Der Fortsetzungsroman: Kapitel 14: Zwischen Streusand und Streisand

Irgendwie beruhigend zu wissen, dass unser Nachname schon 1944 vor Witzen nicht sicher war. Aus den USA kam später dann sogar Post.

Die berühmte West-Verwandtschaft schickte keine Jeans, nur eine Karte. Bild: dpa

Es dauerte dann doch noch sechs Wochen bis Jena. Die Organisation Todt ließ sich offenbar Zeit. Auf dem Arbeitsamt fand man eine andere Verwendung für meinen Großvater. Er kam auf den Goldberger Schuttplatz. "Viel frische Luft und reichlich zu essen", beschrieb er die neue Beschäftigung euphemistisch und fragte, ob Mütterchen sich jetzt von ihm scheiden lasse, wo er so degradiert worden sei. Knalltüte.

Am 14. November 44 schreibt er mittags beim Essen im Restaurant Schwarzer Adler, wo die Kantine für die Goldberger Zwangsarbeiter eingerichtet war:

"Mein liebstes Herz,

erstmal einen Glückwunschkuss. Heute sind wir ein halbes Jahr alt. Zum Einjährigen kriegst du ihn hoffentlich schon real im Murkelheim."

Ich rechne zurück. Im Mai haben sie sich kennengelernt? Erst? Ich dachte, das war schon im Winter 43/44. Vielleicht haben sie sich im Mai zum ersten Mal geküsst. Oder hatten zum ersten Mal Sex. Ich blättere zurück. Tatsächlich. Der Brief, den ich im achten Kapitel zitiere, der anfängt mit den Worten: "Müde und glücklich, glücklich und müde", der ist vom 15. Mai. Im Juli haben sie sich verlobt. Im August kam seine Schwester nach Guben zum Vorstellungsgespräch bei Mütterchen. Im Oktober hat er seinen Eltern von der Verlobung erzählt. Ausgerechnet zu ihrer silbernen Hochzeit.

Mumi, meine Urgroßmutter, missbilligte das ganze Unternehmen zutiefst. "Halsstarrig", nannte sie die Verlobung, "realitätsfremd". Ich glaube, sie fand es blöd, dass Mütterchen so viel älter war, eine Schauspielerin, keine Jungfrau mehr und dass sie Mumis Erstgeborenen verführt hatte. Es passte nicht in ihr Weltbild. Sie war eine hochanständige Frau. Hat ihre Lieben mit Löwenmut verteidigt. Aber Anstand und Disziplin waren ihr doch immer der Garant für ein friedliches Leben. Diese Überzeugung ließ sie sich auch durch die Nazibürokratie nicht madig machen. Schon damals hat meine Urgroßmutter ihrer Zuneigung durch Zensuren Ausdruck verliehen. Sandy hat Mütterchen manchmal Durchschläge der Briefe geschickt, die er seinen Eltern auf der Schreibmaschine getippt hatte und dann Erklärungen für Mütterchen hinzugefügt. Am 9. November erzählt er: "Mumi hat mir für meine munteren Briefe (und anscheinend auch für die sich darin beweisende Seelenstärke) eine 1a im Betragen erteilt." Das klingt wie ein Witz. Ist aber keiner. Mumi hat auch den Enkelkindern später Zensuren gegeben, richtige Kopfnoten. Betragen, Ordnung, Fleiß, Mitarbeit. Von jedem Besuch bei der Großmutter brachten Tante Erna und ihre Schwester kleine Zeugnisse mit nach Hause. "Und Beate hatte immer eine Eins!" Das wurmt Tante Erna heute noch. Mütterchen hat über diese Marotte ihrer Schwiegermutter nur gelacht und die Zettel als Kohlenanzünder benutzt. Unterschiedlicher als die beiden waren, können zwei Frauen kaum sein. Kein Wunder, das Ganze.

Beate hat sich dann später wiederum furchtbar geschämt für die Entschuldigungszettel, die Mütterchen ihr in die Schule mitgegeben hat, wenn sie krank war: "Beate konnte heute nicht zum Sport kommen. Ihr war schlecht." Kurz und bündig. Alles gesagt.

Am 14. November 1944 schreibt Sandy abends noch ein Postscriptum unter den Brief:

"Weißt du übrigens, was ich heute gemacht habe? S t r e u- s a n d! Weil kein Wagen zum Sandholen frei war, beschäftigten wir uns mit dieser Wintervorbereitung: Sand zum Strassestreuen durchsieben. Ergötzliche Szenen wären denkbar, z. B. wenn einer kommt und fragt: ,Wie heissen Sie?'

- ,Streisand.'

- ,Nein. Nicht Was machen Sie?, sondern Wie heissen Sie?.'

- ,Streisand.'

- ,Herrgott, sind Sie blöd!'

Oder:

- ,Was machen Sie da?'

- ,Streusand.'

- ,So heissen Sie doch! Was machen Sie?'

Usw. usf."

Irgendwie beruhigend zu wissen, dass der Name schon 1944 vor Witzen nicht sicher war. Wenn Tante Erna und ich uns heutzutage gegenseitig anrufen und die andere sich mit Nachnamen meldet, sagt die Anruferin immer: "Ach? Echt? Streisand? Wie diese berühmte amerikanische Schauspielerin? Sind Sie irgendwie verwandt?"

Ja. Sind wir. Aber sie weiß nichts davon.

Mein Großvater war ein großer Verehrer der amerikanischen Schauspielerin, da hat er sich für die deutsche Schauspielerin schon nicht mehr interessiert. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre hat er ihr einen Brief geschrieben. Auf Englisch. Ihre Großeltern väterlicherseits waren galizische Juden, genau wie unsere Vorfahren. Vielleicht sind die Streisands im 19. Jahrhundert alle zusammen ins damalige Preußen emigriert, und ein Teil von denen ist dann nach Amerika weiter. Wir wissen es nicht. Wir wissen nur, dass von den Streisands, die in Europa blieben, nicht viele überlebten. Und dass alle, die heute so heißen, verwandt sind.

"Lassen Se sich doch mal 'n Paket schicken!", wurde Tante Erna zu Ostzeiten manchmal empfohlen. Es gab ja nichts Cooleres als Westverwandtschaft. Die Vorstellung von familiären Beziehungen in die USA muss den meisten Leuten geradezu paradiesisch vorgekommen sein. "Vielleicht kriegen Se 'n paar echte Jeans", haben die Leute gesagt, und ihre Augen haben geleuchtet.

Eine Karte war alles, was zurückkam, eine stinknormale Autogrammkarte. Keine Ahnung, ob der Brief je bis zu ihr durchgedrungen ist.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.