Debatte Ukraine und das Ausland: Überschätzt die NGOs nicht

Für die Machthaber ist stets klar: Der Aufstand gegen sie wurde vom Westen finanziert. Aber auch in Deutschland glauben einige an eine Verschwörung.

Vitali Klitschko in der Konrad-Adenauer-Stiftung: vielleicht mal den Kopierer benutzen. Bild: dpa

Es scheint ein tief verankerter Reflex zu sein: Kaum entsteht in einem osteuropäischen Land unter schwierigen Bedingungen eine prodemokratische Bewegung, wittern Teile der Medien und allwissende Onlineforisten eine Verschwörung aus CIA, der Soros-Stiftung und anderen „westlichen Agenten“, die Revolutionen steuern und bezahlen. Doch wer alles aufs Geld schiebt, überschätzt externe Förderer.

Als das ukrainische Parlament Mitte Januar das Gesetz Nr. 3879 verabschiedete, zielten die antidemokratischen Repressionen auch auf jene Nichtregierungsorganisationen, die nur durch die Unterstützung durch externe Geldgeber überleben können. Fast alle NGOs hätten sich fortan als „ausländische Agenten“ registrieren und viermal im Jahr detailliert über ihre Arbeit, ihre Organisation, ihre MitarbeiterInnen informieren müssen. Mittlerweile ist das Gesetz zurückgenommen; es zeigte aber, welche Angst die ukrainische Regierung vor ihrer eigenen Zivilgesellschaft hat.

Dass die Proteste „vom Ausland finanziert“ seien, wie Exministerpräsident Asarow offen behauptete, stimmt und stimmt nicht. Zunächst einmal sind es die UkrainerInnen selbst, die seit zwei Monaten auf dem Maidan Kälte und ständiger Ungewissheit trotzen.

Dass sie dafür bezahlt würden, ist ein ebenso unbewiesener wie haltloser Vorwurf: Würden nur 100 Griwny (etwa 9 Euro*) pro Tag an jede/n DemonstrantIn gezahlt, gelangte man bei täglich durchschnittlich 20.000 DemonstrantInnen nach nunmehr rund 70 Tagen Protest immerhin bei 12,6 Millionen Euro an – und das wäre ja fast zu schön, wenn „der Westen“ wirklich einmal so viel Geld für die Demokratieförderung ausgeben würde.

Die eigentlich interessante Arbeit externer Förderer hat in den „bleiernen Jahren“ zuvor stattgefunden. Nach der Orangenen Revolution 2004/2005 und während der demokratischen Öffnung in den folgenden Jahren verstärkten Organisationen wie USAID, die EU oder auch politische Stiftungen ihre Projektarbeit in der Ukraine.

Von Kanada über die Schweiz bis nach Polen wurde die Förderung der Zivilgesellschaft ausgebaut; sogar die Weltbank etablierte eine Programmlinie für Kleinprojekte, bei der sich NGOs um Förderungen bis 5.000 Euro bewerben konnten. Fast jede westeuropäische Botschaft in Kiew verfügt über ein Budget zur Stärkung von Menschenrechten. Um zu verstehen, was solche Organisationen mit den aktuellen Protesten zu tun haben könnten, ist es notwendig, sich deren Aktivitäten genauer anzuschauen.

Künstliche Zivilgesellschaft?

Die Antworten aus der Wissenschaft auf die Frage nach dem „Impact“ westlicher Demokratieförderung sind ernüchternd: Wenig bis nichts habe man erreicht, es sei eine künstliche Zivilgesellschaft entstanden; über Effekte könne man nur mutmaßen, denn für zuverlässige Evaluationen der prodemokratischen Wirkung der Programme sind die Daten zu langfristig, zu fehleranfällig, das sozialwissenschaftliche Instrumentarium zu gering entwickelt. Also viel Lärm um nichts? Mitnichten.

Die ukrainische Opposition will ihre Proteste gegen den Russland-freundlichen Kurs der Regierung fortsetzen. „Die demokratischen Kräfte lassen sich nicht in Angst versetzen“, sagte Oppositionsführer Vitali Klitschko am Samstag bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Die Regierung übergehe den Willen des Volkes, dies sei nicht akzeptabel. Er appellierte erneut an den Westen, der ukrainischen Opposition zu helfen. Es bestehe die Gefahr, dass der Konflikt sich auf die Region ausweite. „Sie müssen jetzt etwas machen, bevor es zu spät ist“, sagte Klitschko, der deutsch sprach und lauten Applaus für seine Rede erhielt.

