Die Wahrheit: Ein Karnickel auf der Motorhaube

Fahren ohne Anschnallgurt: Im englischen Wales macht einem die Polizei dafür nicht nur einen Strich durch die Rechnung.

An manchen Tagen hat man einfach schlechte Laune. Dann reicht eine Kleinigkeit, und man rastet aus. Einen solchen Tag hatte offenbar der walisische Polizist Mike Baillon erwischt. Dabei war alles ganz harmlos losgegangen. Er und seine beiden Streifenkollegen hatten den 74-jährigen behinderten Rentner Robert Whatley in seinem Range Rover angehalten, weil er nicht angeschnallt war. Die Beamten nahmen die Daten des Fahrers auf und verpassten ihm einen Strafzettel.

Whatley nahm an, dass die Sache damit erledigt sei – und fuhr los. Für die Polizisten war der Fall jedoch noch lange nicht erledigt. Angeblich hatte Whatley sie beleidigt. Sie nahmen die Verfolgung auf. Das Rennen wurde von der am Streifenwagen montierten Kamera gefilmt. Es dauerte eine Viertelstunde und führte 15 Kilometer lang durch schmale Landstraßen in Südwales.

Whatley ließ sich durch die heulende Sirene hinter ihm nicht beeindrucken. Er glaubte, die freundlichen Beamten würden ihn nach Hause eskortieren. Welch Irrtum. Weder handelte es sich um Begleitschutz noch um freundliche Beamte. Das bekam Whatley zu spüren, als sie ihn endlich gestellt hatten. Baillon sprang wie ein wilder Stier aus dem Wagen und hämmerte mit seinem Schlagstock 15-mal gegen Whatleys Seitenfenster, bis die Scheibe zerbarst.

Dann griff er durch das Fenster, schnappte sich den Zündschlüssel und sagte zu Whatley: „Beruhigen Sie sich, es ist vorbei.“ Sein Kollege beruhigte sich jedoch keineswegs. Er hüpfte wie ein tollwütiges Karnickel auf der Motorhaube herum und versuchte die Windschutzscheibe einzuschlagen. Schließlich zerrte er den verschreckten Rentner aus dem Auto. Dann brach der Film ab.

Damit war die Sache aber nicht vorbei. Offenbar stellten garstige Kollegen das kleine Amokvideo ins Internet. Binnen kürzester Zeit wurde es 30 Millionen Mal aufgerufen. Baillon wurde gegen seinen Willen weltberühmt. Seine Kollegen gaben ihm den Rest. Sie machten sich täglich über ihn lustig und beschmierten seinen Spind mit Anspielungen auf den „Whatley-Zwischenfall“. Schließlich reichte es seinem Vorgesetzten: Er versetzte Baillon in den Innendienst, weil er befürchtete, dass er im Außendienst von Übeltätern ausgelacht würde.

Baillon klagte. Er sagte, isoliert betrachtet sehe das Video möglicherweise furchtbar aus, aber Polizeiarbeit sei nun mal mitunter hässlich. „Ich hatte die Situation vollkommen unter Kontrolle“, sagte er, seine Aktion sei wie aus dem Lehrbuch fachmännisch durchgeführt worden. Und die eingeschlagene Scheibe? Baillon erklärte, er habe gar nicht erst versucht, Whatleys Tür auf konventionelle Weise zu öffnen, da er vermutete, dass sie abgeschlossen sei.

Das Gericht stimmte Baillon zu. Es sprach ihm für entgangene Pensionsansprüche, die Degradierung und den damit verbundenen Stress 440.000 Pfund zu.

Whatley bekam für seinen Stress und den Schaden an seinem Range Rover 20.000 Pfund. Aber davon muss er wegen Verletzung der Gurtpflicht 235 Pfund Strafe und die Gerichtskosten zahlen.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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