Die Wahrheit: Die Wächter des Grauens

Wer ausgerechnet am allergrauesten Ort des chronisch ergrauten Englands farblich aus der Reihe tanzt, hat mit Konsequenzen zu rechnen.

England ist so grau wie sein Wetter, und der graueste Ort im Land ist Bibury. Damit das so bleibt, wachen dunkle Gestalten über den Ort mit seinen 600 Einwohnern und bekämpfen jeden Farbtupfer mit Gewalt.

Der Schriftsteller William Morris hat das Kaff mal als „allerschönstes Dorf in England“ bezeichnet, aber dort hinziehen wollte er nicht. Neben der Hauptstraße fließt der Coln, ein Bach, der später in die Themse mündet. Die Häuser, von denen einige aus dem 14. Jahrhundert stammen, sind ursprünglich für Weber gebaut worden, die die benachbarte Arlington Mill mit Stoff versorgten. In den Tourismusbroschüren werden die Häuser als „honigfarben“ bezeichnet. Sie sind in Wirklichkeit grau. Wenn Honig diese Farbe annimmt, ist er ungenießbar.

Der 84-jährige Rentner Peter Maddox hat das malerische Grau des Ortes gestört. Er hat sich vor drei Jahren einen quietschgelben Kleinwagen der Pleitefirma Vauxhall gekauft, die gerade von Peugeot übernommen worden ist. Die ungraue Farbe des Autos passte manchen nicht. Fotografen hatten sich beschwert, dass der gelbe Wagen ihre Aufnahmen verderbe.

Vorigen Monat wurden mehrere Scheiben des Kleinwagens eingeworfen. Schließlich ritzte jemand „move“ in die Motorhaube – „hau ab“. Die Reparatur sollte 6.000 Pfund kosten. Die Versicherung stufte das als Totalschaden ein und zahlte Maddox aus. Von dem Geld kaufte er sich dasselbe Modell, aber diesmal in mausgrau. Auf Fotos fällt der Wagen nicht auf, weil er farblich seiner Umgebung angepasst und praktisch unsichtbar ist.

Maddox’ Schwiegertochter Marie Kraus sagte, es sei zwar schade um das gelbe Auto, aber ihr Schwiegervater wollte keinen Streit. „Vauxhall konnte ihm sehr schnell ein neues Auto besorgen“, fügte sie dankbar hinzu. Aber genau das ist ja das Problem des Autoherstellers: Man sitzt auf einer riesigen Blechhalde, weil keiner die Wagen kaufen will.

In Bibury ist die Welt nun wieder in Ordnung. Einmal wird sie allerdings noch gestört. Am kommenden Samstag, dem 1. April, wird es eine gelbe Invasion geben. Die Besitzer gelber Autos im ganzen Land haben sich mit Maddox solidarisiert und wollen in einem Autokorso nach Bibury fahren. Die Einwohnern sollen an dem Tag Sonnenbrillen tragen, damit sie wegen des bunten Spektakels nicht farbenblind werden.

Der Spendenerlös des wohltätigen Korsos geht an den Butterfly Garden, ein therapeutisches Gartenprojekt für Menschen mit Behinderungen. Dort wachsen nur Elfenbeindistel, Silberraute und andere graue Pflanzen. Mit dem Spendengeld sollen subversive Sonnenblumen angeschafft werden.

Bibury ist übrigens einer von sechs englischen Orten, die im Brüsseler Mini-Europa vertreten sind. Das ist ein Miniaturpark neben dem Atomium, in dem 80 Städte und 350 Gebäude aus den EU-Ländern im Maßstab 1:25 aufgebaut sind. Nach dem Brexit muss Mini-Bibury abgerissen werden. Das echte Bibury sollte man dann über Nacht gelb anstreichen.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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