Debatte Die Traumata unserer Mütter: Verlorene Leben

Die Vergewaltigungen im Zweiten Weltkrieg durch alle Seiten sind nie aufgearbeitet worden. Die Traumata wurden weitergegeben.

Alles Opfer, keine Täter: Lalalala, die Mutter die backt Kuchen... In dieser Szene aus „Unsere Mütter, unsere Väter.“ Bild: ZDF/ David Slama

Filme sollen uns berühren, uns die Kraft verleihen, das Schweigen zwischen den Generationen zu überwinden. Was wir sicher nicht brauchen, ist noch ein Epos, das sein Hauptgewicht auf das ewig Militärische legt.

Ein Film über „Unsere Mütter, unsere Väter“, wie ich ihn mir wünsche, muss am großen Nachkriegsschweigen und den Traumatisierungen der Kriegszeit ansetzen – und von dort in der Zeit zurückgehen. Stattdessen suggeriert dieser Dreiteiler, das NS-Regime sei vom Himmel gefallen und hätte das Leben einer Gruppe junger Menschen ruiniert, die ansonsten mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun hatten.

Aber auch damals haben sich Jugendliche schuldig gemacht und für ebenjenen Staat gekämpft, der ihren jüdischen Freund aussortiert und beseitigt hat. Eine wirkliche Aufarbeitung wäre eine Aussage wie: „Ich habe das nicht sehen wollen und mich von diesem Regime instrumentalisieren lassen. Das war nur möglich, weil viele so wie ich aus unserer nationalsozialistischen Akzeptanz heraus die verbrecherischen Zeichen ausgeblendet haben.“

Das müsste der damals 18-Jährige heute sagen, damit die Last der Schuld am richtigen Ort ist und er auch um sein verlorenes Leben trauern kann.

Gleiche Bilder

Tatort Riga: Im Juni 1941 veranstalten deutsche Soldaten nach der Eroberung der Stadt Saufgelage. Einheimische Frauen, auch Jüdinnen, müssen sich unter dem Gegröle deutscher Männer ausziehen, vor ihnen tanzen und singen. Danach wurden sie erst vergewaltigt, dann erschossen.

Tatort Berlin: Im Mai 1945 wüteten Sowjetsoldaten im eroberten Berlin, trunken vom Sieg und vom Hass auf alles Deutsche, das ihr Leben und ihre Lieben zerstört hatte. Auch sie vergewaltigten und erschossen wahllos einheimische Frauen und Mädchen.

Wie sich die Bilder doch gleichen! Die Forschungen und Dokumentationen der letzten 20 Jahre zeigen übereinstimmend, dass sexualisierte Gewalt, mit und ohne Befehl, ein Massenphänomen in vergangenen und gegenwärtigen Kriegen ist.

In jedem Fall zahlten alle Frauen den hohen Preis. Ihre Körper wurden benutzt und weggeworfen. Und wenn sie es überlebt hatten, folgten in der Nachkriegszeit soziale Ausgrenzung und Schuldzuweisung, die es ihnen nahezu unmöglich machte, von ihren schmerzhaften Erfahrungen zu sprechen. Sie wurden in ihrer ganzen Emotionalität und Bindungsfähigkeit zutiefst verletzt, verunsichert.

Männer wurden Täter

Wie schmerzhaft muss es für diese Frauen gewesen sein, von ihren 68er-Töchtern als „kalte Mütter“ bezeichnet zu werden, die mit ihrer Körperfeindlichkeit ihre Töchter in deren Pubertät zutiefst verunsicherten.

Viele Männer wurden damals zu Tätern. Sie nutzten die vom Militär gebotenen Möglichkeiten der individuellen Machtausübung, und die Strukturen des Militärs nutzten diese Männer für sich. Bis dahin geltende Normvorstellungen, Hemmungen und Schuldgefühle fielen weg, mit dem Resultat von Verrohung und völlig entgrenztem Gewaltverhalten. In dieser militarisierten Sozialisation dienten und dienen Gruppenvergewaltigungen dem männlichen Zusammenhalt und sichern Hierarchien ab. Sie sollen die eigene Heterosexualität unterstreichen und die Dominanz über Frauen sichern und stärken. Es sind genau diese patriarchalen Vorstellungen über Männlichkeit, die sexualisierte Gewalt als Massenphänomen im Krieg erst möglich machen.

Sprachlosigkeit nach 1945

Anstatt für ihr Verhalten Verantwortung zu übernehmen, reagierten viele Männer nach dem Krieg mit massiver Irritation. Sie waren die Verlierer, „ihre“ Frauen waren vergewaltigt worden. Daraus resultierte eine individuelle und gesellschaftliche Sprachlosigkeit über Generationen hinweg, die in keinerlei politischer oder gar juristischer Aufarbeitung mündete. Ein Beispiel dafür ist, dass Kriegsrückkehrer in Heimen für „schwer erziehbare“ Jugendliche als Erzieher eingesetzt wurden – mit den heute bekannten neuen Gewalttaten. Nur weil die Gewalt der Waffen zu Ende war, war sie dies nicht in den Köpfen der früheren Täter.

Keine Gerechtigkeit

Transgenerationelle Traumatisierung wirkt nach. Die heute alte deutsche Frau hat ja ihre unverarbeiteten Traumata ein Leben lang mit ihren Nächsten „gelebt“ und die Wirkungen weitergegeben. Etwa an den Jungen, der im Ehebett seiner Mutter schlafen musste, weil der Vater nicht aus dem Krieg heimgekommen war. Erst mit der eigenen Heirat zog er aus diesem Bett aus. Aber seine Ehe scheiterte an den Spannungen zwischen seiner Frau und seiner Mutter.

Oder an die Tochter, die erlebte, wie ihre Mutter in Abwesenheit des Vaters im Krieg die Familie führt und das Überleben sichert. Kaum war der Krieg vorbei, ist die Mutter abwesend, wirkt hilflos und geschwächt. Da übernimmt die Tochter das Ruder und sorgt für ihre Geschwister. Später gründet sie eine eigene Familie. Als dann ihre Tochter in die Pubertät kommt, setzen bei der Mutter Panikattacken ein. Der daraufhin begonnene Therapieprozess bringt Erinnerung und erlebte Geschichte dreier Generationen zusammen: Die Veränderung der Mutter nach Kriegsende war auf eine Vergewaltigung zurückzuführen, die Panikattacken der Tochter meldeten sich als Warnsystem, als ihre eigene Tochter geschlechtsreif wurde.

Keine der vergewaltigten Frauen hat je juristische Gerechtigkeit erhalten – von keiner der Kriegsparteien. Vielmehr war die Erinnerungskultur nach dem Krieg in beiden deutschen Staaten mit zahllosen Entlastungen verbunden. „Es mussten Verleugnungen spezifischer weiblicher Leidenserfahrungen erfolgen, damit die national gedachte Rekonstruktion heroischer Männlichkeit möglich war“, schreibt Silke Wenk in ihrem Band „Gedächtnis und Geschlecht“. Hier müssen Korrekturen vorgenommen werden, auch um ein Stück Gerechtigkeit für die Frauen herzustellen. Es ist höchste Zeit, dass die Kriegsvergewaltigungen an allen weiblichen Opfergruppen einen Gedenkort erhalten – denn Heilung braucht Erinnerung.

Nur mit der Bereitschaft zur Bearbeitung der tabuisierten Traumata von Schuld und Leid kann es zu einer wirklichen Befriedung kommen. Nur so können wir Verantwortung übernehmen.

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