Die Wahrheit: Säg recht!

Die schweizerische Eidgenossenschaft nennt einen „Bahnhofbuffet-Olten-Dialekt“ ihr eigen und noch einige andere sprachliche Extreme.

Wer sich mal fühlen möchte wie in China, Japan oder Finnland, der muss eigentlich nur in die Schweiz reisen. Du verstehst vor Ort kein Wort! Die Schweizer Dialekte sind genau genommen hochfunktionale Verschlüsselungsanlagen. Genau: Dialekte. Plural! Die Schweiz, obwohl klein, hat wesentlich mehr Dialekte als Kantone. Genau durchgezählt hat das noch niemand, aber womöglich sind es sogar mehr Dialekte als Einwohner.

Von dieser unüberschaubaren Vielzahl hört man normalerweise nur den jenes Ortes, den man besucht, nachdem man zehn Jahre auf diese nicht nur sprachlich exotische Fernreise gespart hat. Niemand reist gleich in mehrere verschiedene Kantone, denn die Dialekte sind so unergründlich wie die Preise unerschwinglich.

Aber einmal im Jahr gibt es Gelegenheit, die Vielfalt dieser babylonischen Sprachverwirrung auf einem Haufen zu erleben. Wobei es nur für uns babylonisch zugeht, der Schweizer versteht die anderen Schweizer, obwohl der eine Dialekt rein phonetisch nichts, aber so gar nichts, mit dem nächstgelegenen Dialekt zu tun hat. Dieser Moment, in dem alle erklingen, ist der Dialekt-Poetry Slam des St. Galler Literaturfestivals „Wortlaut“. Der trägt auch den schon verwirrenden Titel: „Säg recht!“ Tatsächlich ist das ein Imperativ, bedeutet aber nicht „recht sägen“, sondern „recht sagen“.

Damit der Abend überhaupt in Teilen vom zufälligen Gast anderer „deutschsprachiger“ Länder entschlüsselt werden kann, sind auch noch ein Berliner, eine Bayerin und eine Ostfriesin eingeladen. Und ein Österreicher, der hier aber als Bayer durchgeht. Die anderen sechs Teilnehmer („Slammer“) sprechen Laute, die bei anderen Mitteleuropäern zu Verknotungen an Zunge und Gaumenzäpfchen führen würden.

Italienisch, Französisch und das, was sie dort für Deutsch halten, sprechen viele Schweizer unentwegt. Und in jeder dieser Sprachen gibt es noch Dialekte! Allerdings: Sie sprechen Dialekt, aber sie schreiben Hochdeutsch! Warum sprechen sie es dann nicht auch? Die Dialektgruppen sind unterteilt in Niederalemannisch, Hochalemannisch und Höchstalemannisch.

Die teilen sich weiter nach Kriterien wie „Primärumlaut“, „verbalem Einheitsplural“ und „Hiatdiphthongierung“ zum Nordostschweizerdeutschen, südwestschweizerdeutschen Walliserdeutsch oder dem „Bahnhofbuffet-Olten-Dialekt“ – dort liegt der Eisenbahnknotenpunkt der Deutschschweiz, an dem sämtliche Dialekte aufeinandertreffen.

Die Veranstaltung: prall gefüllt. Die Schweizer: super drauf! Lachsalven! Nur ich wusste nie, wieso. Thurgauer, Aargauer, Züricher und Baseler sprachen Seltsamkeiten! Bis endlich Annika Blanke aus Leer auf die Bühne kam. Plattdeutsch. Plötzlich war ich zu Hause in der Schweiz. Leider scheiterte sie knapp am Finale. Knapper, aber verdienter Sieger: Peter Heiniger. „Emmentaler Urgestein“, früher Teil der Combo „Die dürnige Sieche“, aus Oberfrittenbach mit „Bärndütsch“. Ich habe nur einen Satz verstanden: „Und der Bass geht so!“ Grandios!

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.