Der Fortsetzungsroman: Kapitel 20: Männerabend

Was bisher geschah: Leena und ihre Club-Bekanntschaft Gaga entfliehen den Bodyguards, um weiter nach der Lust zu suchen - incognito, versteht sich.

Der Weg dauerte ewig, weil Joe sich in die Oberbaumbrücke verliebt hatte. Bild: Franka Bruns ap

Sie sprangen aus dem Fenster und schlichen sich vom Clubgelände. Zu Leenas Bedauern wartete diesmal keine Limousine, um sie zum Mehringdamm zu bringen, wo es die angeblich beste Currywurst der Stadt gab.

„Egal“, entschied Joe. „U-Bahn ist eh besser. Ich will Berlin erleben!“

Das wirst du, dachte Leena. Nachts in Drag in der U-Bahn. Na danke. Am Kiosk im U-Bahnhof holten sie sich zwei Pils. DIE LUST kippte Leena einige Tropfen aus einem braunen Fläschchen ins Bier. Sie entspannte sich beinahe sofort. Die U-Bahn-Fahrt verlief erstaunlich friedlich – Joe betrachtete die Menschen, Leena ihr fremdes Spiegelbild im Fenster. Nach einer Dreiviertelstunde standen sie in der Schlange vor der Currywurstbude.

„Wie aufregend!“, murmelte Joe in seinen Bartschatten.

„Was genau?“

„Das Anstehen. Ich stehe sonst niemals an.“

„Beneidenswert“, sagte Leena und zahlte. Sie schoben ihre Pappteller auf einen der Stehtische. Joe, der vor einigen Stunden noch als androgynes Wesen im Spiegelscherbenoutfit die Tanzfläche beglitzert hatte, war ohne Absätze nur wenig höher als der Tisch.

„Du solltest ein Foto von ihr schießen und es an Perez Hilton verkaufen!“, schlug DIE LUST vor.

„An wen?“, fragte Leena. DIE LUST stöhnte. Joe streckte sich über den Tisch, um Leenas Pommes zu erreichen.

„Wahrscheinlich vermisst sie ihre Killer-High-Heels“, spottete DIE LUST.

„Er“, korrigierte Leena. „Seine“. Und dann: „Klappe!“ Es funktionierte – DIE LUST verstummte. Der Bart und die geliehenen Klamotten, das Baseballcap und die zu großen Sneakers schienen Leenas Alter Ego Filip die Autorität zu verleihen, die sie selbst nicht aufbringen konnte. Erstaunlich, befand sie und pickte aus Angst um ihren Bart jede Pommes einzeln. Joe schob sich den letzten Currywurstzipfel in den Mund und hieb Leena dann begeistert mit der flachen Hand zwischen die Schulterblätter. „Und jetzt zeigst du mir, wie du deine Nacht verbringen würdest!“

Zuhause, dachte die alte Leena. Im Bett vermutlich. Ihre Filip-Seite, angenehm aufgeputscht von der wüsten Mischung unterschiedlichster Substanzen, die DIE LUST ihr eingeflößt hatte, war deutlich fantasievoller. „Wir werden ein Taxi brauchen.“

Der Weg dauerte ewig, weil Joe sich in die Oberbaumbrücke verliebt hatte. In seiner Begeisterung nötigte er die Taxifahrerin, sie zur Schillingbrücke zu fahren, um von dort aus ein Panoramafoto des Kreuzberger Wahrzeichens zu schießen. Erst nach über einer halben Stunde betraten sie die Karaoke-Bar an der Warschauer Straße. Aus den Karaokekabinen drang Gelächter. Joe grunzte beglückt. Hinter der Bar stand ein Mensch, dessen Augenringe Joes (aufgeschminkten) durchaus Konkurrenz machen konnten.

„Ist noch eine Box frei?“, überschrie Leena den Geräuschpegel.

„Ausgebucht“, rief er emotionslos zurück. „Aber ihr könnt auf die Open Stage.“

DIE LUST klatschte begeistert in die Hände. Der Barkeeper schob das Kaugummi in die andere Backentasche. „Wollt ihr was trinken?“, fragte er gleichgültig.

„Whiskey“, orderte Joe über Leenas Schulter hinweg. „Zwei. Kein Eis.“

Leena wippte im Takt des City-Songs, der von der Bühne zu ihnen drang. Joe schob eine Kreditkarte über den Tresen. American Express. Platin. Der Barkeeper schob die Karte ungerührt zurück. „Sorry“, kaugummikaute er. „Cash only.“

Joe sah Leena hilfesuchend an.

„Kein Problem“, sagte sie. „Heute geht alles auf mich.“ DIE LUST drückte ihr ein Bündel Scheine aus dem Plastikbeutel mit dem Kasinogewinn in die Hand. Die Summe hätte für mehrere Whiskeyflaschen in Leenas Alter gereicht, doch Leena reichte sie kommentarlos an den bleichen Barknaben weiter.

„Stimmt so“, soufflierte DIE LUST.

Leena drehte sich wortlos weg. Sie schlenderte hinter Joe in Richtung Bühne, auf der sich eine Blondine im Kuhkostüm, das weniger queer als vielmehr nach Junggesellinnenabschied aussah, erfolglos an einem Rihanna-Song versuchte. Joes Kichern war eine Tonlage zu hoch für seinen Habitus. Leena sah sich um und nahm einen Schluck Whiskey. „Meinst du, die glauben echt, dass wir Kerle sind?“, fragte sie.

„Mir egal – solange sie nicht auf die Idee kommen, dass ich ich bin. ... Und davon abgesehen: Sieht nicht so aus, als würde es hier einen Unterschied machen, was du bist.“ Joe deutete auf eine hünenhafte Gestalt, die auf die Bühne stakste, sich die Perücke zurechtrückte und die Lippen nachzog, um dann im besten Bass Eminem anzustimmen. Ausgerechnet.

„Hast du Lust?“, fragte Leena.

„Lust?“, erwiderte Joe und verzog in bester Elvis-Manier die Oberlippe. „Lust ist gar kein Ausdruck!“

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