Debatte Linkswende in der Politik: Anlauf zum langen Angriff

SPD, Grüne und Linke müssen sich zusammenraufen. Denn die Stagnation können nur die drei linken Parteien gemeinsam überwinden.

Zwei Mal Rot und dazu Grün ist doch auch eine absolut natürliche Farbkombination. Bild: dpa

Da sitzen sie nebeneinander und versuchen zu strahlen. Aber der Beleibte mit den schweren Wangen blickt sorgenschwer und leicht ratlos drein; der Schlankere, den gedankenschweren Kopf in die Hand geschmiegt, lächelt verschmitzt einem alten Traum hinterher. Etwas angeschlagen sehen sie aus, wie immer nach einem ihrer Desaster, und doch schon wieder hoffnungsfroh das nächste planend, am Rand des schwarzen Lochs zwischen großen Absichten und konstitutioneller Ohnmacht.

Es wird schon wieder schiefgehen, denkt der Betrachter und bangt mit kindlichem Optimismus immer wieder mit. Nein, nicht „Laurel und Hardy“ zeigt das Foto, sondern Sigmar Gabriel und Jürgen Trittin bei der öffentlichen Vorstellung von Trittins Buch „Stillstand made in Germany. Ein anderes Land ist möglich“.

Wir schreiben noch 2014, und doch ist das „Trittin’sche Manifest“, wie Gabriel das Buch preist, die nur knapp verhohlene Aufforderung, mit dem Wahlkampf zu beginnen. Jetzt. Zu früh wäre das nicht; für das Vorhaben, das er propagiert, sind 150 Wochen nicht zu großzügig bemessen.

Trittins Pamphlet gegen die Große Koalition von Stillstand und Wachstumsmantra hält sich nicht lange mit Kapitalismuskritik oder Apokalypsen auf, rekapituliert stattdessen die rot-grüne Komplementarität von ökologischer Modernisierung und gesellschaftlicher Gleichheit. Seine Streitschrift setzt darauf, dass die Mehrheit der Bürger seit geraumer Zeit „auf die nötigen Veränderungen ansprechbar ist, doch nicht dran glaubt, dass sie machbar sind, ohne sich selbst und den bisherigen Lebensmodellen zu viel zuzumuten“.

Das Zaudern der Aufgeklärten

Gegen dieses Zaudern der Aufgeklärten, die Furcht der Erben, Kleinunternehmer, der Konsumverliebten und Subventionsprofiteure, gegen den Widerstand der Verlierer bei der anstehenden „schöpferischen Zerstörung“ der fossilen Marktfreiheiten hilft nur Klartext. Anlauf zu einem langen Angriff also und deshalb auch keine akademischen Streitigkeiten: ob Kapitalismus ohne Wachstum gehe, oder ob „Effizienz“ und „Suffizienz“ Gegensätze seien.

Sicher: Degrowth-Konferenzen, lokale Initiativen, Landkommunen und Tauschringe verändern das soziale Klima im langsamen Modus der Ansteckung. Aber „keine Bewegung der Straße, der Netzwelt oder der Theaterbühne kann echte Durchschlagskraft entwickeln, ohne irgendwann auch über Gesetze gesellschaftliche Wirklichkeit zu prägen“.

Die Treiber der Energiewende waren Bürgeraktivisten und passionierte Unternehmer, aber „Durchschlagskraft“ erhielt sie erst durch ein Gesetz, das Parlamentarier gegen die Ignoranz der Regierungen durchsetzten. Und eine Überwindung der Dauerstagnation ist nur im Verbund der drei linken Parteien denkbar, zumal gegen den Sog zu Großen Koalitionen mit kleinen Vorhaben, den die AfD noch verstärkt hat. Aber angesichts der grassierenden Skepsis, ob Regierungen harte Strukturen verändern können oder auch nur wollen, müssten Grüne, SPD und Linke jetzt schon beginnen, die Lust für eine wirklich große Veränderung zu wecken.

Trittin konzentriert sich pathosfrei auf Energiewende, europäischen Green New Deal, Schuldenbremse für Banken und Geldpolitik. Alles notwendig, aber für einen politischen Erdrutsch müsste der Aufbruch noch näher ans Leben der Menschen rühren. Also noch größer auftreten.

Linke Arbeitsteilung

Gerade dafür aber könnte – sehen wir mit kindlichem Optimismus davon ab, dass die drei Parteien höchst heterogene Interessen bündeln und dem ehernen Gesetz der Hierarchie und der Elitenkooperation unterliegen – die Spaltung der Linken in eine ertragreiche Arbeitsteilung führen. Die Sozialdemokraten würden große Infrastrukturvorhaben vorschlagen, flankiert von einer Entschuldung der Gemeinden. Dafür erhält Gabriel schon heute Applaus beim BDI und den Gewerkschaften, ebenso wie für einen spürbaren Ausbau aller Bildungszweige.

Die Grünen könnten mit dem Plan einer wirklichen Agrarwende, die sich nicht auf gesundes Essen und Tierethik beschränkt, eine anschwellende Massenstimmung einfangen, mit der Einführung einer allgemeinen Bürgerversicherung nicht nur bei den prekär Kreativen und den ausgeplünderten Privatversicherten punkten. Die Linken mit der Forderung einer Garantierente, einer Renaissance des kommunalen Wohnungsbaus und einer strengen Regulierung der Leiharbeit Stimmen gewinnen.

Riskant das Ganze

Man kann das umsortieren, aber die Voraussetzung für solch eine Kampagne wäre zunächst einmal der Wille aller drei Parteien, die Macht zu wollen und zu nutzen. Gegen allfällige Traumtänzer- oder Bolschewismusverdächte wären sie aber nur gefeit, wenn sie für jedes dieser Vorhaben klar sagen könnten, welche Subventionen abgeschafft, wessen Steuern steigen, wessen Vermögen besteuert, welche Produktionen verteuert werden müssen, damit das Land gerechter und zukunftssicherer wird. Und: dass es zu einer solchen „Systemveränderung“ (Trittin) nur eine Alternative gibt: das Abrutschen in die globale Freiheit totaler Märkte. Riskant das Ganze, aber, so Trittin mit dem Pathos der Entschiedenheit: „Es kann Situationen geben, in denen man ein Risiko eingehen muss.“

Alles nur Luftbrücken über Flügelkämpfen, Interessenklippen, aggressiven Statusängsten – und dem absehbaren Mediensturm? Oder die realistische Hoffnung auf eine ganz große Bürgerinitiative zur „Wiedereinführung der parlamentarischen, gewaltengeteilten Demokratie“, wie Hermann Scheer es einst sagte? Was könnte man als einfacher Bürger dafür tun? Eintreten? Dafür ist es zu spät; man hätte vielleicht nie austreten sollen.

Aber vielleicht ließen sich ja in jedem der 299 Wahlkreise zehn bis zwanzig medienversierte Aktivisten finden, die die Abgeordneten der drei Parteien zu gemeinsamen Aktionen tragen, in öffentlichen Befragungen prüfen, in Veranstaltungen für die große Wende werben. Lebten wir in Amerika, würden wir wahrscheinlich rot-grün-rote Buttons verkaufen, und das ab jetzt.

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