Der „Harlem Shake“: Shake your Moneymaker

Wer darf am kulturellen Kapital von Harlem verdienen? An der Popularität des Sounds „Harlem Shake“ im Netz hat sich ein Streit entfacht.

„Harlem Shake“-Flashmob in New York. Bild: dpa

Mittlerweile kennt es jeder. Eine Stimme sagt „con los terroristas“, dann kommen ein paar Synths, und einer wackelt. Darauf fordert ein Sample „Do the Harlem Shake“, der Beat setzt ein, und alle wackeln. Nach 30 Sekunden ist Schluss. Nachdem der Comedian Filthy Frank vor vier Wochen sein Video zu „Harlem Shake“ ins Netz gestellt hatte, bringt er Büros, Schulklassen und Sportvereine zum Tanzen.

Produziert hat „Harlem Shake“, den Soundtrack zu den unterschiedlichen Varianten der Wackelvideos, der Brooklyner Produzent Baauer. Wie fast jeder bekanntere Dancetrack der letzten Jahre ist auch Baauers „Harlem Shake“ eine Aneignung.

Das „con los terroristas“ vom Beginn des Stücks stammt aus einem Reggaeton-Remix, der Aufruf „Do the Harlem Shake“ ist eine Zeile des Rappers Jayson Musson von 2001. Der Rhythmus ist einer dieser typischen Beats, die seit dem letzten Jahr unter dem Label „Trap“ die Soundcloud-Accounts der Hipsterjugend zieren.

Auch wenn Baauer sich von den plattesten Klischees des Trap – einer HipHop-Variante aus den Südstaaten – ferngehalten hat, droht ihm aufgrund seines laxen Umgangs mit Quellen Ärger. Seit ein paar Tagen kursiert ein Video im Internet, in dem die Bewohner Harlems ihren Unmut kundtun. „Das ist nicht der Harlem Shake, B.“, meint einer, ein anderer bezeichnet den Tanz im Video als „Trockenfick mit der Luft“.

Standard im HipHop

Der Original-Harlem Shake war in den 90er und Nullerjahren ein Standard in vielen New Yorker HipHop-Videos, nachdem er in den frühen Achtzigern als Pausentanz auf dem Harlemer Basketball-Feld Rucker Park zu lokaler Berühmtheit gelangt war. Er ist eine slicke Bewegung aus Schultern und Hüfte und weniger das unförmige Gewackel, das man aus den meisten „Harlem Shake“-Videos kennt.

Aber hinter den Kommentaren der Harlemer steckt weniger die Sorge, „ihre“ Kultur könnte veralbert werden, als die Ökonomie. Harlem ist das kulturelle Zentrum des schwarzen Amerika – von Langston Hughes über das Blue Note Café bis hin zu HipHop. Genau dieses Harlem droht im Zuge der wiedererstarkenden Gentrifizierung langsam zu verschwinden.

Der aus Puerto Rico stammende Reggaeton-Musiker Hector Delgado, die Stimme hinter dem „con los terroristas“-Sample, droht sogar damit, Baauer zu verklagen. So flammt ein alter Vorwurf wieder auf, der auch gegen Baauers Label Mad Decent immer wieder erhoben wird – der des Popkulturimperialismus.

Auf der Suche nach neuen Sounds, so die Anschuldigung, tauchen diese kurz in südamerikanische oder afrikanische Dancemusic ein, adaptieren die offensichtlichsten Stilelemente für ihre Tracks, die ein College-Publikum in den USA und Europa bedienen. Auf diese Weise verbrennen sie ganze Stile in den Hypezyklen westlicher Musiknerds. Mad Decent verschaffen sich dabei nicht zuletzt ökonomische Vorteile.

Denn stärker noch als „Gangnam Style“ zeigt „Harlem Shake“ die ökonomische Machtverteilung in einer auf Partizipation angelegten digitalen Popkultur. Hierbei geht es weniger um die Nebeneffekte wie verkaufte MP3s oder eine höhere Ticketnachfrage für Baauers DJ-Gigs als um die Konzentration von Aufmerksamkeit, die zu Geld wird.

Mad Decent hat Anfang 2012 einen Vertrag mit dem Dienstleister INDmusic abgeschlossen, der auf YouTube Werbung von den Videoclips des Labels schaltet. Gleichzeitig nutzt INDmusic die Content-ID Algorithmen von YouTube, um feststellen, in welchen Videos „Harlem Shake“ für den Soundtrack verwendet wurde. So erhalten Mad Decent und damit auch Baauer einen Teil der Werbeeinnahmen, die YouTube mit diesen Clips erzielt.

Nur zum Vergleich: Laut eigenen Angaben verdiente YouTube mit knapp 1,2 Milliarden Aufrufen der unterschiedlichen Versionen von Psys „Gangnam Style“ rund 8 Millionen Dollar. Psy selbst erhielt laut AP aus Werbeeinnahmen über YouTube gut 870.000 Dollar. Bis letzte Woche Donnerstag wurden die unterschiedlichen Versionen von „Harlem Shake“ gut 103 Millionen Mal angesehen. Zwar schweigt YouTube auch auf Anfrage bislang über die genaue Vergütung dieser Werbung, aber die Verteilung dürfte nicht sich nicht verändert haben.

Der ausgeschlossene Dritte dieser Win-win-Situation zwischen Urheber und Medienkonzern sind diejenigen, die den eigentlichen Wert des „Harlem Shake“ – die in ihm konzentrierte Aufmerksamkeit – erzeugen, nämlich die Abermillionen ZuschauerInnen und die TänzerInnen, deren „Trockenfick“-Bewegungen die 93.000 „Harlem Shake“-Videos zieren. An ihren 30 Sekunden des Ruhms verdienen allerdings zuerst die anderen.

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