Debatte Joachim Gauck: Gänsehaut bei Gauck

Joachim Gauck nutzt Emotionen und Erinnerungen als rhetorische Waffen. Einige Anmerkungen zur viel gerühmten Redekunst des Präsidentschaftskandidaten.

Der Mann spricht wie ein Schriftsteller – ist aber keiner. Bild: dapd

Für oder gegen Joachim Gauck? Ein Mann, hundert Meinungen. Jedoch – wie soll man einen Mann im Amt beurteilen, bevor er es überhaupt angetreten hat? Es macht keinen Sinn. Wohl kann man aber seine Sprache betrachten, das viel gerühmte rhetorische Talent Gaucks, und sich fragen, welche Art von Sprachkunst hier am Werke ist.

Gaucks lange Pausen, das gefühlvolle Langstrecken von Sätzen, die im politischen Raum nur selten zum Zuge kommenden Vokabeln „geheimnisvoll“, „Qual“, „Engel“, „schweigen“, „lieben“, die er gern verwendet, machen das Zuhören zu einem unerwarteten Genuss. Der Mann spricht wie ein Schriftsteller.

Dabei kommt seine Poesie nicht aus einem Werk, sondern aus einer immer wieder aufgerufenen Erinnerung an die dunklen Zeiten der DDR, an seine Rolle als „Unterdrückter“, als Kämpfer für Freiheit und Menschlichkeit. Was sich in einem literarischen Werk überprüfen ließe, lässt sich hier freilich nicht überprüfen: auf was diese Sprachmächtigkeit eigentlich gründet? Nicht auf geschriebener Sprache, sondern auf der mündlichen Wiedergabe von Erinnerungen, Erlebnissen, Leidenszeiten.

Die kann man ihm glauben. Tauchen sie jedoch als eine Art Performance bei Hunderten Reden, Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen immer wieder auf, setzt ein Verbrauch ein. Die Poesie der Erinnerung wird zur rhetorischen Allzweckwaffe. Die Rolle des Zeitzeugen ist unangreifbar. Wer will jemandem sein Leiden bestreiten? Wer in die Stille eines Fast-Weinens mit sachlichen Argumenten treten?

Öffentliche Abrechnung mit dem Vater

Vor einigen Jahren saß Joachim Gauck auf einer Podiumsdiskussion der FDP-nahen „Stiftung für die Freiheit“ (der Beitrag ist bis heute auf YouTube zu finden) und erzählte von seinem Vater. Der Mann, „ein kerniger Antikommunist, zweimal zu 25 Jahren Haft verurteilt“, hatte zu seinem Sohn irgendwann nach der Wende gesagt, es sei in der DDR nicht alles schlecht gewesen.

Gauck nahm diesen Satz zum Anlass, mit dem Vater abzurechnen. Er warf ihm ein ignorantes Verschweigen der Wirklichkeit vor, eine Selbstlüge, die er mit dem Verschweigen der Schuld in der Nazizeit verglich. Das kann man mit gutem Recht so sehen. Verwunderlich ist eher, den eigenen Vater, der ein Opfer der Stalindiktatur war, so vor aller Augen seine Beschränktheit vorzuwerfen.

Aber Gauck sicherte hier seine Argumente mit etwas ab, dem nichts mehr zu entgegnen war. Irgendwann auf der Bühne hielt Gauck inne, pustete mehrmals heftig ins Mikrofon, fast ein Spucken, um sein plötzlich aufsteigendes Weinen zu unterdrücken. Stille im Saal. Dann die Erklärung: „Sie sehen, wie nahe mir so etwas kommt.“ Die Demontage des eigenen Vaters im öffentlichen Raum wurde zur Leidensgeschichte des Sohnes. Das ist rhetorisch meisterhaft – ob es in diesem medialen Kontext statthaft und fair ist, steht auf einem anderen Blatt.

Seine Kunst, im richtigen Moment zur Seite zu blicken, mit Emotionen zu argumentieren („Ich kann Ihnen jetzt in der Verwirrung meiner Gefühle keine Grundsatzrede halten“), den Atem leicht anzuhalten, bevor er einen Satz beginnt, sind rhetorische Kniffe, die beeindrucken.

Eine ästhetische Politik, Wunschtraum seit der Aufklärung, findet in Joachim Gauck, dem viel belesenen, sonoren Bürger, eine beachtliche Projektionsfläche. Aber er erzeugt auch einen Bauchschmerz. Wenn man das Gefühl und sogar das Weinen als öffentliche Person einsetzt, muss man Rechenschaft geben können, nach welchem Maßstab man seine Betroffenheit auslebt.

Gauck betont ja immer wieder, dass man politische Entscheidungen nicht von der Gefühlslage der Nation abhängig machen kann, etwa beim Atomausstieg. Er hat ja auch einen pragmatischen Zugang zum Afghanistankrieg. Über die Opfer dort würde er wahrscheinlich nicht öffentlich weinen, erst recht nicht in der Nähe der Kanzlerin.

Der zärtliche Weihrauch des Demagogen

Er lehnt jedoch jede Form von Pragmatismus ab, wenn er selbst ins Poetische gleitet. Er ist sanft und empfindlich, wenn es um seine Wertvorstellungen geht, aber bisweilen auch hämisch und zynisch, wenn andere ihren Schmerz, ihre Wünsche oder Hoffnungen an ihn herantragen.

Immer ist seine Sprache dabei klangreich, assoziativ, poetisch, aber nicht aus dem Geiste der Literatur, sondern aus dem des taktisch Politischen. („Man kann ganz gute Dinge auch machen, wenn man nicht von Engeln umgeben ist, sondern von Menschen.“) Im Raum der Literatur wird das Poetische vom Text beschützt. Im Reich der Politik ist die Poesie seit jeher der zärtliche Weihrauch der Demagogen.

Gauck weiß das. Aber es steht eben hinter ihm kein literarisches Werk, keine beeindruckende Amtsperiode, denn die Verwaltung von Stasiakten hinterlässt nur wenig Glanz. Unter den Bürgerrechtlern der ehemaligen DDR gibt es zudem unzählige Biografien, die dramatischer und gefährdeter waren als die seine. Er hat nur seine Sprache, aus der er heraus seine Autorität schöpft.

Er muss die Herzen bewegen, um seine politische Haltung zu positionieren. Das macht ihn angreifbar. Daher sollte man in ihm eben zuallererst nicht den Quasi-Autoren sehen, sondern den Politiker. Diese Unterscheidung gehört zur Grundhygiene einer glaubwürdigen Demokratie.

Als beispielsweise der Schriftsteller Václav Havel im Nachbarland Tschechien Präsident wurde, zählte zu seinen großen Leistungen, dass er klarmachte, er spricht nun als Präsident und nicht als Autor mit einer Amtswürde. Darin lag seine große Ehrfurcht vor der Sprache und sein Wissen, dass im politischen Raum die Poesie zuerst vor die Hunde geht, wenn man sie benutzt für Zwecke, die sie zerstören.

Joachim Gauck wäre zu wünschen, dass er diesen schon jetzt einsetzenden Sprachmissbrauch beendet und nicht den Menschen das Gefühl gibt, hier stünde einer ehrlich zwischen Politikbetrieb, Sprachkunst und Alltagsleben. Das wäre die Quadratur des Kreises. Wer sich in der Politik auf die Macht der Gefühlserregung verlässt, schielt auf die Gänsehaut seiner Zuhörer. Sobald sie verschwindet, hinterlässt sie ein feines Frösteln.

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