Debatte Iranisches Atomabkommen: Atombomben für alle

Grass hatte Recht, meint Jakob Augstein. Der Nahe Osten sei eine wirre Region, Netanjahu ein Spinner und eine iranische Atombombe die Lösung.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanju zeigt eine Ilustration zum iranischen Atomprogramm.

Benjamin Netanjahu vor der UN-Vollversammlung im September 2012 Foto: reuters

Jakob Augstein ist ein zuverlässiger Autor, wenn es um den Nahen Osten geht. Unvergessen sein Auftritt bei Anne Will: Als Angela Merkel 2008 vor der Knesset sagte, die historische Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson, fragte Augstein, wenn dem so sei, werde dann demnächst die Bundeswehr an der Grenze zu Gaza stationiert?

Nun hat Augstein in seiner Spiegel-Kolumne Donald Trumps Aufkündigung des Iranabkommens zum Anlass genommen, Günter Grass und sein Gedicht „Was gesagt werden muss“ zu rehabilitieren: „Hätte man doch auf Günter Grass gehört.“ Um sogleich hinterher zu schieben, Grass habe da ein paar ziemlich wirre Sachen geschrieben.

Das bisschen Frieden

„Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“, hatte Grass gedichtet. Das sei falsch, schreibt Augstein. Nicht weil Israel den Weltfrieden nicht gefährde, sondern weil es auch schon im Frühjahr 2012, als das Gedicht des Altmeisters veröffentlicht wurde, keinen Weltfrieden gab, der hätte gefährdet werden können: „Auf der Welt herrscht dauernd irgendwo Krieg. Und das bisschen Frieden wurde durch Israel auch nicht mehr gefährdet als durch, sagen wir, die USA, Russland, Iran, Saudi-Arabien oder andere Länder.“

Immerhin, das ist doch mal eine Erkenntnis. Nun aber gilt es festzuhalten, dass Benjamin Netanjahu im September 2012 vor der Uno-Vollversammlung „die Angst vor einer iranischen Atombombe schürte“, als er „den verdutzten Delegierten ein Bomben-Poster unter die Nase rieb.“ Das, meint Augstein, war „ein Chruschtschow-reifer Auftritt“.

Verdutzte Vollversammlung

Die Delegierten waren also verdutzt. Von einem iranischen Atomprogramm hatte man in der Uno-Vollversammlung vor dem Auftritt des israelischen Premiers anscheinend noch nie was gehört. Nun aber kam Bibi und schürte die Angst vor einer iranischen Atombombe. Also gab es diese Angst doch irgendwie, sonst hätte der neue Chruschtschow sie ja nicht schüren können. Der verdutzte Leser fragt sich nun langsam schon: Na, was denn nun?

„Netanyahu hat sich mit seiner Sicht der Dinge durchgesetzt. Das ist übrigens der größte Erfolg, den ein Politiker haben kann: dass er die äußere Welt seiner inneren anpasst,“ schreibt Augstein weiter. Wie muss man das nun wieder verstehen? Lassen Sie uns diesen Satz versuchsweise so übersetzen: In der inneren Welt Netanjahus wird Israel durch das iranische Atomprogramm bedroht. In der äußeren Welt, auch Realität genannt, aber nicht. Doch dem raffinierten Bibi gelang es mit seinem Bombenplakat, die verdutzte Weltöffentlichkeit zu überrumpeln, die seither die innere Welt Netanjahus mit der Wirklichkeit verwechselt.

Innen, Außen, egal

Weiter im Text: „Niemand hat sich über Trumps Entscheidung mehr gefreut als alle Hardliner, wo immer sie sitzen.“ Zu diesen Hardlinern zählt Augstein auch den iranischen Mullah Ahmad Khatami, „der sofort die Gelegenheit genutzt und seinen Fantasien von einer iranischen Bombardierung Tel Avivs und Haifas freien Lauf gelassen“ hat.

