Die Grünen in der Berlin-Wahl: Das Anti-Kretschmann-Projekt

Die Spitze des Landesverbandes ist pragmatisch und konsensorientiert. Doch unterhalb der obersten Riege ist der Landesverband entzweit.

Daniel Wesener, Bettina Jarasch, Ramona Pop und Antje Kapek tragen Wahlplakate über einen Zebrastreifen

Die Vier im Anmarsch. Aber wer siegt? Foto: dpa

BERLIN taz | Sie werden wieder dabei sein. Endlich. Zum ersten Mal nach dem eineinhalbjährigen rot-grünen Intermezzo zu Mauerfallzeiten werden die Grünen in der Berliner Landesregierung sitzen, dem Senat. Denn wenn nicht gleich vier Umfrageinstitute komplett daneben liegen, dann herrscht nach der Landtagswahl am Sonntag in den nächsten fünf Jahren Rot-Rot-Grün. Die SPD liegt derzeit bei 21 bis 24, die Linke bei 14 bis 15 und die Grünen kommen auf 15 bis 18 Prozent. Mitregieren wird aber nicht die Alternative Liste von 1989: An der Grünen-Spitze stehen vier sehr pragmatische und konsensorientierte Figuren.

Lange genug hat ihr Landesverband warten müssen. Dreimal hintereinander hatten sich die Grünen der SPD als Partner angeboten, dreimal wurden sie enttäuscht: Nach den Wahlen 2001 und 2006 koalierte die lieber mit der Linkspartei, 2011 überraschend sogar mit der CDU. Das könnte einen vorsichtig machen mit klaren Festlegungen. Doch Rot-Rot-Grün ist keine reine Gefühlssache: Es ist die einzige Koalition, die jenseits von Bündnissen mit der AfD überhaupt eine Mehrheit im künftigen Landtag hätte, der hier Abgeordnetenhaus heißt. Weder Jamaica noch eine Ampel bekommt das nach jetziger Lage hin, und jegliches Zweierbündnis sowieso nicht.

Personell ist es ein Anti-Kretschmann-Projekt, mit dem die Grünen ihren Wahlkampf bestritten und gute Chancen haben, ihr Rekordergebnis von 2011 mit 17,6 Prozent zu übertreffen. Der Ein-Mann-Show in Baden-Württemberg steht in Berlin ein Viererspitzenteam aus den beiden Landesvorsitzenden und den zwei Fraktionschefinnen gegenüber. Das hat vor allem damit zu tun, dass es bei den hiesigen Grünen keine herausragende Figur wie Kretschmann gibt.

Sie setzen daher auf Breite. Die beiden Fraktionschefinnen Ramona Pop, 38, und Antje Kapek, 39, machen einen soliden Job im Abgeordnetenhaus. Pop ist die bekanntere und deshalb im Spitzenteam auf Platz 1. Und die Parteivorsitzenden schaffen es seit über fünf Jahren, einen weiterhin tief zwischen Linken und Realos gespaltenen Landesverband über Lagergrenzen hinweg respektiert zu führen.

Das Spektakulum

Die beiden sind das eigentliche Spektakulum, weil sie lebensweltlich nicht weiter auseinanderliegen könnten. Da ist Daniel Wesener, 40, vormals Mitarbeiter der Linken-Ikone Hans-Christian Ströbele und Fraktionschef der linken Kreuzberger Grünen. Einer, der vor Jahren noch allen Koalitionsideen jenseits von Rot-Grün entgegenrief: „Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht.“ Und dann ist da Bettina Jarasch, 47, lange Mitarbeiterin von Renate Künast, aktuell katholische Pfarrgemeinderatsvorsitzende und sowohl Mitglied im Zentralkomitee der Katholiken wie im Grünen-Bundesvorstand. Nie zerlegten sich die beiden öffentlich oder ließen sich gegeneinander ausspielen.

Das konnten und können sich die beiden allerdings auch nicht leisten. Denn unterhalb der so gut harmonierenden obersten Führungsebene ist der Landesverband entzweit. Da gibt es jene, die auf Stadtbezirksebene mit der CDU koalieren und dann eben vor allem die Kreuzberger – die mit dem einzigen grün-regierten Bezirk der Stadt und dem einzigen direkt gewählten grünen Bundestagsmitglied, Ströbele.

Der Graben bei den Grünen ist längst nicht zugeschüttet – nur überbrückt

Nach der Wahl von 2011 und den gescheiterten Koalitionsgesprächen mit der SPD zerlegte es fast die neue Fraktion, die Linken drohten mit Abspaltung. Pops damaliger Kofraktionschef, Realo wie sie, warf hin und fand eine neue politische Heimat bei Kretschmann, wo er heute Staatssekretär ist. „Der große Graben“, titelte die taz in Anlehnung an den „Asterix“-Band 25.

Dass dieser Graben längst nicht zugeschüttet, sondern nur mit dem Duo Wesener/Jarasch überbrückt ist, zeigte sich im Frühjahr: Pop erhielt bei ihrer Wahl auf Platz 1 der Kandidatenliste nur 61 Prozent. Und als sie fünf Wochen später beim Programmparteitag sprach und Standing Ovations bekam, blieben linke Delegierte gleich blockweise sitzen und versagten ihr Applaus. Unter anderen Umständen könnte das die SPD auch ein viertes Mal von einer Koalition mit den Grünen abhalten. Doch dieses Mal hat sie ja keine andere Wahl.

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