Diskriminierung: "Ressentiments wirken subtil"

Anlässlich der Debatte über ein Asylheim in Schwachhausen sprach die taz mit der Sozialwissenschaftlerin Maren Schreier.

Selbstverständliches Nebeneinander an einer Ampel in Gröpelingen Bild: Stefanie Preuin

taz: Frau Schreier, wie weit entfernt wohnen Sie von der Eduard-Grunow-Straße, wo das Asylheim entsteht?

Maren Schreier: Ich wohne dort um die Ecke, im Ostertor, mein Kind geht hier auch zur Schule.

Wie ist die Stimmung in der Nachbarschaft?

Wenn ich Gespräche führe, sind sie geprägt von Offenheit und Solidarität. Ich habe den Eindruck, dass es eher Einzelne waren, die sich gegen die Flüchtlings-Unterkunft starkgemacht haben. Die große Solidarität wurde ja auch in der Online-Petition deutlich.

37, Sozialarbeiterin und Sozialwissenschaftlerin. Sie war lange im Quartiersmanagement in Tenever tätig, seit 2008 forscht und lehrt sie in Deutschland und der Schweiz. Mit dem "Bremer Instituts für Soziale Arbeit und Entwicklung" hat sie 2011 zu menschenfeindlichen Haltungen in Findorff, Mitte und Östliche Vorstadt geforscht. Die Studie ist einzusehen unter: www.bisa-bremen.de.

Heute Abend geht’s im Schwachhauser Beirat um eine weitere Unterkunft. Was erwarten Sie von der Debatte dort?

Ich denke, dass es auch in Schwachhausen viele Menschen als selbstverständlich ansehen, offen und solidarisch zu sein und das Vorhaben zu unterstützen.

Gleichwohl haben Sie in einer Studie eine deutliche Verbreitung von unterschiedlichen Diskriminierungsformen in Findorff, Mitte und im Viertel herausgefunden.

Die haben wir 2011 für den lokalen Aktionsplan erstellt. Auch in diesen Stadtteilen sind menschenfeindliche Einstellungen weit verbreitet und nehmen zu. Dahinter stehen gesamtgesellschaftliche Entwicklungen: wirtschaftliche Krisen, zunehmenden Prekarisierung, verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit. Was es schwierig macht, darüber zu sprechen, ist: Diese menschenfeindlichen Ressentiments wirken subtil und verdeckt.

Also auch im als links-alternativ geltenden Viertel?

Das trifft auf das Viertel ebenso zu wie auf viele andere Stadtteile. Möglicherweise ist es gerade im Viertel schwieriger, das anzusprechen.

Warum?

Das Viertel ist geprägt vom Selbstbild eines toleranten und weltoffenen Stadtteils. Das ist es schwierig zu thematisieren, dass durchaus auch dort unterschiedliche Diskriminierungsformen existieren und ausgehalten werden müssen. Dabei sind diese auch und gerade in den sogenannten „besser gestellten“ Stadtteilen relativ breit vertreten. Auch wenn dies den Meisten nicht bewusst ist: Immer geht es um Abwertung von Anderen zur eigenen Aufwertung.

Diese „Aufwertung“ habe ich doch nicht nötig, wenn ich in einer Schwachhauser Stadtvilla wohne.

Das mag zunächst naheliegen. Aber eine Bremen weite Studie von Wilhelm Heitmeyer hat ergeben, dass auch in Ortsteilen mit hohem Sozialindex der Anteil derjenigen, die sich von der aktuellen wirtschaftlichen Situation bedroht fühlen, steigt. Auch das Gefühl, nicht gerecht behandelt zu werden, ist stark ausgeprägt. Bewohner dieser Ortsteile haben zwar weniger Angst vor dem sozialen Abstieg – das ist eher in der Mittelschicht der Fall – aber es gibt durchaus das Gefühl, weniger als den „gerechten“ Anteil zu erhalten. Das äußert sich dann auch in Fremdenfeindlichkeit.

Wie kommt es dazu?

