Debatte über Sterbehilfe: „Das ist meine größte Angst“

Der unheilbar erkrankte Schriftsteller Wolfgang Herrndorf wählte den Freitod. Im Internettagebuch schrieb er über seine letzten Lebensjahre.

Wie von Wolfgang Herrndorf gewünscht, steht ein einfaches Metallkreuz an der Stelle, an der er sich das Leben nahm. Bild: dpa

BERLIN taz | „Was ich brauche“, schreibt Wolfgang Herrndorf, nachdem bei ihm ein unheilbarer Hirntumor diagnostiziert wurde, „ist eine Exitstrategie.“ Daran, was er damit meint, lässt der Schriftsteller keinen Zweifel: die Möglichkeit des Freitodes, bevor der Krebs seine höheren Hirnfunktionen zerstört.

Das Internettagebuch „Arbeit und Struktur“, das Herrndorf nach der Diagnose begonnen hat und das inzwischen auch als Buch erschienen ist (Rowohlt.Berlin Verlag), beschäftigt sich immer wieder mit der Sterbehilfe. Die Klarsicht des Autors, aber auch sein unsentimentaler Umgang mit der eigenen Verzweiflung, machen es über seinen literarischen Rang hinaus zu einem Dokument in der jetzt von Bundesgesundheitsminister Herrman Gröhe (CSU) angestoßenen Debatte.

An einer Stelle in dem Buch heißt es: „Ich wollte ja nicht sterben, zu keinem Zeitpunkt, und ich will es auch jetzt nicht. Aber die Gewissheit, es selbst in der Hand zu haben, war von Anfang an notwendiger Bestandteil meiner Psychohygiene. [?] Ich muss wissen, dass ich Herr im eigenen Haus bin.“

Dieser Aspekt ist immens wichtig: Die Sicherheit, einen selbstgewählten Tod haben zu können, hilft Wolfgang Herrndorf dabei, die ihm verbleibende Zeit nach eigenen Maßstäben sinnvoll zu nutzen. Er schreibt die Romane „Tschick“ und „Sand“, schwimmt und preist die Schönheiten des Lebens, bis zum Schluss. Für den Zeitpunkt, wenn ihm das Leben aber nicht mehr als lebenswert erscheint, formuliert Herrndorf ein klares Kriterium: „Menschliches Leben endet, wo die Kommunikation endet, und das darf nie passieren. Das darf nie ein Zustand sein. Das ist meine größte Angst.“

Intensiv informiert er sich über die Möglichkeiten zur Sterbehilfe. Nach einer TV-Dokumentation über die Sterbehilfeorganisation Exit notiert er: „Psychisch Kranker, der sich mit Hilfe von Exit in der Schweiz das Leben nimmt. Wie zu erwarten, geht es ihm am besten von allen, Freunde und Bekannte leiden.“ Herrndorf diskutiert auch mit seinen Ärzten. Einer von ihnen möchte ihn von der Idee abbringen, sich zu erschießen: „Wer mich finde, sei traumatisiert. Freunde wahrscheinlich.“

„Eines zivilisierten Staates nicht würdig“

Dieser Arzt kann aber auch nicht mit sicheren Substanzen helfen – „das könne er gar nicht verschreiben“ –, stattdessen rät er: „Vor die U-Bahn, vom Hochhaus, oder am einfachsten mit Paracetamol […]. Er empfehle ein Hospiz. Freilich müsse man sich umsehen vorher, einen Platz reservieren.“ Da hat Herrndorf sich bereits gegen den begleiteten Suizid in der Schweiz entschieden. Empörung schwingt mit, wenn er die – bei der gegenwärtigen Gesetzeslage nötigen – konspirativen Umstände festhält: „Tagelang durch verrauchte Neuköllner Hinterhofwohnungen laufen zu müssen und mit Leuten zu sprechen, die nicht sagen wollen, wie sie heißen, nur um Gewissheit zu haben – das ist eines zivilisierten mitteleuropäischen Staates nicht würdig.“

Letztlich wird sich Herrndorf erschießen. Am 26. August 2013 wählt er den Freitod. Es gibt die journalistische Gepflogenheit, Todesart und -ort zu verschweigen, um Nachahmungstaten zu minimieren. Aber er bittet die Herausgeber des Tagebuchs, die Umstände zu schildern. Sie tun es in einem sachlich formulierten Nachwort. Und sie fügen an: „Herrndorfs Persönlichkeit hatte sich durch die Krankheit nicht verändert, aber seine Koordination und räumliche Orientierung waren gegen Ende beeinträchtigt. Es dürfte einer der letzten Tage gewesen sein, an denen er noch zu der Tat imstande war.“

Drei Hirn-OPs, zwei Chemotherapien, drei Bestrahlungen hat er da hinter sich. Und er hatte – auch davon erzählt dies Tagebuch – noch drei intensive Lebensjahre mit Arbeit und Freunden verbracht.

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