Der ukrainische Außenminister Leonid Koschara wies den Vorwurf zurück, seine Regierung steuere auf einem anti-europäischen Kurs. Vielmehr habe die ukrainische Führung zahlreiche Forderungen der Opposition erfüllt, betonte er. Die Ukraine dürfe jedoch nicht gezwungen werden, sich zwischen Europa und Russland zu entscheiden. Dies sei nicht möglich, weil die Ukraine einerseits territorial zu Europa gehöre und enge Verbindungen dorthin unterhalte. Andererseits gelte beides auch für die Anbindung an Russland. (rtr)

Die Unterstützung der prodemokratischen ukrainischen Zivilgesellschaft zeigt ein großes Neben- und Durcheinander von Akteuren, Ideen, Projekten, Strategien und Budgets. So unterstützte die deutsche Botschaft zum Beispiel Kinderschutzprojekte und die zivile Kontrolle der Polizei, mit einem Budget von rund 100.000 Euro pro Jahr, verteilt auf 5 bis 6 Projekte. Die schwedische Sida förderte eine Umwelt-NGO, die nach „Tschernobyl“ gegründet wurde und vor allem verlangt, dass die Abrechnungen schwedischen Standards genügen.

Die Renaissance-Stiftung des US-amerikanischen Philanthropen George Soros unterhält ein Büro in Kiew, von dem aus NGOs in neun Programmlinien finanziell unterstützt werden. Die Projekte reichen von der Finanzierung einer Reise zu einem Workshop für NGO-Mitarbeiter (etwa 110 Euro) bis hin zu sechsstelligen Beträgen für humanitäre Hilfe. Das amerikanische National Democratic Institute (NDI) trainiert NGOs, die sich auf Wahlbeobachtung konzentrieren. Die deutschen politischen Stiftungen laden zu Seminaren ein oder bieten Bürgerinitiativen an, sich in ihren Räumen zu treffen und vielleicht auch mal den Kopierer zu benutzen.

Darüber hinaus spendiert die polnische Botschaft einer Schule neue Fenster (Projekttitel: „Polnische Fenster nach Europa“), und Spanien führt unter dem Titel der Demokratieförderung Flamenco- und Filmfestivals durch. Fördert man so die Revolution?

Ende der Lethargie

Die Vielfalt der Maßnahmen, Themen und Summen aus „dem Westen“, vor allem aber der nicht immer sehr eindeutige Bezug zur Demokratisierung lässt an der These der externen Steuerung der Revolution erhebliche Zweifel aufkommen. Deutlich wird in diesen Tagen aber: Es ist etwas in Bewegung geraten in der Ukraine.

Nach Jahren der Frustration und politischen Lethargie, die sich angesichts der Misserfolge der Orangenen Revolution in der ukrainischen Gesellschaft verbreitet haben, gab es mit dem verweigerten Assoziierungsabkommen plötzlich ein Thema, das in der Gesellschaft zündete. Den NGO-AktivistInnen, die jahrelang nur in den eigenen politischen Kreisen feststeckten, eröffnete sich damit eine Brücke in jene Gesellschaft, die mit Politik und Veränderung doch abgeschlossen zu haben schien.

Und vielleicht haben all die Trainings und Seminare zu Buchhaltung und Organisation, die Unterstützung von Kampagnen, die Förderung von wissenschaftlichem Austausch und Kunst ja dazu geführt, dass manche NGOs Strategien entwickeln, Aktionspläne aufstellen, Kampagnen starten konnten, um die spontan beginnenden Proteste auf dem Maidan logistisch zu unterstützen, Kommunikationsplattformen bereitzustellen, Leute zu mobilisieren. Daraus eine Kausalität abzuleiten, wäre zu viel der Ehre – für die Förderer. Externe Demokratieförderung ist ein Projekt mit sehr ungewissem Ausgang.

Am Ende sind es die StudentInnen, die Familien, die Angestellten, die Verzweifelten, die Mutigen, die auf dem Maidan stehen und für ihre Ziele ein hohes Risiko eingehe.

*Update: In einer früheren Version des Artikels hieß es, 100 Griwny wären 9 Cent, statt 9 Euro.

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