Zurückführen lässt es sich auf Ängste, Sorgen, Unsicherheiten. Viele Menschen fühlen sich zudem politisch ohnmächtig. Dieses Gefühl gilt für alle Klassen und Schichten, auch für die höheren sozialen Schichten, als ein wesentlicher Auslöser für die Abwertung von Anderen. Man könnte sagen, das Fremde wird abgewertet, mit dem Ziel, das Eigene noch retten und sichern zu wollen. Das sind komplexe Zusammenhänge, die schwierig zu thematisieren sind.

Ist Fremdenfeindlichkeit nicht ein Dauerthema?

Oft geht es hier um Rechtsextremismus als eine Form der Diskriminierung, in der Regel um den Rassismus der „Anderen“. Das ist es, was Medien gerne aufnehmen. Etwa, wenn in Bremen-Mitte rechtsextreme Bands auftreten wollen. Aber die subtileren und in gesellschaftlichen Strukturen vorhandenen Abwertungen und Ausgrenzungen sind deutlich schwieriger zu thematisieren.

Was meinen Sie mit „subtil“?

Subtil sind beispielsweise Äußerungen, Flüchtlinge gern aufzunehmen, aber nicht vor der eigenen Haustür. Auch wenn davon die Rede ist, dass „wir uns Probleme herholen“ und „die Kriminalität steigen könnte“. Hier werden Menschen, die wir nicht einmal kennen gelernt haben, in einen Topf gesteckt und diskriminiert. Niemand würde so sprechen, wenn ein einzelner Mensch ihm gegenüber säße, der geflüchtet ist und seine Geschichte erzählt.

Sie halten die Ängste der AnwohnerInnen für unbegründet?

Sorgen und Ängste sind immer ernst zu nehmen. Und das Gleichsetzen von Flüchtlingen mit Problemen und Konflikten ist bereits ein diskriminierender Akt. Es gilt doch: Überall wo Menschen auf engem Raum leben, kann es Konflikte geben. Dass Menschen, die in Bremen Asyl suchen, ein Quartier bedrohen, halte ich für eine gefährliche Konstruktion.

Nun ist Schwachhausen einer der reichsten Stadteile, Asylbewerber dagegen schlechter gestellt als Hartz-IV-Empfänger …

Erstens wohnen auch in Schwachhausen nicht ausschließlich Reiche. Und außerdem wohnen immer auch reiche und arme Leute Tür an Tür. Die Konflikte wären ja riesig, wenn diese Unterschiede per se nachbarschaftliche Konflikte produzieren würden.

Nun gibt es auch sachliche Argumente in der Debatte, Verbesserungsvorschläge zur Wohnsituation. Ist das automatisch rassistisch?

Man kann keinesfalls behaupten, jeder, der ein Sachargument gegen die Unterkunft hat, ist ein verkappter Rassist. Es ist auch nicht hilfreich, die Leute an den Pranger zu stellen. Anerkennung und Erfahrungen von Gleichwertigkeit – das gilt für alle Menschen: Die Sorgen der Anwohner sind also ernst zu nehmen. Nur sind wir offensichtlich in Bremen in einer Situation, wo Hände ringend Plätze gebraucht werden und keine endlosen Debatten geführt werden können.

Was kann zu einem entspannteren Nebeneinander beitragen?

Ganz einfach: Neugier aufeinander, ein offenes und wertschätzendes Kennenlernen. Alle Menschen sollten ein Gesicht bekommen, nicht nur unter dem Label „Flüchtlinge“ auftauchen. Wichtig ist, dass ihnen signalisiert wird: Ihr seid willkommen, ihr könnt teilhaben. Dass sie zum Beispiel auch ohne Geld einen Sprachkurs besuchen können. Es ist eine gute Idee, weitere Sozialarbeiter-Stunden zu finanzieren, wie es im Ortsamt-Mitte überlegt wird. Das kann eine gute Brückenfunktion haben. Und: Dafür sind auch Steuermittel in die Hand zu nehmen.

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