Datenschutz in der EU: Die Panik, die wir riefen

Blogger und Kleinunternehmer stöhnen über die neuen Datenschutzregeln der Europäischen Union. Dabei dürften es Abmahnanwälte schwer haben.

ine Besucherin liegt bei der Internetkonferenz "re:publica 2018" in einem "Bällebad" und schaut in ihr Smartphone.

Blogger in einem Panikmeer: Symbolbild Foto: dpa

Mehr als 7.000 Blogger und Kleinunternehmer hat sie bereits in Panik versetzt. Die Rede ist von der DSGVO – der Datenschutzgrundverordnung. Ab Freitag gilt sie. EU-weit, ohne Ausnahmen. Sie soll Verbraucher vor dem unkontrollierten Zugriff auf ihre Daten schützen. Allen, die im Netz arbeiten, Texte veröffentlichen, Daten sammeln, verarbeiten und nutzen, setzt sie enge Grenzen.

„Es herrscht viel Panik“, sagt Blogger Finn Hillebrandt. Bei Face­book betreibt er die Gruppe DSGVO für Blogger und Online-Unternehmer. 7.000 Menschen haben sich dort angemeldet, um über die neuen Regeln zu jammern, zu klagen und sich schlau zu machen. Täglich kommen Dutzenden Betroffene dazu.

„Die Leute wissen nicht, wie die Paragrafen aus der DSGVO ausgelegt und interpretiert werden können“, sagt Hillebrandt. Rechtsberatung macht er nicht, aber er informiert darüber, wie die Vorgaben technisch umgesetzt werden können. „Die Angst vor Abmahnungen ist enorm.“

Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise hält die Ängste von Bloggern und Kleinunternehmen für deutlich übertrieben. „Ja, man muss was machen. Aber die Aufsichtsbehörden werden einen Teufel tun und Kleinunternehmen als erstes ins Visier nehmen“, sagte der ehemalige Datenschutzbeauftragte Schleswig-Holsteins der taz. Er rechnet auch nicht mit einer regelrechten Abmahnwelle. „Abgemahnt kann nur das werden, was nach außen hin auch erkennbar ein Datenschutzverstoß ist“, sagte Weichert.

Dazu gehört etwa ein Verstoß gegen die Impressumspflicht oder Regelbrüche in den AGBs. Wer eine normale Webseite hat und keine Daten speichert, der ist zu nichts verpflichtet. Anders sieht es bei Anbietern aus, die Informationen auswerten und weiterverwenden, zum Beispiel darüber, wer Zugriff auf die Webseiten hat. Betroffene Blogger, Vereine und Kleinunternehmer müssen dies dann offenlegen.

Neue Geschäftsmodelle

Die Panik ist hausgemacht. Schließlich ist die DSGVO bereits seit zwei Jahren in Kraft, aber jetzt gilt sie tatsächlich. Auch wenn Verstöße vor allem bei Kleinunternehmern offenbar schwer zu ahnden sind, hat die Verordnung neue Geschäftsmodelle geschaffen. Zum Beispiel Abmahnkanzleien oder Anbieter, die im Namen ihrer Kundschaft Auskunft von den Datensammlern einholen.

Dieses Recht sollen die Verbraucher künftig schneller umsetzen können. Weichert warnt vor solchen Anbietern, da solche Firmen auch in den Besitz der Daten ihrer Auftraggeber kämen. Die Gefahr wäre groß, dass etwa Identitätsdiebstahl betrieben wird.

Thilo Weichert

„Viele haben sich in allerletzter Minute von übertriebener Hysterie verrückt machen lassen“

Die große Unbekannte ­DSGVO schreckt die Unternehmer auf. Auch Blogger Hille­brandt würde sich über eine verlängerte Schonfrist – über den 25. Mai hinaus – für die Umsetzung der EU-Verordnung freuen. Über solche Forderungen kann Weichert allerdings nur lachen. „Viele haben sich in allerletzter Minute von übertriebener Hysterie verrückt machen lassen. Es gibt überhaupt keinen Bedarf, den Unternehmen nochmals eine Schonfrist einzuräumen“, sagt Weichert.

Dagegen fordert Jimmy Schulz, der Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag, Nachsicht mit den Onlinern. An sich seien zwei Jahre eine „großzügig bemessene Übergangsfrist“, sagte Schulz der taz. „Allerdings wird jetzt kurz vor Anwendungsbeginn offensichtlich, dass die Bundesregierung es versäumt hat, gerade die kleinen und mittelständischen Unternehmen und Selbstständigen ausreichend darüber zu informieren.“

Was fehlt: Experten

Jens Zimmermann, digitalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, fordert von den Behörden mehr Aufklärung. „Landesdatenschützer sind auch Ansprechpartner bei konkreten Nachfragen und Sorgen“, sagte Zimmermann.

Und genau hier liegt das Problem. „Es fehlt an Experten“, sagt Datenschützer Weichert. Ein Beispiel: In Schleswig-Holstein arbeiten etwa 30 Menschen für die Aufsichtsbehörden. Sie müssen sich um 100.000 Unternehmen in der Region kümmern. Das heißt: beaufsichtigen, kontrollieren und beraten. „Wenn das Finanzamt Schleswig-Holstein so ausgestattet wäre, wäre der Aufschrei groß. Wir brauchen kurzfristig mindestens eine Verdoppelung des Personals in den Behörden bundesweit“, fordert Weichert.

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