Debatte Wirtschaftslage in Österreich: Hübsche Botschaft, harter Kern

Österreich leidet unter der aggressiven deutschen Wirtschaftspolitik. Anpassung wird verlangt. Besser wäre, Deutschland würde sich korrigieren.

Ein Mann im Anzug schaut nachdenklich, es ist Christian Kern

Frisch im Amt: Österreichs neuer Kanzler Christian Kern Foto: dpa

Turbulent geht’s zu in Österreich: Die Sozialdemokraten wechselten den Bundeskanzler aus, und an diesem Sonntag wird ein Außenseiter zum Präsidenten gewählt. Die Frage ist nur noch, ob ein Grüner gewinnt oder ein Rechtspopulist von der FPÖ. Diese Wirren werden in Deutschland vor allem politisch gedeutet. Nach dem Motto: Die große Koalition aus SPÖ und ÖVP hat zu lange regiert; kein Wunder, dass sie erodiert.

Diese Deutung ist nicht völlig falsch, aber zu einfach. Denn es wird übersehen, wie schlecht es Österreich ökonomisch geht. Die Arbeitslosigkeit liegt derzeit bei knapp 10 Prozent und wird bis 2018 nicht fallen, wie das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) in Wien prognostiziert.

Der neue Kanzler Christian Kern weiß, dass er das Wettrennen gegen die rechtspopulistische FPÖ nur gewinnen kann, wenn sich die Wirtschaftsdaten bessern. Also kündigte er in seiner ersten Pressekonferenz am Dienstag einen „Plan für Österreich“ an, der das Land bis 2025 auf die „Überholspur“ und „wieder zum Vorzeigestaat in Europa“ machen soll. Schon diese Wortwahl macht deutlich, wie abgehängt sich die Österreicher fühlen.

Symbolwort „Agenda 2010“

Dabei haben sie alles richtig gemacht. Es liegt nicht an den Österreichern, wenn ihre Wirtschaft einknickt – sondern an den Deutschen. Seit fünfzehn Jahren spielt sich ein heimlicher und brutaler Kampf ab, bei dem es um Marktanteile, Exportchancen und Wettbewerbsfähigkeit geht. Die Waffe der Deutschen war schlicht, aber wirkungsvoll. Sie haben Lohndumping betrieben und die Arbeitskosten gezielt gesenkt, um auf den Auslandsmärkten zu expandieren. Die Symbolworte heißen „Agenda 2010“ und „Hartz-Reformen“. Das Ergebnis ist für die österreichische Wirtschaft unerfreulich: Seit 2000 ist ihre Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu deutschen Firmen um mehr als 10 Prozent gesunken.

Anfangs fiel die wirtschaftliche Aggression der Deutschen kaum auf. Die Bundesrepublik schien sich vor allem selbst zu schaden, weil die vor sich hin dümpelnden Löhne auf die Binnennachfrage und das Wachstum drückten. Österreich hingegen boomte, jedenfalls zunächst. Die deutsche Wirtschaft legte von 2000 bis 2005 im jährlichen Durchschnitt nur um 0,6 Prozent zu, während Österreich 1,7 Prozent erreichte. Von 2005 bis 2010 waren Deutschland und Österreich dann gleich stark: Im Durchschnitt kamen sie jeweils auf ein Plus von 1,3 Prozent pro Jahr. Doch seit 2010 führt Deutschland deutlich, während Österreich abfällt.

Mit Verspätung wird nun auch vielen Österreichern bewusst, dass sie an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Doch irrtümlich glauben die meisten, dass die Schuld in Österreich zu suchen sei. Bei ÖVP und SPÖ lautet das Modewort „Strukturreformen“, und auch der neue Kanzler Kern kündigte sofort einen „New Deal“ an, der bestimmt nicht das amerikanische Vorbild von 1933 meinte. Kern wollte nur die harte Botschaft aufhübschen, dass ein Kürzungsprogramm ansteht.

Die FPÖ als Arbeiterpartei

Die Österreicher halten an einem Missverständnis fest, das weit verbreitet ist: Sie glauben, dass das Problem dort zu verorten sei, wo es sichtbar wird. Wenn das Wachstum in Österreich schwächelt, muss sich Österreich eben „anstrengen“: Diese Diagnose ähnelt der eines Arztes, der die Symptome kuriert, statt die Ursachen zu behandeln. Denn tatsächlich ist es die deutsche Agenda 2010, die die Nachbarländer unter Druck setzt. Nicht nur Österreich leidet; auch Frankreich, Italien oder Belgien trudeln.

Noch schlimmer: Die Nachbarländer haben keine Chance. Österreich müsste seine Lohnstückkosten um mehr als 10 Prozent drücken, um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Ein derartiges Kürzungsprogramm würde sofort den sozialen Frieden gefährden – und die FPÖ weiter erstarken lassen.

Schon jetzt wäre es ein Missverständnis, dass die Rechtspopulisten nur reüssieren, weil sie auf fremdenfeindliche Parolen setzen und Unsinn wie „Fremd im eigenen Land“ oder „Neue Wohnungen statt neue Moscheen“ plakatieren. Dies ist die Oberfläche. Im Kern geht es um Ängste, um Perspektivlosigkeit, um die Sorge, die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren. Es sollte den etablierten Parteien zu denken geben, dass gerade Niedrigverdiener zu den Rechtspopulisten abwandern und die FPÖ inzwischen die größte Arbeiterpartei Österreichs ist.

Es sollte den etablierten Parteien zu denken geben, dass gerade Niedrigverdiener abwandern

Sozial hat die FPÖ zwar nichts zu bieten, sondern sie nutzt nur das Thema Einwanderung, um ein Ventil für die Ängste zu bieten. Trotzdem reicht es nicht, wenn die SPÖ kleinteilig vorrechnet, dass die österreichische Asylpolitik anders funktioniert, als von der FPÖ behauptet. Auch wird es nichts nutzen, die Zahl der Asylbewerber zu reduzieren. Denn das zentrale Problem bleibt von diesen Maßnahmen unberührt: Viele Wähler haben Angst abzusteigen.

Einsamer Exportweltmeister

Eine österreichische Agenda 2010 wäre jedoch nicht nur politisch brandgefährlich, sondern auch ökonomisch Quatsch. Es können nicht alle sparen, wenn die Wirtschaft wachsen soll. Doch in der Eurozone spart inzwischen jeder. Den überschuldeten Krisenstaaten wurde ein Sparkurs verordnet, damit sie ihre Schulden abbauen. Und eigentlich gesunde Länder wie Österreich oder Frankreich müssen jetzt sparen, weil sie nicht mehr mit Deutschland konkurrieren können.

Österreich, Frankreich, Belgien und Italien sind Opfer eines Wirtschaftskriegs geworden, den Deutschland angezettelt hat. Und nun wird von diesen Opfern auch noch verlangt, dass sie sich anpassen und „reformieren“ sollen. Dabei wäre die umgekehrte Perspektive richtig: Deutschland als Aggressor muss sich korrigieren. Die Deutschen müssten ihre Gehälter jedes Jahr deutlich erhöhen, bis sich die Wettbewerbslücke wieder schließt.

Stattdessen sind die Deutschen auch noch stolz darauf, einsamer Exportweltmeister zu sein. Hämisch oder amüsiert sehen sie zu, wie Frankreich und Österreich im politischen Chaos versinken. Doch eine Währungsunion kann nicht funktionieren, wenn es nur Verlierer gibt – und einen selbst ernannten „Gewinner“.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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