Der zeozwei Wochenüberblick #11: Ist die Plastiktüte Pipifax?

Die Fünf-Minuten-Lektüre für Ökos und solche, die das eigentlich nie werden wollten.

Die Plastiktüte als Symbol der Wegwerfgesellschaft. Bild: dpa

Die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat mit dem Handelsverband HDE eine freiwillige Vereinbarung ausgedealt, nach der Einzelhändler ab 1. April für Plastiktüten soviel Geld verlangen, wie sie selbst für richtig halten. Verlangen sie gar nichts, kann man auch nichts machen. Ist ja freiwillig. Das ist eine klassische Strategie zur Vermeidung einer gesetzlichen Regelung. Und der beste Weg zur Vermeidung einer deutlichen Reduzierung des Plastiktütenverbrauchs. „Freiwillig” funktioniert so etwas nie. Die Deutsche Umwelt-Hilfe (DUH) fordert eine gesetzliche Plastiktüten-Abgabe von 22 Cent.

In Deutschland werden pro Jahr mehr als sechs Milliarden Plastiktüten verbraucht.

Nun kann man sagen: Ist das nicht schon wieder eine dieser ideologischen Öko-Attacken? Die dann faktisch gar nichts bringen? Habt ihr im Angesicht der Gegenwart in Deutschland, der EU und der Welt keine anderen Sorgen als Plastiktüten?

Darauf kann man antworten: Doch, wir haben auch andere Sorgen. Aber nein, das ist kein Pipifax.

Die Plastiktüte ist nicht nur das Symbol einer Wegwerfgesellschaft, die keine Zukunft hat, sie ist mitverantwortlich für Zerstörung von Lebensräumen und hat dauerhaften schädlichen Einfluss auf Natur und Nahrungsketten.

Die Iren zeigen wie es geht

Man kann den Plastiktütenverbrauch durch einen Preis radikal senken, wie sich am Beispiel Irlands gezeigt hat. Jede Plastiktüte kostet dort 22 Cent, und damit wurde der Verbrauch von über 300 auf 16 pro Mensch und Jahr reduziert. Die Iren haben einfach - im Gegensatz zu den Deutschen - eine Richtlinie der Europäischen Union vom April 2015 umgesetzt.

Wir haben es hier auch nicht mit „Regulierungsirrsinn der EU” zu tun, wie gerne und strategisch gezetert wird. Das wirkliche Problem, sagt die DUH, ist nicht Regulierung, sondern die fehlende staatliche Regulierungskontrolle, wie sich auch bei den gesundheitsbedrohenden Emissions-Betrügereien der Autoindustrie zeigt. Das Verkehrsministerium ignoriert den Skandal, die Regierung kämpft in Brüssel nicht für weniger, sondern für mehr Abgase. Manche argwöhnen schon, die einzige funktionierende Kontrolle übe die Industrie gegenüber der CDU/SPD-Bundesregierung aus.

Naja, das ist jetzt etwas hart, aber das ist die Realität eben auch.

Es geht hier nicht darum, ob Menschen ihre Jutetasche sowieso immer selbst mitbringen. Oder ob sie sie mal vergessen und sich wahnsinnig ärgern, wenn sie doch mal eine Plastiktüte brauchen. Das ist Kultur. Die einen haben sie, die anderen haben sie nicht.

Hier geht es um eine ordnungspolitische Maßnahme, deren Vorteile für das Gemeinwesen eindeutig überwiegen gegenüber Einzelinteressen von Kunden und Unternehmen. Deshalb muss es auch eine feste, relativ hohe, staatliche „Abgabe” sein, die dann in Effizienzprojekte fließt und darf kein neuer privatwirtschaftlicher Plastiktütenmarkt werden, der auf Expansion angelegt ist.

In Deutschland werden pro Jahr mehr als sechs Milliarden Plastiktüten verbraucht. Durch das irische Beispiel kann man erwarten, dass mit einem Preis die Zahl sehr schnell, sehr stark runtergeht. Irgendwann kann das Produkt dann ganz verschwinden.

Die Deutschen sind so gut organisiert und strukturiert, heißt es immer. Ich traue es ihnen zu, dass sie ein glückliches Leben ohne Plastiktüten hinbekommen.

Doch dafür braucht es politischen Willen im Ministerium Hendricks. In diesem Moment sind wir fünfmal schlechter als die Iren. Die Iren! Das kann die SPD nicht auf uns sitzen lassen.

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That wraps it up for today. Until next week: Keep your feet on the ground and keep reaching for the stars.