Debatte Polizei und Migration: Sarrazins Angsttraum

Mehr PolizistInnen mit Migrationshintergrund sind sinnvoll. Dafür muss sich der Apparat öffnen – und positive Ansätze schätzen lernen.

Feste Hierarchie, konservativer Kern: die Struktur der Polizei. Bild: dpa

Am Weihnachtsabend reitet ein Mann auf einem treuen Maultier im Kreuzrittergewand durch Neukölln, um statistische Daten (Dönerimbiss und Burkarate pro Quadratkilometer) für sein nächstes Buch zu aktualisieren. Eine Polizeistreife hält Ritter Thilo an. Ritter Thilo: „Warum haben Sie mich angehalten? Nur weil ich Deutscher bin?“

Das ist es, was Sarrazin und andere Abendlandbeschützer befürchten. Sarrazin hat in einer Schweizer Zeitschrift ein Horrorszenario der Berliner Polizei skizziert, die mit niedrigsten Auswahlkriterien Beamte mit Migrationshintergrund einstelle. Die Polizei in Deutschland wird, so die Angstvorstellung, von Migranten in Uniform unterwandert, die des Futur II nicht ansatzweise mächtig sind, aber frisch geduscht, weil sie eigene Waschkabinen bei der Polizei bekommen. Ritter vom Schlage Thilo S. werden künftig von ehemaligen Intensivtätern aus dem Kiez angehalten.

Ich kenne seit zwanzig Jahre die Ausbildung von PolizistInnen – von Bevorzugung von MigrantInnen kann keine Rede sein. Wer „südländisch“ aussieht, wird trotz deutschen Passes von einigen Kollegen und Vorgesetzten besonders kritisch, teilweise ablehnend behandelt. Bei mündlichen Prüfungen für das Masterexamen bemerkte ich bei einigen hochrangigen „Praktikern“ solche Haltungen. Fragen zur „charakterlichen Eignung“ zukünftiger Führungskräfte mit Migrationshintergrund sind mitunter nicht frei von Diskriminierung.

In den letzten drei Jahren haben Feldforschungsteams des EU-geförderten Projekts Corepol in Deutschland, Österreich und Ungarn das Verhältnis zwischen Minderheitsangehörigen und der jeweiligen Polizei untersucht. Es wurden über hundert Interviews mit Muslimen in Mannheim und Berlin, mit Afrikanern in Wien und Graz und mit Roma in Budapest, Miskolc, im Bezirk Nograd und in Dörfern im Nordosten Ungarns geführt. Dazu wurden eine fast genauso große Anzahl Polizisten und knapp 60 Nachbarschaftsaktivisten, NGO-Vertreter und Quartiermanager befragt, die in diesen Vierteln tätig sind.

Frage des Vertrauens

Laut Studien in den USA und in Europa sind Minderheiten einem höheren Risiko ausgesetzt, es mit der Polizei „zu tun zu kriegen“. Zudem haben Minderheitsangehörige weniger Vertrauen in Staat und Polizei. Natürlich ist die Polizei in EU-Ländern nicht hauptverantwortlich, wenn Integration misslingt. Aber: PolizistInnen sind wesentliche Akteure im Mikroklima von Integrationsprozessen.

Ein zentrales Ergebnis unserer Studie lautet: Polizei kann „Fremdheit“ oder „Andersartigkeit“ von Minderheiten bestätigen. Polizei kann aber auch als Dienstleister im Bereich Menschenrechte handeln. Wenn sich BeamtInnen auch bei Konflikten anständig und fair verhalten, kann dies für Minderheiten ein wichtiger Beitrag zur Stärkung zivilgesellschaftlicher Normen sein.

Laut unserer Studie gibt es wenig unverhältnismäßige Anwendung polizeilicher Zwangsmaßnahmen. Doch falls es dazu mal kam, verbreitete sich die Kenntnis über solche Vorfälle durch Freunde, Familie und Nachbarn lauffeuerartig. Die Folge: Polizei verliert das Vertrauen der Minderheiten. Damit verringert sich die Möglichkeit präventiver Polizeiarbeit. Es wird weniger angezeigt. In Zeiten ungebremst aggressiver Anwerbung von Jugendlichen für IS und dschihadistische Bewegungen ist die Polizei aber besonders auf die Kooperationsbereitschaft der Nachbarschaft angewiesen. Auch wenn es um den Kampf gegen Großfamilienclans in der Unterwelt geht.

Konservative polizeiliche Berufskultur

Das kann nicht allein die Aufgabe der von Sarrazin wissentlich diskreditierten „Migrationsbeamten“ sein. Der Migrantenanteil muss in einer europäischen Demokratie dem der Gesamtgesellschaft entsprechen. So wie der Frauenanteil. Durch Quoten entsteht keine bessere Gesellschaft oder Sicherheitslage. Aber sie können nötig sein. Zumal es für die Polizei nicht leicht ist, qualifizierte Bewerber in ihre Reihen zu bekommen.

Baden-Württemberg, Berlin und Niedersachsen sind da weiter als andere Bundesländer oder die Bundespolizeien. Ein Abiturient mit sehr guten Noten und türkischem Namen wird sich überlegen, ob die Polizei die richtige Berufswahl ist oder ob IT, Medizin oder Jura nicht besser sind. Es hat sich herumgesprochen, dass auf den Revieren Beamte mit Migrationshintergrund im Alltag als Billigdolmetscher und unfreiwillige Kulturscouts benutzt werden („Achmed, komma nach vorne, da is ne Frau mit Kopftuch …“).

Und dass in der konservativen polizeilichen Berufskultur Kollegen mit Migrationshintergrund nicht nur mit offenen Armen empfangen werden (beim „Feierabendbier“: „Weiß dein Allah, dass das alkoholfreies Bier ist?“).

Mythos „Crime Fighter“

Unsere Forschung verdeutlicht, dass ein Paradigmenwechsel nötig ist. Das mediengeprägte, wirklichkeitsferne Image der Polizei als ständiger „Crime Fighter“ sollte einem realistischeren Verständnis von alltäglicher Polizeitätigkeit im Dienst von Menschenrechten Platz machen. Und: Um Vertrauen zu sichern, dürfen die Barrieren für Beschwerden gegenüber Polizisten nicht zu hoch sein. Daher brauchen wir unabhängige, demokratisch kontrollierte Aufsichtsgremien.

Es geht dabei um keinen Generalverdacht gegen die Polizei, wie es die Berufsverbände routinemäßig unterstellen. Das Ziel sind bessere Konfliktlösungen, um letztlich mehr polizeiliche Professionalität zu erreichen. Dafür muss in der Polizei ein Klima konstruktiven Umgangs mit Verfehlungen gefördert werden. Wenn die Führung der Idee anhängt, unfehlbar zu sein, hat das desaströse Folgen. Eine reflektierende Führungskultur, Ausbildung und Training sind die Förderbänder für eine bessere Polizei, auch im Verhältnis zu Minderheiten.

Unsere Feldforschung in Berlin und Mannheim zeigt auch, dass all dies keine ferne Utopie ist – sondern zum Teil Praxis. Es gibt lokal jahrzehntelange Kooperation mit Zuwanderervierteln. Es gibt Polizeichefs, die sich für Fehlverhalten ihrer Leute vor Migranten entschuldigen können. Und StreifenbeamtInnen, mit oder ohne Migrationshintergrund, die zuhören und Probleme lösen können. Es ist etwas gewonnen, wenn wir solche Beispiele mehr schätzen lernen.

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