Die Wahrheit: Nation Atemlos

Das Deutschlandlied wird nicht nur von Fußballspielern verweigert. Darum bekommt die Nation eine tanzbare Hymne mit einprägsameren Lyrics verpasst.

So geht Hymne! Helene F. macht jedes Stadion zum Fischerchor. Bild: Daniel Reinhardt/dpa

„Als Weltmeister kann ich sagen, diese Entscheidung war überfällig“, jubelt Nationaltrainer und Schlagerfan Joachim Löw kurz vor dem Bundesligastart. Es sei der „lätschte Tropfen“ auf den heißen Stein seiner Vertragserfüllung zum Wohle der Fußballnation, so Löw ungewohnt metaphernlastig in der Pause eines Fotoshootings für Bodylotion. Wovon spricht Löw? Nun, Bundespräsident Joachim Gauck hat ihm soeben per SMS mitgeteilt, dass es schon beim nächsten Freundschaftsspiel seiner Elf eine neue, viel mitreißendere Nationalhymne geben wird.

Den Zuschlag für Text und Musik der neuen Hymne erhielt Schlagerikone Helene Fischer – wohl nicht zuletzt wegen ihres spektakulären Stöckelschuh- und Bauchfrei-Auftritts während der WM-Feier am Brandenburger Tor.

„Wummernde Beats, saubere Show und ein geiler Body“, klärt Kirchenliedexperte Gauck das deutsche Volk kurze Zeit später in einer eilig anberaumten Fernsehansprache über die Vorzüge der neuen Hymnendichterin auf. „Wie keine andere Frau repräsentiert sie perfekt das perfekte, moderne und liebenswürdige Deutschland.“

Zudem hätten sich Spieler und Fans bei Helene Fischers Auftritt in Berlin auffallend textsicher gezeigt. „Auf die alte Hymne hatte ich halt nie Bock“, gibt Sangesverweigerer Özil zu. Viele seiner Kollegen hatten außerdem die komplizierten Darbietungsvorschriften des Deutschlandliedes verwirrt. „Die erste Strophe darf nur Heino singen“, hatte etwa Lukas Podolski bis vor Kurzem geglaubt. Deshalb soll künftig Fischers Nummer-1-Hit „Atemlos durch die Nacht“ das charttaugliche Grundgerüst der neuen Hymne liefern. „Da kann man unbesorgt alle Strophen durchbrettern“, verkündet Gauck schmunzelnd.

Er blickt konzentriert in die Kameras und drückt einen roten Buzzer, den man auf seinem Rednerpult platziert hat. Sir Simon Rattles Philharmoniker werden zugeschaltet, aber auch Pharrell Williams, der für die international anerkannten Beats verantwortlich zeichnet. Gaucks graues Haupthaar wippt auf und ab. Dann beginnt er mit seiner in unzähligen Kirchenchorproben zerknödelten Stimme die fetzige neue Hymne zu singen, während ein Ball über die eingeblendeten Zeilen flitzt und das ganze Fernsehvolk zum Fischerchor wird:

In Einigkeit und Recht und Freiheit durch die Nacht;

Spür, was dies Vaterland mit uns macht;

Atemlos, schwindelfrei, großes Kino,

danach lasst uns alle streben, seid dabei;

Wir sind heute ewig, tausend Glücksgefühle;

Alles, was ich bin, teil ich brüderlich mit dir

Wir sind unzertrennlich, irgendwie unsterblich;

Komm, nimm mein Herz und meine Hand.

Ich liebe dich, drum blühe, deutsches Vaterland. Oho, oho.

„Vielen Bürgern und den meisten Spielern der deutschen Nationalmannschaft kommt ein Text mit kurzen, leicht einprägsamen Satzfetzen entgegen“, erklärt Gauck anschließend außer Atem. „Er lässt Raum für eigene Lyrics, es soll ja auch eine Mitmach-Hymne sein.“ Außerdem sei das Deutschlandlied zum ersten Mal in der deutschen Geschichte tanzbar – sogar als Discofox.

„Wir machen die gesamte Republik zum Tanztee“, jubelt der Präsident, bevor er sichtlich stolz nach seinen Notizen greift und abgeht. Sekunden später tritt er, von seinen Mitarbeitern gedrängt, noch einmal vor die Kamera. „Wir machen Schland zur 24/7-Partymeile, wollte ich sagen“, berichtigt sich Gauck und wirft sich in die berühmte Saturday-Night-Fever-Pose.

Selbstverständlich melden sich auch Kritiker. „Wir werden dagegen Protest einlegen“, teilt der Verbandschef der deutschen Asthmatiker, Klaus Marelke, mit. Das Lied werde auch weiterhin dringend als Verbandshymne gebraucht. Helene Fischer ließ dagegen verlauten, dass sie sich „extrem supidoll“ freue. Leider könne sie selbst gerade nicht nach Berlin kommen – die Chanteuse feiert heute ihr 30. Wiegenfest im heimischen Wöllstein, das sie zur Feier des Tages brandschatzen und niederreißen lässt. „Unsere gemeinsame Zeit wird sicherlich noch kommen“, ahnt Gauck im Anschluss an seine Hymnen-Präsentation im Interview mit Frauke Ludowig. Der protokollarisch ranghöchste Mann Deutschlands ringt noch immer nach Luft. „Ich will Ihnen heute ein Geheimnis verraten“, nuschelt Gauck dann und legt seine Hand auf Ludowigs Knie. „Schon als Pastor im Osten habe ich immer Schlagertexte zur DDR-Hymne gesungen“, gesteht er. „Gern was von der Münchener Freiheit. Aber auch ’Die Freiheit ist ein Abenteuer‘ von Gunter Gabriel.“ Eine Träne der Rührung verleiht dem Staatsoberhaupt für einen kurzen Moment fast menschliche Züge. Endlich hat Deutschland einen Präsidenten, der sein Land liebt. Und dieses Land liebt Helene Fischer.

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