Debatte Griechenland: Stark und hilflos

Der linke Syriza-Chef Alexis Tsipras greift nach der politischen Macht in Griechenland. Ökonomisch sind ihm aber die Hände gebunden.

Europa braucht ihn. Und Alexis Tsipras braucht Europa. Bild: dpa

Viele europäische Linke hoffen auf Griechenland: Wenn Syriza am Sonntag die griechischen Wahlen gewinnt, dann sei eine linke Wende auf dem ganzen Kontinent möglich. Das dürfte eine Illusion bleiben. Es ist zwar sehr wahrscheinlich, dass Syriza an die Macht kommt, aber diese neue Regierung unter Alexis Tsipras wird trotzdem machtlos sein.

Denn Tsipras kann nicht agieren, sondern nur reagieren. Er ist vollständig vom Ausland abhängig. Diese Hilflosigkeit wird nicht wahrgenommen, weil sich die Debatte bisher nur auf die Staatsschulden konzentriert. Die Idee ist: Sobald der griechische Staat entschuldet wird, geht es wieder aufwärts. Das ist leider falsch. Die ökonomische Lage bliebe katastrophal.

Die Staatsschulden sind nämlich nicht so drückend, wie sie oft dargestellt werden. Die Zinsen liegen nur noch bei etwa 6 Milliarden Euro im Jahr. Natürlich wäre es besser, dieses Geld zu sparen und für ein Sozialprogramm auszugeben, das den Ärmsten hilft. Aber das eigentliche Problem ist fundamentaler: Griechenland hat kein Geschäftsmodell.

Wenn man die bisherigen Staatsschulden streicht, wären nur die alten Auslandskredite gelöscht. Griechenland benötigt jedoch ständig neue Darlehen aus dem Ausland, um die Importe zu bezahlen, auf die es nicht verzichten kann. Im Land selbst wird fast nichts produziert. Es ist zwar ein Agrarstaat, aber sogar Lebensmittel werden eingeführt. Um es krass zu sagen: In Griechenland gibt es nur Hotelbetten, aber Tourismus reicht nicht, um allen einen mitteleuropäischen Lebensstandard zu finanzieren.

Griechenland braucht Wachstum

Diese Notlage wird in den anderen europäischen Staaten oft nicht begriffen. So wird den Griechen immer wieder gern geraten, sie sollten endlich ihren überdimensionierten Staatsapparat reduzieren. Und es stimmt ja: Viele Beamte haben keine Ahnung von ihrem Job, sondern wurden nur eingestellt, weil sie den richtigen Politiker kannten.

Trotzdem würde es nicht helfen, die überzähligen Beamten einfach zu entlassen. Der Staatsdienst hat längst eine neue Funktion: Er ist die einzig existierende Arbeitslosenversicherung des Landes. Fast jeder Beamte unterstützt noch andere Familienmitglieder, die ihre Stelle verloren haben.

Griechenland braucht also dringend Wachstum, aber einen Aufschwung wird es nur geben, wenn das Ausland weiter zahlt – und neue Kredite gewährt. Tsipras hingegen vermittelt in seinem „Thessaloniki-Programm“ den Eindruck, als würde sich das Wachstum von selbst finanzieren, wenn man nur das „Spardiktat“ der Troika abschütteln könnte.

Kein „Anschlag auf die griechische Demokratie“

Bei Syriza wird stets so getan, als sei es die Schuld der anderen EU-Staaten, dass sich Griechenland in der Krise befindet. Schön wär’s. Dann wäre die Lösung ja einfach. Man müsste nur die Schulden streichen und könnte die Griechen sich selbst überlassen. Aber leider werden sie permanente Hilfe benötigen – noch mindestens 20 Jahre lang. Griechenland braucht Forschung, neue zukunftsfähige Branchen und Investitionen in die regenerative Energie.

Das Ausland wird die nötigen Milliarden jedoch nur gewähren, wenn es mitbestimmen kann, was in Griechenland passiert. Diese ständige Einmischung von außen ist bitter, aber kein „Anschlag auf die griechische Demokratie“. Man kann von den Kreditgebern nicht erwarten, dass sie dem Land blind Geld zur Verfügung stellen. Diese Erkenntnis erspart Tsipras seinen Wählern bisher, aber er selbst reist längst durch die europäischen Hauptstädte, um diplomatische Kontakte zu knüpfen.

Die Europäer wiederum sollten verstehen, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, Syriza zu unterstützen. Tsipras ist die letzte Chance, ein demokratisches Griechenland zu erhalten. Falls Syriza mit dem Versprechen scheitert, die Krise zu lindern, werden viele Griechen so verzweifelt sein, dass sie zu Rechtspopulisten oder gar Faschisten überlaufen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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