Der Fall Lichtenberg: Eine ganz eigenartige Logik

In Lichtenberg hat man Wohngeld und Tafel-Essen in einen seltsamen Zusammenhang gebracht. Ein Wochenkommentar.

Ein Laib Brot

Essen muss man. Aber Vorsicht, wenn das eine Spende ist Foto: dpa

Der Aufreger der Woche kommt aus Lichtenberg: Das dortige Bezirksamt kürzt einem Studenten das Wohngeld, weil er Sachmittel von der Berliner Tafel bekommt! Von diesem Skandal berichteten Medien landauf, landab, auch die taz ist empört. Der Berliner Kurier etwa titelte: „Amtsirrsinn von Lichtenberg: Wer bei der Tafel isst, bekommt weniger Wohngeld“.

Dass die Aufregung so groß ist, liegt an der offenkundigen Ungerechtigkeit, die wohl jedermann und -frau sofort ins Auge springt: Denn wie kann es sein, dass eine Sozialleistung, auf die man einen gesetzlichen Anspruch hat, dadurch geschmälert wird, dass man eine Wohltätigkeit annimmt? Also eine freiwillige Hilfe, ehrenamtlich angeboten?

Wenn diese Logik Schule macht, wird man demnächst wohl von Amts wegen sogar aufgefordert, sich Essensspenden zu holen, zur Altkleidersammlung zu gehen – damit der Staat die „Stütze“ kürzen kann?

Besonders entsetzt war die Berliner Tafel, die den Fall am Montag öffentlich gemacht hat. Denn natürlich scheint das Beispiel jenen Kritikern recht zu geben, die schon immer gesagt haben, durch die Tafeln kann sich der Sozialstaat aus der Verantwortung stehlen.

Die Organisation pocht dagegen von jeher auf ihrem Selbstverständnis, dass man eine zusätzliche, freiwillige Leistung erbringt – und eben kein Ersatz für staatliche Sozialleistungen ist. „Das können wir auch gar nicht“, sagte die Berliner-Tafel-Vorsitzende, Sabine Werth, am Freitag der taz. Man könne die Menge an Spenden nicht kalkulieren und auch nicht, wie viele Bedürftige kommen. Eine Vollverpflegung über den ganzen Monat im Wert von 241 Euro, wie sie das Lichtenberger Amt für den Studenten als Einnahme berechnete, könne man schon gar nicht leisten.

Entsetzt zeigten sich auch Lichtenbergs Bürgermeister Michael Grunst und Sozialstadträtin Katrin Framke – beide ausgerechnet Linke – und versprachen eine rechtliche Prüfung.

Besonders entsetzt war die Berliner Tafel, die den Fall öffentlich machte

Dann am Donnerstag die Wende in dem Fall: Wie Framke der taz erklärte, hätte die Anrechnung der Tafel-Spenden gar nicht zu einer Kürzung des Wohngelds geführt. Im Gegenteil: Sein Einkommen wurde mit den Sachspenden hochgerechnet, damit er überhaupt anspruchsberechtigt war. Ohne sie hätte der Student nämlich gar nichts bekommen, denn dann wäre sein Einkommen zu niedrig gewesen für Wohngeld! Tatsächlich gibt es diese Merkwürdigkeit im Wohngeldgesetz, dass man nicht nur unter einem Höchstsatz liegen muss, um wohngeldberechtigt zu sein – man muss auch über einem Mindestsatz liegen.

Ob die Geschichte so stimmt, wird sich noch zeigen: Das Rechtsgutachten des Bezirks soll demnächst erscheinen. Auch dann bleibt es fragwürdig, freiwillige Spenden als barwerte Einnahme zu berechnen. Aber es wäre immerhin gut gemeint.

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