Die Wahrheit: Falsche Hamster

Wie werden Fake News gemacht? Wir waren bei der deutschen Niederlassung der führenden Nachrichtenagentur für Fake News in Köln.

Ein Mann hält zwei große Melonen im Arm

War Podolskis Jetski-Schleuser bloß ein einfacher Melonenbauer? Foto: dpa

Hartnäckig halten sich Gerüchte, Fake News würden von durchgeknallten Hetzern in wenigen Minuten ersonnen und dann über alle verfügbaren Kanäle ins Internet geblasen. Dabei steckt hinter echten Fake News wie hinter allen Nachrichten akribische Recherchearbeit. Wir besuchen die deutsche Niederlassung der führenden Nachrichtenagentur für Fake News – IAFP (International Alliance of Fake News Producers), die in einem schicken Büro im Kölner Rheinauhafen residiert.

Hier ein Interview zu bekommen, gestaltet sich äußerst kompliziert. Bereits am Klingelschild ist das Selbstverständnis der IAFP zu erkennen: Wir ­müssen bei „Tierarztpraxis Dorothee Kleinschmidt-Wagenmann“ klingeln. Die Gegensprechanlage rasselt: „Ja, bitte?“ Diesen Test bestehen nur sehr gut vorbereitete Reporter: „Rico Now. Vom Focus. Ich bringe einen erkälteten Hamster.“

Im vierten Stock erwartet uns keine miefige Kleintierpraxis, sondern ein modernes und luftiges Großraumbüro mit viel Glas, in dem emsiges Treiben herrscht. Den Hamster nimmt uns die zuvorkommende Empfangsdame ab. Chefredakteur Klaus-Peter von Durstewitz stellt sich als Alexander-Amadeus von Wolfsbeck vor. Doch auf seinem Namensschild steht „Dr. Schlüter – Dipl. Kleintier-Proktologe“. In der Welt der Fake News ist es wichtig, klaren Kopf zu behalten. Sind das falsche Zähne? Und trägt er ernsthaft eine Perücke?

Fake News kann nicht jeder

Von Durstewitz ist äußerst stolz auf die Arbeit seiner Agentur. „Spiegel, Süddeutsche Zeitung, Bravo, Barbara, Bella, Bild der Frau! 89 Prozent der Storys in den Medien sind zu 100 Prozent Fake. Während sie noch rechnen, haben wir schon wieder fünf neue Fake News platziert!“ Doch wir wollen wissen: Warum die große Agentur? Warum dieser Aufwand? Fake News in die Welt setzen, das kann doch jeder, der ein Smartphone besitzt. Der Chefredakteur lächelt milde über so viel Naivität.

Hinter echten Fake News steht wie bei allen News mächtig Recherchearbeit

„Nehmen sie die Breitbart-News, die neulich Schlagzeilen gemacht hat: Das Foto von Lukas Podolski auf einem Jetski. Da haben wir Podolski in Verbindung mit einer spanischen Schleusergang gebracht. Sie denken, das kann jeder behaupten?“ Von Durstewitz bietet einen Caro-Kaffee an und erläutert dabei die aufwendige Recherche. Der Chefreporter von IAFP, Giovanni Constantini, sei dafür extra nach Brasilien geflogen. Habe sich monatelang embedded in der Landbevölkerung herumgetrieben. Mit einer Pfarrerstochter angebandelt und dann ihre jüngere Schwester geheiratet. Zwei uneheliche Kinder in die Welt gesetzt. Alles nur, um den Jetski-Fahrer vom Foto ausfindig machen zu können.

Constantini kommt zu dem Treffen dazu. Ein untersetzter kleiner Mann, der einen gigantischen falschen Schnurrbart trägt. Er sei erst seit zwei Tagen wieder zurück aus Brasilien. Ein Rosenkrieg habe ihn aufgehalten. „Der Jetskifahrer ist ein einfacher Melonenbauer vom Land“, berichtet der Reporter. „Der wollte mir weismachen, er habe während der Fußball-WM mit Spielertransporten ein paar Real dazuverdienen wollen!“

Doch Constantini blieb misstrauisch. Undercover nistet er sich in der Familie des Bauern ein. Wieder spielen Frauen eine entscheidende Rolle bei der Recherche. Constantini gewinnt erst das Vertrauen, dann die Liebe der Frau des Melonenbauers.

Durchforsten bis zum Abwinken

Währenddessen durchforstet das Investigativ-Team von IAFP in Deutschland Hunderte Verträge und Dokumente. Verfolgt Podolski tatsächlich seit seiner Jugend eine Karriere im Fußball? Ungereimtheiten kommen ans Licht, erklärt Chefredakteur von Durstewitz.

„Keine elf Jahre alt, schleust Podolski nachts einen Klassenkameraden zur Hintertür ins Elternhaus! Ungewöhnlich viel kriminelle Energie für einen Jungen, der angeblich nur kicken will, finden sie nicht?“ Von Durstewitz ruft Constantini in Brasilien an. Der muss seine Recherchearbeit vor Ort unterbrechen. Bei der Geburt seines dritten Sohnes ist er nicht dabei.

„Ich bin sofort nach Bergheim geflogen und habe Podolskis Mutter Kuchen mitgebracht. Ich bin für zwei Wochen dort eingezogen.“ Der Reporter wird nachdenklich und zwirbelt seinen Schnurrbart. Er fügt leise hinzu: „Wir schreiben uns heute noch.“ Podolskis Mutter kann letztlich beschwichtigen: Der Klassenkamerad von damals heißt Jonas. Er hat keinerlei Migrationshintergrund. IAFP kann die Nachricht endlich veröffentlichen.

„Wir dürfen uns keine Fehler erlauben! Die Nachricht muss 100 Prozent Fake sein, sonst verlieren wir unsere Unglaubwürdigkeit!“, betont von Durstewitz. Doch welche Motivation steckt wirklich hinter der Arbeit seiner Agentur? Keiner betreibt so einen Aufwand, nur um falsche Nachrichten zu veröffentlichen. Darauf angesprochen, verfällt von Durstewitz in ein irres Lachen. „Tun wir auch nicht. Wir sind gar keine Nachrichtenagentur für Falschmeldungen! Wir sind die Unternehmensberater Fisher and Fisher! Hahaha! Und Sie? Sie sind gar kein Reporter! Sie sind unser Pförtner!“

Das ist der Moment, wo wir einen geordneten Rückzug antreten. Nicht ohne den Hamster von der Empfangsdame zurückzufordern. Wenigstens einer, der hier noch klar denken kann.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.