#ESC am Dnipro, Folge 2: Suche nach Europa

Kalter Krieg, grassierende Korruption und auch noch der Eurovision Song Contest: Ein Stadtspaziergang durch Kiew mit dem Künstler Dima Levytskyi.

Ein Mann, Dima Levytskyi

Dima Levytskyi fragt: „Weiß der Eurovision Song Contest eine Antwort?“ Foto: Jan Feddersen

KIEW taz | Dima Levytskyi, 29 Jahre alt, hat die Tage auf dem Maidan erlebt. Wochen, Monate des Schreckens im Kampf um Freiheit, mit Scharfschützen des alten Regimes auf den Dächern, mit gedungenen Agenten hinter Häuserecken. Nichts war sicher, sagt er.

Wir gehen um den Platz herum, auf dem gerade in der Abenddämmerung die Fontänen der Brunnen eine Art Sinfonie spielen. Und das zu ukrainischer Musik. Levytskyi hat diesen typischen Mischberuf, dem viele Lebenskünstler nachgehen. Er kann schreiben, er kümmert sich um Start-ups, er ist belesen, er kann performen – demnächst wird er in Berlin zu Gast sein, das Goethe-Institut veranstaltet etwas zum Thema Korruption.

Und ausgerechnet jetzt ist es, da wenigstens in Kiew Frieden herrscht, viel stärkerer Frieden als in der putinschergenheimgesuchten Ostukraine, mit dem Aufbruch mit Präsident Poroschenko dahin. „Was soll jetzt sein?“, fragt er. Und: „Weiß der Eurovision Song Contest eine Antwort?“

Nein, die rückt Länder nur in den Fokus des europäischen Interesses, der ESC ist ja keine Ibuprofen. Rund um den Maidan sind an Mauern Bilder zu Ikonen angerichtet, Antlitze von Männern meist, die bei den Kämpfen in der Ukraine ums Leben kamen, erschossen oder überfahren.

Levytskyi fragt: „Wie kann man Korruption darstellen in einer Performance?“ Hiflos versucht man etwas zu erwidern: „Ist Korruption vielleicht wie Honig, der süß zu schmecken scheint, aber überall im Gaumen Bitterkeit hinterlässt?“ Der junge Mann guckt und sagt: „Gute Metapher, ja, vielleicht ist das etwas, womit ich arbeiten kann – Honig als Bitterstoff. Bleibt an einem kleben und fühlt sich schlecht an.“

Nichts ist einfach

Wir treffen uns, damit er mir die Stadt erklärt. Schön sieht sie aus, nichts an ihr protzt, im Straßenbild herrscht, anders als in Moskau, eine andere, viel geringere SUV- und Teuerautomobildichte, selbst im Zentrum oberhalb der Boulevards, die zum Maidan führen, wohnen Menschen, die nicht nach neuem Reichtum riechen.

Dima Levytskyi

„Ihr könnt stolz auf euer Land sein. Soviel politische Wachheit, kaum Korruption – wie soll das hier bei uns bloß werden?“

Dima Levytskyi sagt: „Ihr könnt stolz auf euer Land sein. Soviel politische Wachheit, kaum Korruption – wie soll das hier bei uns bloß werden? Es ist nicht so, dass es nur die Großen betrifft, überall muss man sich mit kleinen Extragefälligkeiten Gunst erkaufen. Ehe man zu Ärzten geht, zu Behörden oder um ein Business anzumelden. Nichts ist einfach, und das alles auch noch verdeckt.“

Das Eurovisionsfestival sickert derweil immer fetter ins Stadtbild ein. Überall wird dekoriert und ausgestattet – man will sich, so sagt es auch Dima Levytskyi, Europa von seiner besten Seite zeigen. Die Sonne scheint verschwenderisch, die vielen goldbekuppelten Kirchen glänzen sehr.

Auf einem Platz stehen Ostereierskulpturen, das sieht sehr putzig aus – die größte unter ihnen, nur mit Luft aufgeblasen, kein Pappmaché, ist allerdings schlaff geworden, was skurril aussieht: als sei es ein Symbol des politischen Aufbruchs, der ja nicht ewig dauern konnte – aber jetzt, im Alltag, kein Fest mehr ist. Kiew macht sich nur noch schön! Andererseits: Was heißt „nur“?

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