Debatte: Atomausstieg: Wolkenmacher, Windräder, Wasser

Wie lebt es sich mit dem Atomkraftwerk vor der Tür? taz.meinland hat in Ichenhausen nachgefragt.

Hitzige Debatte, viele Fragen offen: Wie geht es weiter mit dem Atommeiler Gundremmingen? Bild: Paul Toetzke

von MALAIKA RIVUZUMWAMI

Die Atompfeiler mit ihren dicken Rauchwolken sieht man schon aus weiter Ferne. Von Kindern oftmals als „Wolkenmacher“ bezeichnet, steht das Kernkraftwerk Gundremmingen in der bayrischen Landschaft. Es ist die leistungsstärkste und erste atomare Großanlage in Deutschland.

Doch das Atomkraftwerk ist auch aus anderen Gründen bekannt: am 13. Januar 1977 kommt es zu einem schweren Störfall. Der damals größte zivile Atommeiler der Welt wird so verstrahlt, dass er nicht mehr genutzt werden kann – die Ruine steht noch heute. Es war einer der schwersten Zwischenfälle bei der Nutzung von Atomenergie in Deutschland.

Heute ist die Situation eine Andere: Block B des Kernkraftwerks läuft noch bis Ende diesen Jahres, Block C soll erst Ende 2021 stillgelegt werden. Ein langer und schwieriger Prozess. Immer noch bleiben Fragen offen: Umweltorganisationen, Parteien und Einzelpersonen zweifeln daran, dass die Sicherheit der Anlage gewährleistet werden kann.

Wie lebt es sich mit einem Atomkraftwerk vor der Tür?

Das Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente vor Ort ist noch bis 2046 genehmigt. Doch wie lebt es sich mit einem Atomkraftwerk vor der Tür? Im gemütlichen Gasthof Adlerwirt in Ichenhausen, im Landkreis Günzburg, traf sich taz.meinland mit Bürger*innen aus der Region, um über verpasste Chancen, politische Trägheit und ihr jahrelanges Engagement zu sprechen.

"Solange man mit dem AKW Geld machen kann, wird es bleiben!"

Zunächst erörterten die geladenen Gäste Dr. Herbert Barthel (Bund Naturschutz in Bayern e.V. ), Georg Abt (Stadtrat SPD in Ichenhausen), Maximilian Deisenhofer (Kreisrat und Bezirksvorstand Bündnis 90/Die Grünen in Schwaben) und Thomas Wolf (Mahnwache Gundremmingen) zusammen mit Moderator Torben Becker (Redakteur taz.meinland) die momentane Situation.

Artikel 152 der Verfassung des Freistaates Bayern besagt:“Die geordnete Herstellung und Verteilung der wirtschaftlichen Güter zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfes der Bevölkerung wird vom Staat überwacht. Ihm obliegt die Sicherstellung der Versorgung des Landes mit elektrischer Kraft.“

Deutschland ist ein Stromüberflussland

Bis 2021 sollen in Deutschland insgesamt sechs Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Viele meinen, dass in diesem sehr hoch gesteckten Ziel das Scheitern schon vorprogrammiert ist, dass es heißt: „Wir schaffen es doch nicht!“

In der Region Günzburg haben die Städte jahrzehntelang auf das Atomkraftwerk gebaut. Es garantierte sichere Arbeitsplätze und dies bedeutete damals auch ein gutes Einkommen - die Städte sind reich geworden. Durch diesen Verlust kommen auch Ängste auf, die man ernst nehmen muss.

Einige behaupten, dass hier bald das Licht ausgeht. Denn es wird oft beteuert, dass der Strom aus Gundremmingen tatsächlich gebraucht wird. Deutschland hat jedoch kein Problem mit Versorgungsnot, Deutschland ist ein Stromüberschussland. Gleichzeitig ist es aber auch einer der großen Exporteure von Strom. Und viele meinen genau darum geht es: die Wirtschaft. Man will den Konzernen nicht das Geschäft kaputt machen.

Verpasste Chancen

Mittlerweile gibt es in Deutschland eine halbe Millionen Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien. Arbeitskräfte, die den neuen Wandel mitgehen. „Man hat in den letzten Jahren zu viele Chancen verpasst, sich auf einen Atomausstieg einzustellen. Das kostet uns jetzt viel Zeit“, meint Maximilian Deisenhofer.