Hatten wir nicht eben gelernt, dass es die Bedrohung Israels durch das iranische Atomprogramm nur in der inneren Welt Benjamin Netanjahus gibt? Oder ist es so, dass es die Bedrohung Israels durch iranische Langstreckenraketen nur in der inneren Welt von Ahmad Khatami gibt? Egal, den Unterscheid zwischen Innen und dem Außen sollte man vielleicht nicht überbewerten.

Eine Art von Wahnsinn

„Benjamin Netanjahu ist ohnehin der Meinung, man solle die Auseinandersetzung mit Iran ‚besser jetzt als später‘ suchen – aber das sagt er seit Jahren“, schreibt Augstein weiter. Stimmt, so ist es. Kehrt unser Autor nun auf den sicheren Boden der Fakten zurück? Ja, aber nur kurz, er ist uns schon wieder einen Schrit voraus: „Solche Leute“ (gemeint sind Leute wie Khatami und Netanjahu) „leben in der Logik des Konflikts. Da drüben steht der Feind, und der Feind muss vernichtet werden. Und zwar erstens, weil man sich verteidigen muss. Zweitens, weil man im Recht ist. Und drittens, weil es eben der Feind ist. Und wer das alles nicht versteht, der ist auch der Feind.“

Sowohl das iranische Regime als auch die israelische Regierung bilden sich also ein, ihre Feinde müssten vernichtet werden, weil sie ihre Feinde seien. Es handelt sich beim Konflikt zwischen Iran und Israel demnach um eine Art tautologischen Wahnsinns. Das allerdings ist eine gewitzte Analyse der Konflikte im Nahen Osten: Diese Spinner bilden sich das alles nur ein!

Bei Netanjahu sollte uns das vielleicht nicht überraschen, da dessen innere Welt ja ohnehin ein schwieriges Verhältnis zur äußeren pflegt, wie wir gelernt haben.

Eine gute Idee

Das wäre ein schönes Ende für Augsteins Kolumne gewesen. Aber die steilste These kommt ja erst noch! „Der Nahe Osten ist eine so wirre Region, dass es möglicherweise eine gute Idee ist, wenn sich alle Länder dort atomar bewaffnen.“ Wie kommt er nun da wieder drauf?

Das hat Augstein in einem Text des „berühmten amerikanischen Politikwissenschaftlers Kenneth Waltz“ gelesen, der meinte, die iranische Bombe diene der Stabilität im Nahen Osten: „Macht will ausgeglichen werden. Überraschend ist nur, dass es im israelischen Fall so lange gedauert hat, bis ein potenzielles Gegengewicht aufgekommen ist.“

Die Bombe für alle

Es ist nicht ganz einfach, aber versuchen wir Jakobs Augsteins Gedankengang noch einmal zusammenzufassen: 1. Günter Grass schrieb einen wirren Satz, auf den wir aber besser gehört hätten: „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden.“ 2. Die iranische Atombombe ist keine reale Gefahr. Sie existiert nur im Kopf von Benjamin Netanjahu. 3. Bibi hat die Leute dazu gebracht, zu glauben, dass die iranische Atombombe eine reale Gefahr darstellt. 4. Es gibt iranische Mullahs, die Tel Aviv bombardieren wollen. Mit welchen Bomben ist nicht so wichtig. 5. Die Iraner und die Israelis bilden sich ein, dass sie verfeindet seien. 6. Die iranische Atombombe muss möglichst schnell gebaut werden.

Ich bin froh, dass Jakob Augstein nicht Bundeskanzler ist, sondern Angela Merkel. Sie hatte in ihrer Rede vor der Knesset auch gesagt: „Nicht die Welt muss Iran beweisen, dass der Iran die Atombombe baut. Iran muss die Welt überzeugen, dass er die Atombombe nicht will.“ So knapp, so einfach, so logisch kann man das Problem auch zusammenfassen.

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