Debatte Fußball und Menschenrechte: Doha is dahoam

Der FC Bayern München verstärkt seine Kooperation mit Katar. Das rückt die Diskussion über Menschenrechts­fragen im Sport in den Mittelpunkt.

Ein Mann mit vielen Fanschals steht vor einem Kamel.

Keine Berührungsängste: Der FC Bayern und Katar stehen sich schon länger nahe Foto: imago/Ulmer/Cremer

Menschenrechte sind etwas Wunderbares, blöd nur, dass sie den Machthabern nicht immer recht sind. Da sie den Aggregatzustand rasch wechseln, verflüchtigen sich Menschenrechte in Autokratien schnell. Den Herrschern im kleinen, reichen Katar wird vorgeworfen, dass sie Menschenrechte im großen Stil missachten. Es gibt Sklavenarbeiter, die praktisch rechtlos sind, eine Opposition, die marginalisiert ist. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist eingeschränkt.

Das alles hat in der westlichen Welt noch viel mehr Aufmerksamkeit erregt, seit den Katarern unter zumindest fragwürdigen Umständen die Fußball-WM im Jahr 2022 zuerkannt wurde – und seit der FC Bayern nicht nur regelmäßig seine Wintertrainingslager in Katar aufschlägt, sondern jetzt auch noch den Doha Airport zu seinen Geldgebern zählt. Darf man mit „denen“ kooperieren?

„Ich finde es völlig unverantwortlich, dass unter solchen Umständen ein Fußballfest stattfindet“, sagt Claudia Roth von den Grünen, Vizepräsidentin des Bundestags. Etliche Politiker von SPD und CDU assistieren ihr. „Es war ein Fehler, die WM dort hinzugeben“, findet Sylvia Schenk von Transparency International.

Im Mittelpunkt des Diskurses stehen die Menschenrechte. Sie gehen eine Symbiose mit dem Eventsport ein, und zwar immer dann, wenn der große Sport ein autoritär geführtes Land erreicht. In so einem Fall wird der Sport politisch. Er kann gar nicht anders, denn der Sportbetrieb ist, neben anderen Dingen, auch eine moralische Anstalt.

Andere Interpretation von Zusammenleben

Wenn die Führungskräfte dieser moralischen Anstalt nach Katar schauen, dann wird ihnen ganz schwummrig, denn in Doha oder al-Chaur, diesen Glitzerstädten im Ölpatriarchat, geht es mitnichten zu wie in Amsterdam oder Oslo. In Katar werden andere religiöse und kulturelle Vorstellungen gepflegt, es herrscht mithin eine andere Interpretation von gesellschaftlichem Zusammenleben. Liberale Geister westlicher Prägung würden konstatieren: Das Ausmaß an Unfreiheit ist in Katar recht hoch – auch wenn es sich für Geschäftsleute, die Bayern-Entourage und Urlauber im Scheichtum komfortabel leben lässt.

Im Jahr 2010 überwies Katars WM-Bewerbungskomitee 2022 dem afrikanischen Fußballverband 1,8 Millionen Dollar.

Abdullah bin Nasser al-Thani, ein Mitglied der Königsfamilie, investierte im selben Jahr 150 Millionen Euro in den FC Malaga.

Am 10. Dezember 2010 gab der FC Barcelona einen Trikotsponsorenvertrag mit dem Staatsfonds Katar Sports Investment über 170 Millionen Euro für fünf Jahre bekannt.

Der Staatsfonds Katar Sports Investment kaufte sich 2011 für 130 Millionen Euro bei Paris Saint-Germain ein. 250 Millionen wurden für Spielereinkäufe draufgelegt.

Die Elite des Landes, die sunnitische Führungsschicht, hält es offensichtlich für normal, ein entrechtetes Prekariat aus armen Regionen Asiens für sich arbeiten zu lassen. Doch wie geht das zusammen mit dem Postulat von der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte, das auf dem Wirtstier des Sports immer wieder Katar erreicht?

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 gilt prinzipiell für jeden Erdenbürger, für einen Katarer genauso wie für einen Südafrikaner, Bolivianer oder Russen. Geht es nach den Verfechtern der UN-Menschenrechtscharta, dann hat Katar nicht nur die moralische Pflicht, das Regelwerk strikt umzusetzen, nein, es muss diesen Willen auch erklären durch die Ratifizierung entsprechender Abkommen. Doch damit ist es nicht weit her. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist „nur“ ein von der UN-Generalversammlung verabschiedetes Papier, das nicht unmittelbar bindend ist.

Verbindlicheren Charakter haben zwei Instrumente: der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte sowie der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Beide Papiere hat Katar nicht unterschrieben, wie im Übrigen auch Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Oman. Das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau hat Katar zwar unterschrieben, aber nicht ratifiziert.

