Die Wahrheit: Der Duft der Gitarrenlehrerin

„So habe ich bis heute nichts anderes gelernt als Improvisation auf dem Eierschneider…“: Nicht jedes Kind lernt gerne ein Instrument.

Als ich noch ein Junge war, nahm ich oft den Eierschneider aus dem Küchenschrank und klimperte darauf herum. „Hey, Dicker, groovy!“, sagte Olaf, als er mich dabei einmal überraschte: „Du solltest Gitarre lernen! Denk an Hendrix! I-di-a-dat-datdatdaa-i-di-a-dat! Du wirst reich sein und kannst dem amerikanischen Präsidenten ungestraft sagen, dass er ein Dösbaddel ist.“

Ich hatte keine Ahnung, wer Hendrix war und was I-di-a-dat-datdatdaa-i-di-a-dat bedeutete; ich hätte auch viel lieber meinen Deutschlehrer einen Dösbaddel genannt als den amerikanischen Präsidenten. Aber Olaf, mein großer Cousin, hatte immer recht, denn er fuhr als Matrose auf einem Heringstrawler, und ich bewunderte ihn, weil er auf der Jagd nach dem Hering den scheußlichsten Seeungeheuern trotzen musste.

Auch meine Mutter war von der Idee begeistert. Sie träumte davon, dass aus ihrem Sohn was Besseres würde als der nächste Kuttermatrose der Familie, und dabei konnte ein Instrument nicht schaden.

So kam ich zu Miss O’Hearn. Sie machte im Hauptjob irgendwas bei der U.S. Army und war der Meinung, dass militärischer Drill auch bei der musikalischen Ausbildung nicht schadete. „Stop it!“, sagte sie, als ich mir in der ersten Stunde meine neue Wandergitarre umhängte: „Die brauchen wir erst mal nicht. Wer lernen will how to play the guitar, muss first beherrschen the Glockenspiel!“ Und mit diesen Worten entfaltete sie ein Notenblatt von „This land is your land“ und drückte mir einen hölzernen Schlegel in die Hand.

Unglücklicherweise jedoch verwendete sie ein schweres Parfum, das mich schon nach wenigen Atemzügen in einen Zustand matschiger Lethargie versetzte: Es war ein stechender Lilienduft, der das Glockenspiel in ein labbriges Teil verwandelte, das jedem meiner Schläge auswich, während ich schrecklich müde wurde und Miss O’Hearn nur noch von Ferne schimpfen hörte, dass ich ein verwöhnter Schwächling wäre und es gar nicht verdient hätte, dass ihre Jungs am Mekong meine Freiheit verteidigten und ich „This land is your land“ auf dem Glockenspiel lernen durfte, ohne von Kommunisten gefressen zu werden.

Es war hoffnungslos. Als ich nach einem Jahr noch immer nicht „This land ist your land“ geschweige denn an Heiligabend ein deutsches Weihnachtslied spielen konnte, entschied meine Mutter, dass es sinnvoller wäre, das Geld zu sparen, um mir später vielleicht einmal einen Crashkurs in Atomphysik zu bezahlen.

So habe ich bis heute nichts anderes gelernt als Improvisation auf dem Eierschneider. Wenn ich eine Gitarre auch nur ansehe, steigt mir sofort ein betäubender Lilienduft in die Nase, der mich in klebrige Schläfrigkeit versinken lässt. Wenn ich jedoch bedenke, dass Hendrix schon lange nicht mehr spielt, Olaf 1972 im Nordwestatlantik versank und Miss O’Hearn auch in die Ewigen Jagdgründe eingegangen ist, habe ich es noch ganz gut getroffen.

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kari

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