Die Wahrheit: Erfolgreich als Alltagsschamane

Aufgeben ist keine Option: Selbsthilfebücher kommen demnächst als hantelschwere Folianten daher, schon damit der Titel aufs Cover passt.

Während ich mich aus ungeklärten Gründen schon immer für komplett anders und viel besser als das Gros der tauben Menschheit halte (kein schlechtes Grundgefühl, bitte mal ausprobieren), muss ich leider allmählich erkennen, dass dieser Einschätzung die Faktenbasis fehlt.

Nicht nur, dass ich mit dem Alter nun doch unangenehme Ausbeulungen und Falten an mir wahrnehme, wo doch nach meinem Plan nur die anderen Tölpel zum Opfer des Zeitlaufs und ihres Mangels an Disziplin werden sollten – es ist ja allgemein bekannt, dass der Rest der Welt an seinem Unglück selbst schuld ist, während ich mein relatives Wohlergehen natürlich voll verdient habe. Plötzlich werde ich also nicht nur alt und fett wie alle, nein, ich teile zu meiner Verblüffung noch etwas mit der schwabbligen Masse: den Glauben an die Veränderbarkeit der Welt durch Literatur.

Doch während mir neue Romane versprechen, im Lauf der Zeit vielleicht ein paar erfahrungsgesättigte Jahresringe dort anzusetzen, wo man sie nicht gleich sieht, nämlich im Hirn, scheinen meine Mitleser mehr das Praktische im Auge zu haben. Der neueste Hochglanzprospekt meiner Buchhandlung präsentiert auf dem Titelbild eine durchtrainierte Boxerin, die sich die Pfote mit rosa Bandagen umwickelt.

Seit wann liest man mit Boxhandschuhen? Soll man gar nicht: „Das Quäldichworkout“ wird so beworben, ach du liebe Güte, herausgegeben von einem anerkannten Kochbuchverlag, der seine Kuh gleich doppelt melken möchte. Nein, halt, dreifach, denn für die Kopfschüttlerinnen, die denken, dass sie schon von ihren Albträumen oder ihren Mitmenschen ausreichend gequält werden (ich kenne davon mindestens eine), prangt der Titel „Der Weg zur Selbstliebe“ gleich daneben. Mit sanft pastellfarbenem Cover. Was denn nun? Mein Hirn erleidet wegen der widersprüchlichen Botschaften einen spontanen shut down. Da hilft mir das Buch „Power durch Pause“ das es ebenfalls auf den Titel geschafft hat.

Ungecoacht will anscheinend niemand mehr durchs Leben gehen. Meine Lokalzeitung reist schon lange mit dem Trend und gibt gerade eine halbe Seite für eine Beratung zum wichtigen Thema „Das perfekte Valentinstagmenü“ hin. Der Beitrag lässt sich auf „bitte keine Bohnen und keinen Kohl“ eindampfen, da wäre ich noch gerade selbst drauf gekommen, aber es wird dennoch gewiss bald ein Buch dazu geben.

Und wieder frage ich mich, warum ich nicht längst reiche Ratgeberautorin geworden bin. Es liegt gewiss an „Der Feind in meinem Kopf und wie ich ihn bekämpfe“. Jetzt sind die Nischen natürlich schon weitgehend besetzt. Ich könnte nur noch mit zusammenfassenden Titeln reüssieren: „Der Weg zur quälenden Selbstliebe, mit Pausen-Power und Faszien-Yoga. Aufgeben ist keine Option!“ Dieses Buch wäre passenderweise ein hantelschwerer Foliant, schon damit der Titel aufs Cover passt. Oder: „Achtsamkeit. Entrümpeln als Alltagsschamane, mit Low-Carb-Rezepten und Energiemedizin.“ Bitte kaufen! Verweigern ist keine Option.

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kari

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