Die Wahrheit: Gefangen unter Tage

Teil 2 der großen Wahrheit-Sommerserie „Ympäri Suomen – Rund um Finnland“. Heute heißt das Motto: Im Bauch von Helsinki.

Pittoresker Autowascheimer in einer Tiefgarage unter Helsinki. Bild: B. Gieseking

Im vergangenen Jahr erschien das Buch „Finne dich selbst“ von Bernd Gieseking. Ein Jahr später will der Wahrheit-Autor überprüfen, ob auch alles noch seine Richtigkeit hat, was er seinerzeit über das seltsame Suomi geschrieben hat. Deshalb umrundet er nun einen Sommer lang für die Wahrheit, die sonst Umrundungen aller Art strikt ablehnt, Finnland.

Die ersten Tage in Finnland. Warm werden mit einem heißen Land. Während die Freunde in Deutschland Heizungen hochdrehen und Kachelöfen heizen, reise ich bei Temperaturen zwischen 28 und 34 Grad. Ich akklimatisiere und transpiriere.

Heiße Tampere-Tage. Frühstück bei meinem finnischen Bruder Akseli. Nach dem Frühstück führt mich Akseli zu einem Kultort der Finnen. Unbekannt für uns Besucher aus Südeuropa. Geheim. Im Wald, und doch nah am Wohngebiet. Hier gehen die Finnen einem Ritual nach, das bis in die Zeit vor der Christianisierung Finnlands zurückreicht: das Teppichwaschen.

Akselis Teppichsäuberungsplatz hat siebzehn Waschstationen. Sie sind in einem langgezogenen Rechteck angeordnet. Hier verläuft ein kompliziertes und komplexes Wasserrohrsystem, das in jeder chemischen Fabrik Neid erwecken würde. Da waren Topingenieure am Werk. Dazu gibt es eine Teppichmangel, die alles bis zum vorletzten Tropfen herauspresst.

Es wird geschrubbt und geschubbert, dass es die Teppichmilben nur so graust. Die Milbe hasst den Finnen. Hausstauballergie ist in Finnland quasi unbekannt. In keinem anderen Land der Erde muss sich die Milbe so verzweifelt wie vergeblich an den Teppichfaden klammern wie hier. Zum Glück für die Teppiche und für die Milben ist jetzt kein Winter. Denn dann klopft man sie auf dem bloßen Schnee aus und lässt sie schließlich steif gefroren liegen.

Jede Reise braucht Regeln, so auch meine finnische Wallfahrt. Nach einigen Tagen Eingewöhnen an vertrauten Orten wie Tampere und Lahti will ich meine Umrundung beginnen. Unten. Mitte. Von Helsinki nach Helsinki. Einmal im Uhrzeigersinn. Morgen früh soll es losgehen. Deswegen muss ich heute in Helsinki übernachten. Aber wo mein Auto mit dem darauf geschnallten Fahrrad parken? Ich fahre in die Tiefgarage Forum. Aber was heißt da Tiefgarage?

Wer nach Helsinki kommt, sollte nicht mit dem Auto anreisen. Helsinki ist auf Granit gebaut, und was nicht auf dem Felsen steht, wurde in den Granit geschlagen. Auch die Tiefgarage. Nach Einfahrt in die untere Etage stelle ich fest, dass ganz Helsinki unterkellert ist – die wohl größte Tiefgarage der Welt. Ich fühle mich wie in der Höhle des Minotaurus. Nur habe ich vergessen, bei Einfahrt den Ariadnefaden abzuwickeln. Ein labyrinthisches System, ausgeschildert in einer Sprache, die zwar unsere Buchstaben nutzt, aber mehr dem Chinesischen ähnelt.

Erst nach Stunden finde ich wieder aus der Tiefgarage heraus. Vorher war ich unter Tage auf der Suche nach dem Ausgang endlos mit dem Fahrrad unterwegs. Bis ich mit einem Fahrstuhl und dem Fahrrad wieder an die Oberfläche gelange – und in einem Kaufhaus lande. Genauer: im zweiten Stock eines Kaufhauses. Also stehe ich nun mit meinem Damenrad in der Herrenabteilung. Anschließend bin ich der erste Deutsche mit einem Damenfahrrad auf einer abwärts führenden finnischen Rolltreppe. Die Finnen um mich herum tun so, als sei das normal. Ich auch. Hyvää! Gut so!

Am nächsten Morgen rolltreppe ich den gleichen Weg zurück. Sicher ist sicher. Ich finde trotzdem in den Katakomben mein Auto nicht wieder. Als ich es dann doch entdecke, finde ich mit dem Wagen nicht wieder hinaus. Meine Abfahrt zur Rundfahrt verzögert sich in den Parkhöhlen von Helsinki um zweieinhalb Tage. Ab Tag zwei begrüßen mich die Dauerparker wie einen alten Bekannten. Die Ersten beginnen bereits, mir Nahrung mitzubringen. Die zweite Nacht geht über in eine lange Party an meiner offenen Kofferraumklappe. Wir tanzen zu meiner Abba-CD. Kurzzeitig zieht eine Finnin mit Liege zu mir. Dass zu Hause meine Freundin, der die Abba-CD gehört, auf mich wartet, ist ihr egal. Sie versteht kein Deutsch, sagt die Liegefinnin auf Englisch.

Wenn ich mit dem Wagen anderen finnischen Autofahrern zum Ausgang folgen will, schütteln sie mich ab. Dafür steht an jedem Parkplatz ein Wascheimer mit Wasser und Wischer zum Scheibenwaschen bereit. Und Eimer und Wischer stehen übrigens auch noch da, wenn der Finne hinausfährt. Hier kommt nichts weg. Und das hat seinen Grund. Der Finne lebt nach dem Motto: ein Mann, kein Wort. Man muss nicht mal drüber reden. Gesetze und Regeln sind hier nicht zum Spaß gemacht, sondern zum Einhalten und Befolgen. Und der Finne hält eben auch, was er nicht verspricht.

Endlich habe ich die rettende Idee, eine Mischung aus „Hänsel und Gretel“ und Ariadnefaden. Ich stoppe ein Auto, das hinausfahren will, und putze ihm die Scheiben. Der Finne bedankt sich und gibt mir einen Euro. Im letzten Moment übergieße ich seinen Wagen mit dem Eimerinhalt, starte blitzschnell mein Auto und folge den Tropfen hinaus aus dem unterirdischen Labyrinth. Nun kann meine Reise endlich beginnen. Ympäri Suomen! Rund um Finnland!

BERND GIESEKING

(Fortsetzung nächsten Dienstag)

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