Dramatikerin über Moldau und Europa: „Absolut kein Anlass zur Hoffnung“

Die Dramatikerin Nicoleta Esinencu sieht die europäische Perspektive ihrer Heimat pessimistisch. Den Glauben an Veränderung hat sie aufgegeben.

EU-Flaggen als Symbol der Hoffnung bei einer Kundgebung in Chisinau im November 2013. Bild: dpa

taz: Frau Esinencu, woran denken Sie, wenn Sie „Europa“ hören?

Nicoleta Esinencu: Oh. Das ist kompliziert, und es wird momentan sehr überlagert davon, was in der Region passiert. Die Politiker spielen sehr gern das Europa-Spiel – nach dem Motto: Natürlich sind wir Europäer; seht uns doch an! Aber es reicht nicht, sich ein Kostüm anzuziehen, um etwas zu sein, das man sein will. Von den europäischen Politikern, die nach Moldau kommen, habe ich denselben Eindruck. Sie spielen das Spiel unter umgekehrten Vorzeichen, reden von Reformen und Entwicklung und tätscheln dem Land wie einem gut erzogenen Kind das Köpfchen. Aber in der Realität sehe ich absolut keinen Anlass zur Hoffnung.

Hoffnung worauf?

Auf welche Art von Veränderung auch immer.

Auch darauf, dass Moldau eines Tages Teil der EU sein könnte?

Natürlich träumen wir davon. Aber wenn man sieht, was in Griechenland und anderen Ländern passiert, kann ich mir nicht vorstellen, dass Europa sich noch mehr Probleme leisten kann. Und auf unsere Politiker ist kein Verlass. An einem Tag schwingen sie große Reden über Demokratie, und am nächsten verbieten sie die Gay Pride Parade.

Können Sie frei arbeiten?

Ja, aber wir werden auch nicht unterstützt. Unsere Arbeit findet völlig abseits jeder staatlichen Kanäle statt.

„Fuck you, Eu.ro.Pa!“ heißt das Stück, mit dem die moldauische Schriftstellerin, Jahrgang 1978, vor zehn Jahren die westliche Theaterszene begeistert hat. In ihrem Heimatland sind ihre Werke bis heute nicht verlegt. In der Hauptstadt Chisinau betreibt sie eine Off-Theater-Bühne, für das sie Stücke schreibt. Die verfasst sie auf Rumänisch. Drei Viertel der Bevölkerung der Republik Moldau sprechen diese Sprache. Zudem wird Russisch, Ukrainisch und Gagausisch in dem Land gesprochen. Esinencu ist derzeit in Berlin, um mit Autorenkollegen über den „Traum von Europa“ zu sprechen.

Und können Sie Ihre Stücke veröffentlichen?

Kein einziges ist veröffentlicht. Die Leute können kommen und sehen sich meine Performances an. Aber sie können nicht in die Buchhandlung gehen und meine Texte kaufen.

Und in Rumänien?

In Rumänien ist ein bisschen etwas herausgekommen.

Ihr Stück „Fuck you, Eu.ro.Pa!“ ist in mehrere europäische Srachen übersetzt

Ja, in über zehn Sprachen.

Sind Sie im Ausland bekannter als in Ihrem eigenen Land?

Bekannt? Ach was. Es gab eine Zeit, in der ich ziemlich viel gereist bin, Stipendien hatte und Projekte in anderen Ländern. Aber ich hatte irgendwann das Gefühl, ich sollte wieder mehr zu Hause arbeiten. Und so habe ich begonnen, die kleine Bühne aufzubauen, auf der jetzt meine Performances stattfinden.

Performances, bei denen Sie selbst auftreten?

Nein, ich arbeite mit Schauspielern. Ich führe Regie und schreibe die Texte. Wir sind eine kleine Gruppe. Natürlich müssen wir für unseren Aufführungsort Miete zahlen und auch sonst alles selbst organisieren. Irgendwie kriegen wir es hin.

Ihre Texte sind sehr zornig. Brauchen Sie die harsche Umgebung der moldauischen Realität, um so schreiben zu können?

Absolut nicht. Ich denke, die Realität hat überall genügend dunkle Seiten, um darüber schreiben zu können. Ich denke nicht an Moldau, wenn ich schreibe.

Woran arbeiten Sie gerade?

Es geht um eine reale Geschichte, die ich von einer jungen Schauspielerin gehört habe. Eine junge Frau hat den Traum, nach Amerika zu gehen, und braucht dafür 3.000 Dollar. Um das Geld aufzutreiben, geht sie nach Moskau. Viele Moldauer machen das. Sie arbeiten dort auf Baustellen, meistens werden sie ausgebeutet, oft werden sie gar nicht bezahlt. Am Ende aber bekommt die junge Frau das Geld und fliegt nach Amerika. Verrückt: Willst du nach Amerika, musst du zuerst nach Russland!

Wäre das Schreiben einfacher, wenn Sie für längere Zeit ins Ausland gingen?

Ich habe das Gefühl, es ist wichtig, da zu sein, in meinem Land. Es gibt so viele Themen, über die wir sprechen müssen, Dinge, die bei uns noch nie wirklich angesprochen wurden. Den Holocaust zum Beispiel. Oder was es bedeutet, homosexuell zu sein. In Moldau geht das eigentlich gar nicht. Die Leute werden zusammengeschlagen, verfemt, von ihren Familien verstoßen. Wer sich traut, sich zu outen, ist geradezu ein Held.

Was passiert, wenn Sie dieses Thema verarbeiten, wenn ein bildender Künstler sich damit beschäftigt? Könnte man diese Bilder ausstellen?

Zensur gibt es nicht. Es gibt wahrscheinlich eine gewisse Kontrolle der staatlichen Bühnen. Wir anderen können machen, was wir wollen. Das ist aber kein Zeichen der Toleranz, sondern der Ignoranz.

Moldau grenzt an die Ukraine. Sind die Ereignisse dort spürbar bei Ihnen?

Odessa ist nur 200 Kilometer von Chisinau entfernt. Niemand versteht so richtig, was dort passiert. Die Spannungen zwischen Rumänen, Moldauern und Russen nehmen zu. Dieser Nationalismus ist auch etwas, worüber nie wirklich gesprochen wurde. Es gab nach dem Zerfall der Sowjetunion antirussische Demonstrationen. Viele Russischsprechende haben damals aus Angst das Land verlassen.

Wie würden Sie Ihre eigene kulturelle Identität beschreiben?

Die ist mir inzwischen egal. Rumänisch ist meine Muttersprache. Aber es ist nur eine Sprache.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.