"Das geht doch alles so einfach - der Wandel wird kommen".

Thomas Wolf stimmt ihm zu. Er glaubt nicht daran die Auflösung des Zwischenlagers noch erleben zu dürfen: „Es geht ja nur darum, Geld zu machen. Solange man mit dem AKW Geld machen kann, wird es bleiben!“

Die Suche nach Alternativen sorgt aber auch für Streit. „Was gibt es für Alternativen, um das Licht hier brennen zu lassen?“ wird aus dem Publikum gefragt. Die Antwort kommt prompt: Windräder. „Wie kriegen wir die Kritik und den Hass auf die Windenergie weg, um zu zeigen das es eigentlich nur verlorene Liebe an die Atomkraft ist?“ fragt Dr. Herbert Barthel in die Runde.

Warum sind Windräder nicht einfach schön?

Für Georg Abt liegt das Problem in der Sichtweise: „Warum sagen wir nicht einfach, Windräder sind schön? Wenn man sich denkt, das ist ungefährlich und regenerativ, muss man doch nicht von Landschaftsverschandelung sprechen“.

Diesen Denkanstoß im ländlichen Raum durchzusetzten, wäre eine enorme Leistung. Denn die meisten glauben, der grundsätzliche Tenor hier sei: Windenergie wollen wir nicht. Genauso wie keinen Zubau an erneuerbaren Energien, egal zu was man sich in Paris verpflichtet habe.

Vor allem die Bürgermeister im ländlichen Raum, würden vielem im Wege stehen. Denn das Aufstellen von Windräder bedeutet meist erst einmal Ärger im Ort. „In unserem Landkreis speziell“, betont jemand aus dem Publikum, „wird es Aufstand geben“. Man müsste schon ein hohes Maß an Energie aufwenden, um alle mit ins Boot zu holen.

Wind vs. Wasser

"Wie kriegen wir die Kritik und den hass auf die Windenergie weg?"

Hier in Bayern sind viele noch sehr konventionell. Den Ärger will keiner. Ein Gegenvorschlag zum Wind, kommt direkt aus dem Publikum: Warum denn nicht auf Wasserkraft setzten, bei so vielen Seen? Aber neunzig Prozent der Flüsse und Seen in Bayern sind mittlerweile schon verbaut.

Außerdem ist der ökologische Fußabdruck von Windenergie deutlich geringer als der von Wasserkraft. „Wir können doch nicht anfangen, unser Land komplett zu zerstören indem wir die Widlwassergebiete und den maximal geschützt Raum auch noch bebauen. Das sind doch genau die Orte, wo wir mit unseren Kindern hingehen!“, sagt ein Mann aus dem Publikum.

Man müsse sich einfach endlich dieser Aufgabe stellen und die Energiewende angehen. Aber vernünftig. Neben den bisher wenigen Alternativen vor Ort sorgt man sich vor allem um die Sicherheit in der Region: Schutz vor Naturkatastrophen und terroristischen Angriffen.

Grundremmingen ist nicht sicher

Drei Gutachten mit zwei verschiedenen Aussagen lassen Zweifel an der Sicherheit des Siedewasser-Reaktors vom Typ Fukushima aufkommen. Ein erstes Gutachten bezweifelte bereits 2013 die Sicherheit des größten deutschen Atomkraftwerks. Eine zweite Untersuchung aber kam 2016 zu dem Schluss, dass das AKW sicher ist.

Beide Untersuchungen wurden vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegeben. Gutachten Nummer drei liegt nun vor und stellt fest: Gundremmingen ist nicht sicher. Das von der grünen Bundestagsfraktion in Auftrag gegebene Gutachten listet Verstöße gegen deutsche AKW-Sicherheitsanforderungen auf.

Demnach erfülle das Not- und Kühlwassersystem nicht die notwendigen Voraussetzungen zur Störfallbeherrschung. Bei Erdbeben oder anderen starken Erschütterungen wie bei Explosionen, Flugzeugabstürzen oder Terrorangriffen, wäre die Gefahr einer Kernschmelze groß.

