte, versteht man erst, wenn man die Einzelfälle genauer betrachtet.

Nehmen wir zum Beispiel Frank H.*.Er stammt aus einem totalitär regierten Land. Seine Familie steht schon lange in Opposition zur Regierung. Bereits Jahre vor H.’s Geburt werden zwei seiner Onkel nach einem Volksaufstand inhaftiert, später flüchten sie aus Angst vor weiteren Repressalien aus dem Land.

H.’s Eltern gehören zwar nicht direkt zur Opposition. Auch wirtschaftlich war die Familie nicht schlecht gestellt. „Materiell ging es uns gut, wir haben nicht gelitten“, bekennt Frank H. offenherzig nach seiner Flucht. Aber sein Vater wird drangsaliert. Er verliert einen Leitungsposten, weil er sich weigert, der Regierungspartei beizutreten. Zudem gehört die Familie einer religiösen Minderheit an, was zu weiteren Schikanen führt. Der kleine Frank wird von den anderen Kindern gehänselt. „Na, gehste wieder zu deinem Gott?“, hätten sie gerufen, wenn er zum Religionsunterricht wollte, berichtet H. später. „Das hat sich auf der Festplatte eingebrannt.“ Seine Eltern fühlen sich zunehmend eingeengt, so sehr, dass sie schließlich beschließen, ihre Heimat zu verlassen. Doch sie müssen noch vier Jahre warten, bis sich endlich eine Gelegenheit ergibt.

In Berlin wird die Familie zunächst im Notaufnahmelager Marienfelde untergebracht. Die Einrichtung dort ist spartanisch: „Links zwei Stockbetten, rechts zwei Stockbetten und in der Mitte ein viereckiger Tisch“, erzählt H.

Aber dann hat die Familie richtiges Glück. Anders als viele andere Flüchtlinge müssen sie sich nicht mit Asylverfahren, Kettenduldung oder Residenzpflicht herumplagen. Nicht einmal die Frage, ob sie nicht doch eher aus wirtschaftlichen denn aus politischen Gründen geflohen seien, spielt bei ihnen eine Rolle. Denn die H.s stammen aus einem Staat, aus dem die Bundesrepublik Flüchtlinge mit offenen Armen aufnimmt. Allein in Marienfelde sind es im Laufe der Jahre 1,3 Millionen Menschen, ohne dass irgendjemand über zu große Belastungen für die bundesrepublikanische Gesellschaft stöhnt.

So erhalten die H.’s nicht nur unbürokratisch eine Krankenversicherung und Hilfe bei der Suche nach einer ersten eigenen Wohnung. Sie bekommen sogar ohne Weiteres einen deutschen Pass. Schon bald nach der Flucht kann Frank H., damals 17 Jahre alt, eine Kaufmannslehre beginnen. Später holt er das Fachabitur nach und studiert.

Noch Jahre später lobt H. in den höchsten Tönen die Hilfsbereitschaft, die er dank der barmherzigen Flüchtlingspolitik in Berlin erleben durfte. Im Lager Marienfelde, schwärmt H., „starteten viele in ein neues Leben, selbstbestimmt und ohne politische Drangsalierungen. Vielen öffneten sich mit der Einreise in die Bundesrepublik völlig neue und ungeahnte Möglichkeiten.“ Das gelte auch für ihn ganz persönlich. „Hier begann für meine Eltern und für mich das ’Abenteuer Bundesrepublik Deutschland‘.“ Bis heute feiert er alljährlich den Tag seiner Ankunft als seinen „zweiten Geburtstag“.

Das Schicksal seiner alten Heimat lässt H. dennoch nie los. Er tauscht sich immer wieder mit anderen Flüchtlingen und Exhäftlingen aus, in Berlin tritt er einer christlichen Partei bei, die der Regierung in seinem Geburtsland sehr kritisch gegenübersteht. Als schließlich das Regime in seinem Herkunftsland fällt, bezeichnet er das als „Geschenk“.

H. selbst ist aufgrund der in seinem Fall vorbildlichen Flüchtlingspolitik bestens in die Gesellschaft integriert. Er wird nicht nur Landesvorsitzender seiner Partei, sondern sogar Innensenator von Berlin. Als solcher könnte er den aktuellen Konflikt um die Flüchtlinge in der Gerhart-Hauptmann-Schule mit einem Akt der Barmherzigkeit beenden.

Doch H. hält sich in der öffentlichen Diskussion auffällig zurück. Vielleicht möchte er angesichts seiner Vita nicht auf die Themen Flüchtlingspolitik und christliche Barmherzigkeit festgenagelt werden. Vielleicht will er auch nur aus anhaltender Dankbarkeit die Gutherzigkeit seines Aufnahmelandes nicht überstrapazieren. Vielleicht ist er auch nur überintegriert.

*Name von der Redaktion nicht geändert.

Die Geschichte des Frank H. beruht ausschließlich auf seinen eigenen Angaben nach Aktenlage, sie wurde weder von der Ausländerbehörde noch von der taz überprüft. Die Flucht von Ostberlin nach Westberlin erfolgte 1981.

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