Die Zukunft der Tageszeitung (I): „Ich bin es aber so gewohnt!“

Das Digitale ist das große Versprechen auf Veränderung. Doch ist es Erlösung oder Untergang? Ein Blick auf die taz im Medienwandel.

Jetzt fällt die bedruckte Zellulose eben weg. Nehmen wir es gelassen Bild: André Wunstorf

von VALENTIN GROEBNER

„Ich bin es aber so gewohnt!“ Die Wiederholung des Vertrauten ist das Beste, das wir haben. Und das Schrecklichste. Sie erleichtert mir das Leben. Und sie sperrt mich in einen selbstgemachten Käfig, im schlimmsten Fall lebenslang. Das Lesen von Zeitungen auf Papier ist genau das: eine Gewohnheit. Und das soll jetzt vorbei sein?

Über den Medienwechsel zu reden ist ohnehin apokalyptisch: Um den Untergang geht es. Oder um die Erlösung, das ist oft nicht leicht auseinanderzuhalten. Sehr schön nachzulesen bei Victor Hugo 1831 in seinem Historienroman „Der Glöckner von Notre-Dame“. „Das hier“, verkündet darin der böse Priester und hebt ein gedrucktes Buch hoch, „wird das hier“ – und er weist auf die Kathedrale – „töten.“

Marshall McLuhan hat diese Szene in seiner „Gutenberg-Galaxis“ noch einmal maximal medienprognostisch aufgeschäumt: Fernsehen killt Print. Das war 1962. In diesem Jahr bin ich geboren. Gedruckte Zeitungen gelesen habe ich, seitdem ich dreizehn war. Die taz seit 1986. Den Fernseher habe ich 1992 abgeschafft.

Offenbar ist da irgendetwas dazwischengekommen. Oder lag Michael Frayn richtig, mit seinem Science-Fiction-Roman „Tin Men“? Ein Superrechner kann autonom vollständige Zeitungen produzieren, unabhängig davon, was tatsächlich in der Außenwelt geschieht. Er wertet einfach laufend die Umfrageergebnisse aus, welche älteren Berichte beim Publikum den größten Erfolg gehabt haben, und variiert sie dann neu. Soll es jeden Monat einen Flugzeugabsturz geben oder öfter? Soll das Opfer im täglichen Mordfall ein kleines Mädchen oder eine alte Dame sein?

Die bedruckte Zellulose fällt weg

Klingt wie die Onlineausgabe mancher Nachrichtenmagazine. Bloß ist der Roman 1965 erschienen. Und bei Frayn werden die Zeitungen auf Papier gedruckt. Denn Papier war der medientechnische Sprit für die Kathe­dralen der Moderne: Als der Berliner Dom, die größte Kirche Berlins, 1905 eröffnet wurde, erschienen in Deutschland mehr als 10.000 Zeitungen, mit einer Jahresgesamtauflage von fast 5 Milliarden Exemplaren.

Wahrheits- und wirklichkeitshaltiger war das im Vergleich zu heute aber auch nicht. Es war auch die Zeit des bizarren Medienkaisers Wilhelm II., und der großen nationalistischen Wahnmaschinen, die auf ihn gefolgt sind. Also ändern wir unsere Gewohnheiten.

Digital produziert werden Zeitungen (und Bücher) ohnehin seit 40 Jahren. Jetzt fällt die bedruckte Zellulose eben weg. Nehmen wir es gelassen. Und als Erlaubnis, doch bitte den Berliner Dom, die kitschige Wilhelminismus-Kathedrale aus Zeitungspapier, auch gleich zu entsorgen und durch einen Volkspark zu ersetzen, mit Abenteuerspielplätzen und Imbissständen mit feinster vietnamesischer, syrischer und nige­ria­nischer Küche.

Denn war das Digitale nicht einmal das große Versprechen auf Veränderung – darauf, all die klebrigen Kaiser aus der Vergangenheit loszuwerden?

Der Autor Valentin Groebener unterrichtet Geschichte an der Universität Luzern. Im August ist sein neues Buch „Retroland“ bei S. Fischer erschienen.