Debatte Nachhaltige Zukunft: Wie wir leben sollten

Wählen gehen oder nicht? Soll die Wirtschaft wachsen oder schrumpfen? Nachhaltigkeit braucht grünen Kapitalismus und Lust auf eine neue Lebensweise.

Weniger Shopping wäre ein Schritt zu mehr Nachhaltigkeit. Bild: dpa

Weil sich die Aussichten für Rot-Grün verdüstern und als Mitregierungsoption – was soll das Herumgerede? – den Grünen nur die große Linkskoalition oder die schwarz-grüne mit der Union verbleiben, lenken sich manche mit zwei Fragen ab: Soll man zur Wahl gehen? Und: Ist die grüne Zukunft besser durch Schrumpfen oder Wachsen zu erreichen?

Zum Ersten: Periodischer Frust über die Politik im Allgemeinen ist gut nachvollziehbar. Aber in der gegenwärtigen Debatte aus fundamental-ökologischer Sicht alle Parteien in einen Topf zu werfen und es für belanglos zu erklären, ob Angela Merkel mit der FDP oder mit den Grünen regiert, ist entweder grober Unfug oder zeugt von einer pauschalen Verachtung des politischen Betriebs.

Die Idee, dass eine Bürgergesellschaft ohne Hilfe der Gesetzgebung und der Technologieentwicklung in Unternehmen von sich aus die Wende zur Nachhaltigkeit organisieren könnte und eine große Transformation mit veränderten Lebensstilen und Konsumentenverantwortung von unten zu stemmen sei, ist (so sehr ich diese Pioniere des Wandels schätze): Traumtänzerei.

Damit zusammen hängt der zweite Aspekt: Welche industriepolitische Strategie soll eine Regierung verfolgen, die sich Nachhaltigkeit ernsthaft zum Ziel setzt? Soll, um zwei Stichworte der vergangenen Jahrzehnte aufzugreifen, Effizienz oder Suffizienz die Losung sein? Zu dieser Scheinalternative verkämpfen sich gerade grüne Zampanos auf Podien und heißen den Umweltminister eine lahme Ente, während die von FDP und CSU geführten Ministerien für Wirtschaft und Infrastruktur weder das eine noch das andere betreiben. Damit sind die wichtigsten Ressorts für eine Energiewende in ganz falschen Händen.

Umstellung des Konsums

Die Energiewende leidet an der Führungslosigkeit der Bundeskanzlerin, aber auch an grün-teutonischer Rechthaberei. Die einen hoffen den grünen Kapitalismus auf dem Effizienzwege schaffen zu können: mehr Wärmedämmung, Netzausbau, Erneuerbare, Elektroautos – dann kann das Leben (und zwar weltweit) so weitergehen wie bisher; Änderungen des Lebensstils sind überflüssig, weil jeder in seinem Häuschen wohnen bleibt, weiterhin Kilometer frisst und Sparmöglichkeiten ignoriert. Weil das alles ja in ein paar Jährchen angeblich fast CO2-frei geht. Dabei muss die Energiewende als Verkehrswende, als Umstellung des Konsums und der Ernährung, als Energiesparprogramm konzipiert werden. Sonst bleibt sie ein technokratisches Projekt ohne Bezug zur Lebenswirklichkeit.

Insofern haben die Advokaten von Suffizienz und Schrumpfen recht, aber auch sie sind zu wenig geerdet. Sie wissen offenbar nicht, wie jenseits aufgeklärter Zirkel (die auch nicht unbedingt danach handeln, was sie wissen) über die Energiewende und Nachhaltigkeit geredet und gedacht wird. Und sie sind damit genauso dogmatisch wie jene Technokraten, die jetzt großflächige Transformationsprogramme verordnen, weil sie den angemessenen Lebensstil ja bereits genau kennen: Schrumpfen macht Spaß!

Demokratiepolitisch und diskursiv bleibt das weit unter dem Niveau ökologisch-freiheitlicher Gesellschaften, und in Verbindung mit der leidigen Strompreisdebatte kann diese volkspädagogische Besserwisserei das ganze Projekt Energiewende beerdigen. Bei manchen APOkalyptikern hat man das Gefühl, es wäre ihnen ganz recht.

Jedes echte Reformprogramm sieht besser einen intelligenten Policy Mix vor, der von Sektor zu Sektor variiert, die Bürgergesellschaft nicht allein lässt, Ingenieursverstand so breit wie möglich heranzieht und keine Chance auslässt, Wandel von oben wie von unten zu stimulieren und aufeinander zu beziehen. Ganz offenbar haben zum Beispiel die Kampagnen für den Verzicht auf individuelle Auto-Mobilität noch nicht verfangen. Subjektiv, weil das Auto weiterhin ein Prestige- und Symbolobjekt ist, objektiv, weil viele Pendler faktisch kaum eine gangbare Alternative haben. Und hinzu kommt der Unwille der Autokanzlerin, daran per Gesetzgebung oder Verordnung etwas zu ändern.

Bürgerinnen und Bürger, die das Projekt der Energiewende als ihr Vorhaben begreifen, schwanken zwischen Überforderungsgefühlen (etwa bei der Gründung von Energiegenossenschaften) und Gefühlen der Missachtung, wenn Professionelle, ob sie grün denken oder nicht, den Sachverstand vor Ort ungenutzt lassen und lokales Wissen systematisch ignorieren.

Germanozentrische Debatten

Grün-Grün-Auseinandersetzungen sind jetzt an der Tagesordnung. Sie werden das Konfliktgeschehen der nächsten Jahre und Jahrzehnte bestimmen. Und das ist auch gut so. Denn ob man auf zentrale oder dezentrale Stromversorgung setzt, wo großflächige Projekte einen Unterschied machen oder wo Miniinitiativen in der Summe bessere Erfolge erzielen – das alles ist eine gründliche, pragmatische Abwägung wert. Oder unter welchen Bedingungen Klimaschutz herkömmlichen Naturschutz bricht, in welchen Fällen professionelle Unterstützung über die Konjunkturen der Engagementbereitschaft und die gelegentliche Vorherrschaft anderer Sorgen hinweghilft: Diese Fragen sind konkret zu erörtern; sie bringen eine demokratiepolitische Debatte über politische und soziale Teilhabe in Gang.

Meine Empfehlung lautet also: Am 22. September unbedingt wählen gehen, damit die ökologischen Bremser in FDP und CSU lernen, dass sie eine kleine radikale Minderheit sind. Und zugleich für eine Politik der Nachhaltigkeit die gesamte Klaviatur anschlagen: den Erfinder- und Unternehmergeist eines grünen Kapitalismus genau wie Lebensveränderung unter der Formel „Weniger ist mehr!“

Und bitte schön Deutschland nicht für den Nabel der Welt halten. Das dritte Manko der aktuellen grünen Debatte ist nämlich, dass sie furchtbar germanozentrisch bleibt. Entweder ignoriert sie die Wachstums- und Konsumbedürfnisse der Mittelschichten im globalen Süden, oder sie glaubt, am deutschen Wesen könne die Welt genesen. Wir wären überzeugender, wenn wir gemeinsam mit den europäischen Nachbarn und in globalen Allianzen eine gewisse Vorreiterrolle einnehmen würden.

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