„Judäo-christliche Tradition“

Als Gegenentwurf zu den Menschenrechtspapieren der Weltgemeinschaft hat sich die arabische Welt quasi eine eigene Menschenrechtsverfassung gegeben. Das hat den Vorteil, dass man den Charakter der Menschenrechte als Abwehrrechte gegen den Staat abschwächen und eigene moralisch-religiöse Moralvorstellungen einfließen lassen kann. So ist im Jahre 1990 die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam entstanden, die sich auch auf die Scharia bezieht. Die UN-Charta wird in der muslimischen Welt oft in einer „judäo-christlichen Tradition“ gesehen, daher könne sie von Muslimen nicht ohne Bruch des islamischen Rechts befolgt werden.

Auf die Kairoer Erklärung, die völkerrechtlich nicht bindend ist, folgte die Arabische Charta der Menschenrechte. Die Scharia wird darin nicht direkt erwähnt. Nach dem Stand von 2009 haben zehn Mitgliedstaaten der Arabischen Liga die Charta ratifiziert: unter anderem Katar. Einer der wesentlichen Kritikpunkte an der Arabischen Charta der Menschenrechte ist, dass sie nicht in die Zivilgesellschaft hineinwirkt, also nicht mit Leben gefüllt wird. Es gibt keinen arabischen Menschenrechtsgerichtshof.

Aber selbst wenn es in der arabischen Welt so etwas wie eine juristisch verfasste Menschenrechtsparallelwelt gibt – neben dem Menschenrechtsuniversalismus des Westens –, kann man natürlich auch mit der Arabischen Charta die Menschenrechte in Katar sehr gut vermessen, denn in Artikel 10 steht: Sklaverei und Sklavenhandel sind untersagt und werden bestraft. Artikel 11 besagt: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben das Recht, ihren Schutz ohne Diskriminierung zu genießen. Das dürfte die Sklavenarbeiter sicherlich interessieren. Sie haben Rechte. Sie müssten nur umgesetzt werden.

Druck ausüben oder Dialog suchen

Doch Papier ist geduldig, die Kritiker des Kafala-Systems, das in Katar den Umgang mit Arbeitsemigranten regelt, sind es zum Glück nicht. „Man kann sich nicht abschotten vor den Ereignissen in Katar, vor allem nicht vor der Missachtung von bürgerlichen und sozialen Rechten“, sagt Claudia Roth. Druck müsse ausgeübt werden, fordert sie. Das findet auch Sylvia Schenk oder Mark Pieth, ein Schweizer Experte auf dem Feld der Korruptionsbekämpfung.

Die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte müsse „durchgedrückt“ werden. Dieser Anspruch ist legitim, nur ist zu überlegen, wie er umgesetzt werden kann, ohne den Adressaten zu brüskieren. Wählt man eine naseweise Argumentation und wirkt damit, wie der Schweizer Verein Humanrights zu Bedenken gibt, „rechthaberisch und kulturimperialistisch“? Oder sucht man den Dialog?

Das hieße: Die eigene Position nicht verabsolutieren, „sondern anerkennen“, so Humanrights, „dass es für viele Menschen gute oder auch weniger nachvollziehbare Gründe gibt, um eine andere Position zu vertreten“. Das wäre ein Gebot der Toleranz – und der Weitsicht. Für europäische Politiker und Aktivisten würde das bedeuteten, sich auf eine Strategie der kleinen Schritte, der vorsichtigen Annäherung einzulassen. „Solange wir Waffen nach Katar liefern, muss man eh vorsichtig sein.“ Auch dieser Satz stammt von Claudia Roth. Er verweist darauf, dass es immer besser ist, komplex zu denken.

Eine Isolation von Katar, wie sie bisweilen im Begleittross des Eventsports gefordert wird, ist nicht nur unsinnig, sie ist auch weltfremd. Das Land verfügt über riesige Erdgasvorkommen, Hunderte deutsche Firmen machen dort gute Geschäfte. Für die Bundesregierung ist Katar ein „strategischer Partner“ – für den FC Bayern auch. Das Land hat sich massiv in den europäischen Profisport und in Firmen des Okzidents (VW, Barclays) eingekauft.

Für die Fußballfans wird es im Jahr 2022 eine Weltmeisterschaft der kurzen Wege, der supermodernen Stadien und winterlicher Public Viewings geben. Das Finale steigt kurz vor Weihnachten. Vielleicht wird man dann auch Claudia Roth auf der VIP-Tribüne im Doha Port Stadium sehen, „sportnarrisch“ ist sie ja. Nur sollte ab dem Moment, da der Ball rollt, nicht vergessen werden, wer dieses Stadion gebaut hat: entrechtete Arbeitsmigranten aus Bhutan oder Sri Lanka.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.