Die Wahrheit: Der Iwan kommt

Ein geheimer E-Mail-Wechsel beweist: Die Russen sind verantwortlich für die sibirische Kältewelle, die uns bald überrollt.

Russlands Väterchen Frost stürmt auf uns zu Foto: Reuters

„Die russische Kältepeitsche schlägt erbarmungslos zu“, presst Dieter Gontschorla zwischen klappernden Zahnreihen hervor. Atemwölkchen steigen aus dem Mund des wetterfühligen Gelehrten, erstarren in Sekundenschnelle zu Eis und zerschellen am Boden.

Gebeugt steht der Wünschelrutenmeteorologe über dem Kartentisch seines privaten Eiskellers in der heimischen Wetterau und verschiebt mit beiden Fäustlingen massive Kaltfronten gen Westen, um die Gefahr zu verdeutlichen. „Der Iwan kommt!“, entfährt dem Klimakauz die fast vergessene Warnung der Altvorderen. Denn kurz vor dem Frühlingsanfang soll es noch einmal kalt werden in Deutschland. Eisekalt. Bitterkalt. „Sibirisch kalt“, wie Gontschorla verschwörerisch flüstert, während er uns reichlich vom hausgemachten Glykolwein einschenkt.

Nun ist ein Kälteeinbruch mitsamt eisiger Ostwinde nichts Ungewöhnliches zu dieser Jahreszeit, doch im Gegensatz zu den „naiven Gutwetter-Meteorologen“, wie Gontschorla die Konkurrenz abschätzig nennt, sieht der emeritierte Kreml-Astrologe finstere Kräfte am Werk.

„Für die Kälte sind russische Wettertrolle verantwortlich“, glaubt der Experte für alternative Himmelsdeutung zu wissen. Wenn man Gontschorlas bibbernden Ausführungen Glauben schenken mag, beschränkt sich die russische Einmischung in westliche Angelegenheiten nämlich längst nicht mehr auf die Sphäre des Politischen, sondern hat auf die Wetterküche der Troposphäre übergegriffen. „Der Kalte Krieg ist zurück, und diesmal wird er wirklich ungemütlich“, behauptet Gontschorla dermaßen steif und fest, dass wir ihm mit Gewalt ein Schlückchen Frostschutzmittel einflößen müssen.

„Sie meinen also, russische Computernerds haben mit ihren Rechnern einen Polarwirbel gehackt und gen Westen geschickt?“, fragen wir ungläubig.

Eiszapfen im Bart

„Nein“, beharrt Gontschorla und pickt ein paar Eiszapfen aus seinem Bart. „Ich meine echte, altslawische Wettertrolle. Haushohe, behaarte Wesen, die auf den Berggipfeln des Urals wohnen und von dort aus die Wolken anschieben.“

„Klingt das nicht insgesamt ein bisschen unwahrscheinlich?“, bohren wir investigativ nach, denn selbstverständlich wären wir nicht jene unerschrockenen Enthüllungsjournalisten, als die wir uns fortwährend ausgeben, wenn wir eine solch ungeheuerliche Behauptung widerspruchslos hinnähmen. „Ist aber so“, versetzt Gontschorla patzig, aber nicht einmal dieses Argument vermag uns restlos zu überzeugen. Wir zieren uns nach Kräften, wie es der Pressekodex für solche Fälle vorsieht. Doch in Zeiten, in denen sich gewissenlose Jungsozen als fünfte Kolonne Moskaus verdingen, braucht die Wahrheit einen Mutigen, der sie notfalls auch ungeprüft abdruckt.

Als wir unsere Skepsis endlich ablegen, taut auch Gontschorla merklich und sachte tropfend auf. Mit klammen Fingern nestelt er ein paar Papiere aus seiner Lammfellmütze und Sekunden später überfliegen wir einen handgeschriebenen E-Mail-Wechsel zwischen ­putin@kreml.ru und einigen Fabelwesen. Augenblicklich sind wir überzeugt. Der Russe war’s.

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kari

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