Debatte Google Glass und Überwachung: Eine Brille? Hausmeister hilf!

Der Wettlauf ist längst entschieden: Noch bevor die Datenbrille „Google Glass“ auf den Markt kommt, ist die „German Angst“ schon da.

Wer hat Angst vor dieser Frau? Niemand. Und vor der Brille? Viele! Bild: reuters

Es ist nur eine Brille. Kein staatliches Spionageprogramm, keine militärische Drohne, keine privatwirtschaftliche Schnüffelsoftware. „Google Glass“ ist eine Brille mit Internetanschluss. Sie kann lediglich das, was Smartphones und Tablet-Computer auch können – ins Netz gehen, Daten zwischen Geräten austauschen, Chat und E-Mail, Fotos und Videos machen, Tonaufnahmen.

Noch in diesem Jahr soll sie auf den Markt kommen und bevor es so weit ist, ist die Angst schon da. Die Angst vor Überwachung. Die Angst davor, fotografiert oder gefilmt zu werden, ohne es zu merken. Die Angst davor, dass diese Fotos und Filme sowie andere Daten auf den Servern von Google landen, wo sie der eigenen Kontrolle entzogen sind. Die Angst, dass die eigene Privatsphäre verletzt wird. Aber auch, und hier wird es lächerlich, die generelle Angst vor neuer Technologie.

Die Debatte ist nun in Deutschland angekommen und über „Google Glass“ ist erstmal wenig Gutes und viel Hysterie zu vernehmen. Von einer privaten Ausweitung der ohnehin allgegenwärtigen Videokameras im öffentlichen Raum ist da die Rede; von noch mehr Werbung; von Drohnen, die sich Zugriff auf „hunderttausende herumlaufende Überwachungskameras“ verschaffen könnten; von der Unterwerfung „unserer Leben“ unter die „allgegenwärtige Datenverarbeitung“ gar.

Auch in Großbritannien und in den USA haben Debatten um Datenschutz, Privatsphäre und „wearable computing“ – sei es nun die Datenbrille, ein Schuh oder eine Uhr – begonnen. Sie werden rational geführt, Argumente treffen auf Gegenargumente, es geht um einzelne Aspekte der neuen Technologie und nicht um die Technologie selbst. In Deutschland aber meldet sich wie so oft zuerst der Hausmeister zu Wort: „Was Neues? Gibt's nicht! Nicht in meinem Hof! Da könnt' ja jeder kommen!“

Datenschutz-Avantgarde vs. technologisches Mittelalter

Wir gehören nicht zur netztechnologischen Avantgarde, kaum eine Innovation in diesem Bereich kommt aus Deutschland. Unternehmen, die den Anschluss an die Weltspitze halten, können wir mit dem beliebtesten Google-Symbolfoto, einer Lupe, suchen.

Dagegen kann Deutschland beim Datenschutz nicht nur international mithalten, sondern es liegt dabei ganz vorn. Die Gesetze und Regelungen sind so weit vorn, dass sie schon die automatische Gesichtserkennung bei Facebook verhindert und ein Opt-Out bei Google Street View erreicht haben, gegen die Videoüberwachung öffentlicher Plätze, den Staatstrojaner und die Weitergabe von Nutzerdaten beim Filesharing aber weitgehend machtlos sind.

Schon jetzt, lange bevor „Google Glass“ die Testphase verlassen hat, nach neuen Regeln, mehr Konventionen und schärferen Gesetzen zu rufen, ändert an dieser seltsamen Ambivalenz des deutschen Datenschutzes jedenfalls nichts. Da freut sich nur der Hausmeister über die freundliche Unterstützung und die Ausweitung seiner Macht: „Wennse in Urlaub fahren, gebense mir ruhig die Wohnungsschlüssel.“

Neuer Anlass, alte Debatte

Nichts an den nun gegen „Google Glass“ vorgebrachten Argumenten ist neu. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte, die mögliche Verbindung neuer Technologie mit Satelliten oder Drohnen, die Frage, wie lange Fotos, Videos und Daten auf Servern oder im Netz liegen dürfen, der Öffentlichkeit vorenthaltene Informationen, grundsätzliche Datenschutzerwägungen – im Interview mit Spiegel Online betonte Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner im Oktober 2010 sogar alle Aspekte auf einmal.

Wohlgemerkt: Dabei geht es nicht um den deutschen Staat und seine Sicherheitsbehörden, die – wie der Dresdener Handydatenskandal zeigt – nicht selten ein rein instrumentelles Verhältnis zu Datenschutz, Persönlichkeitsrechten und Transparenz haben, sondern um Google; in diesem Fall Google Street View.

Was wurde in den Jahren 2009 und 2010 nicht alles befürchtet: Wer Häuser und Autos fotografiere und diese Fotos im Netz veröffentliche, verletze die Privatsphäre von Millionen Menschen; systematisch werde der Datenschutz ausgehebelt; Einbrecher hätten es noch nie so leicht gehabt und so weiter. Mit dem souveränen Blick von heute sehen wir: Kaum etwas davon ist eingetreten, der „German Angst“ folgte – nichts. Nur der Hausmeister bleibt stur: „Gefilmt wird hier nicht. Und wenn doch, dann nur von mir!“

Recht am eigenen Bild

Es braucht weder neue Konventionen, Regeln oder gar Gesetze, wenn „Google Glass“ in Deutschland irgendwann frei erhältlich sein sollte. Im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht und speziell im Recht am eigenen Bild ist gerade im deutschen Rechtsraum alles klar und deutlich festgelegt.

Paragraph 22 des Kunsturhebergesetzes stellt klar: „Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, dass er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt (...).“ Es folgen Ausnahmen und Strafvorschriften. Das Bundesverfassungsgericht hat darüber hinaus das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ausdrücklich als Datenschutz-Grundrecht bestätigt.

Das bedeutet: Mit „Google Glass“ erstellte Fotos und Filme sind nicht anders zu behandeln als mit Handys, digitalen und analogen Kameras erstellte Aufnahmen. Wer die Persönlichkeitsrechte eines Anderen verletzt, kann straf- und zivilrechtlich belangt werden. Da bekommt sogar der Hausmeister Angst – und das ist auch gut so.

So klar die rechtliche, so unklar ist die ethische Seite der Verwendung von „Google Glass“ und anderen Geräten aus dem Bereich des „wearable computing“. Einfacher und unauffälliger als bisher lassen sich Töne, Fotos und Bewegtbilder erstellen und in personenbezogene Daten umwandeln. In diesem Fall wäre ein ehrlicher, zivilisierter und respektvoller Umgang aller Beteiligten wichtig. Daran kann Google mitwirken. Offenzulegen, welche Daten wann, wo, wie gespeichert und weiterverarbeitet werden und wie sie möglicherweise gelöscht werden können, wäre ein erster Schritt.

Angesichts der Macht von Google mag das naiv klingen. Aber um wieviel naiver ist die „German Angst“ vor dem technologisch Neuen. Genauer gesagt: vor einer Brille.

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Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.

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