„Das haben wir immer so gemacht“

Die Blöcke B und C sollten eigentlich gleichzeitig stillgelegt werden, doch das Atomgesetz erlaubt nun, dass sie beide zu unterschiedlichen Zeitpunkten abgeschaltet werden können. Technische und rechtliche Überprüfungen wurden gefordert, doch die Genehmigung liegt nun einmal vor.

Nun können nur noch rechtliche Schritte eingeleitet werden. Doch dieser Weg ist lang und solche und ähnliche Lösungen haben in Bayern noch nie zum Erfolg geführt. Es wird aber vor allem kritisiert, dass man nicht früher bei anstehenden Entscheidungen eingebunden wurde.

Man kann hier so gut argumentieren wie man will, es wird nicht richtig diskutiert. Das ist doch das Problem im ländlichen Bereich. Nachher heißt es einfach: Das haben wir immer so gemacht! Dann wird man doch dazu gezwungen, den juristischen Weg zu gehen“, merkte eine Dame aus dem Publikum an.

Letzter Schritt: Bundesverfassungsgericht

Zurzeit laufen zwei Mahnverfahren vor Gericht. Eines gegen die Genehmigung die Reaktoren zu unterschiedlichen Zeitpunkten abstellen zu lassen und ein Antrag auf Widerruf gegen das erlaubte Zwischenlager. Gegen ein genehmigtes AKW zu klagen, ist allerdings eine Herausforderung: „Ein Gesetz anzufechten, geht nur übers Bundesverfassungsgericht und dazu fehlt uns die Unterstützung und das nötige Kleingeld.“, erklärt Georg Abt.

Erst vor ein paar Tagen wurde eine neue Petition vom Bund Naturschutz in Bayern an den Bayerischen Landtag übergeben. Eine sofortige Abstellung beider Atomreaktoren aufgrund von unzureichender Sicherheit wird gefordert. Die ersten Unterschriften werden schon am Abend in den Reihen gesammelt.

Um nun noch etwas zu ändern, muss der Druck aus der Bevölkerung kommen - darüber ist man sich am runden Tisch einig. Die Kommunalpolitik hat jedoch hier vor Ort extrem wenig Einfluss, beschwert sich Maximilian Deisenhofer. Es würden viele Informationen vorenthalten werden, da es als ein landespolitisches Thema eingestuft wird.

Es lebt sich gut in der Lethargie

Daher sei vor allem die Bevölkerung gefragt. Doch für viele vor Ort sei das Thema durch, das Interesse schon längst erloschen. Denn auch heute Abend diskutiere man ja schließlich wieder in einer doch elitären, interessierten Runde, merkt Georg Abt an.

Eine Dame aus dem Publikum kann dem nur zustimmen: „Das ist das Hauptproblem. Es heißt doch immer: Ihr mit euer Schwarz-Seherei. Die Leute verdrängen einfach. Die wollen hier leben und deswegen befassen sie sich nicht mit dem Thema. Ein Großteil der Bevölkerung fühlt sich in ihrer Lethargie wohl!“.

Pläne, Wünsche und Visionen?

Eine konkrete Lösung, lässt sich an diesem Abend nicht finden. Zu viel hängt von höherer Ebene ab, auch wenn es darauf ankommt den Druck von unten wachsen zu lassen. Doch Wünsche und Visionen sollen mit nach Berlin genommen werden.

Thomas Wolf hat eine Vision: Deutschland wird in Zukunft regenerativ versorgt. „Auch wenn wir mit rasendem Tempo Mist bauen und die Jungen später sagen werden, was wir für Idioten waren. Das geht doch alles so einfach - der Wandel wird kommen“.

Auch Maximilian Deisenhofer hat sogar noch höher gesteckte Ziele für 2017. Denn neben der vollständigen Stilllegung des AKW´s und einem mindestens zehn Prozentigen Wahlergebnis im September, wünscht er sich eine Rückkehr von taz.meinland. Letzteres lässt sich wohl am einfachsten in die Tat umsetzten, denn wir werden Gundremmingen sicherlich nicht nur von Berlin aus weiterhin im Auge behalten.