Datenflut nach den Bostoner Bomben: Alle werden zu Ermittlern

Das FBI bat die Bevölkerung um Foto- und Videoaufnahmen rund um das Bostoner Attentat. Was passiert mit dieser riesigen Datensammlung?

Alles im Blick, alles weitergegeben, und jetzt? Bild: ap

BERLIN taz | Der Bostoner Marathon zählt zu den am meisten fotografierten Sportveranstaltungen der Welt, schließlich gehört er zu den traditionsreichsten Laufveranstaltungen dieser Art. Dieser Umstand ist für die mehr als 1.000 Ermittler aus 30 US-Bundesstaaten ein Glücksfall, wenn es um die Aufklärung des Bombenattentats vom Montag geht.

Nicht nur klassische Hinweise wurden gesammelt, das FBI bat auch um das Einsenden von Handyvideos und Fotoaufnahmen. „Keine Information oder kein Detail ist zu klein“, hieß es in einer Pressemitteilung der ermittelnden Behörden. Jegliches Material sollte per E-Mail an die Beamten geschickt werden.

Bis Mittwoch waren nach Angaben der Nachrichtenagentur dpa 2.000 Hinweise eingegangen, bereits am Dienstag teilte der Boston Globe mit, dass die Beamten tausende von Fotos und Videos nach Anzeichen der Bombenleger auswerteten. Für Markus Beckedahl, Netzaktivist und Gründer des Blogs netzpolitik.org, „ist es nur zeitgemäß, dass heute Zeugenberichte auch mit Hilfe der digitalen Medien erstellt werden.“ Die entscheidende Frage sei, was mit den Daten passiere, „vor allem ob die Verdächtigen – so wie das in Deutschland der Fall sein muss – über die Speicherung informiert werden.“

In den USA sei es zumindest üblich, dass Verdächtige, die vor ein Gericht kommen, Zugang zu den Beweisen bekämen, sowohl zu den be- wie auch entlastenden. Das bestätigt in einer taz-Anfrage Dave Maass von der Electronic Frontier Foundation (EFF), einer US-amerikanischen NGO, die sich den Bürgerrechten im Internet widmet. Allerdings fügt deren Pressesprecher auch hinzu, „wenn jemand verdächtig ist, aber sich später als unschuldig herausstellt oder aus welchem Grund auch immer nicht angeklagt wird, dann ist es möglich und wahrscheinlich, dass sie vielleicht nie erfahren, ob Daten über sie gespeichert wurden.“

EFF äußert Bedenken zur Datensammlung

Im speziellen Fall der Bostoner Anschläge soll das Crowdsourcing von Informationen dazu beitragen, dass die Ermittler ein besseres Bild erhalten. Verbunden mit der Hoffnung, dass diese Hinweise dazu beitragen verdächtige Personen zu finden. In der Tat sei das nicht viel anders als die Sammlung von Beweisen in jedem anderen Strafverfahren, so Maass. Allerdings habe die EFF Bedenken, „wie lange das FBI vorhat all diese Informationen zu sammeln und wegen des Potenzials, die Daten für Untersuchungen jenseits der Tätersuche zu verwenden.“

Des Weiteren gibt Maass zu, dass „diese Untersuchung das Niveau der institutionellen Überwachung hebt, die wir als Gesellschaft entwickelt haben.“ Gleichzeitig zeigen die Vorgänge aber auch die derzeitigen Grenzen der Technologie. „Denn trotz Überwachungskameras, Gesichtserkennungssoftware und Funkzellenüberwachung muss das FBI weiterhin die Verdächtigen identifizieren“, stellt Maass fest.

Beiläufig nimmt die „crowd“ den Beamten etwas Ermittlungsarbeit ab. Die Unterstützung geht derweil sogar so weit, dass am Mittwoch auf Privatinitiative ein spezielles Portal, bostontips.org, zur Datenübermittlung an die Polizei gestartet wurde. Dies sei ein guter Service, so Beckedahl, „der eigentlich von der Polizei angeboten werden müsste.“ Wer hinter der Seite steckt ist nicht bekannt, da weder ein Impressum noch eine Kontaktmöglichkeit vorhanden sind. Auch die Daten bei der Domain-Vergabestelle sind anonymisiert. Dies macht auch eine Bewertung schwierig und es bleibt unklar, inwiefern Daten auf dem Server zwischengespeichert werden und gegebenenfalls zweckentwendet werden.

Wozu das planlose Veröffentlichen von Aufnahmen führen kann zeigt die Hexenjagd einiger Internet-Communities, beispielsweise beim Imageboard 4Chan. Als Tatverdächtiger wurde dort ein Mann in blauer Jacke und Rucksack benannt. Auf anderen Portalen waren mal zwei Männer in Armeekleidung, mal zwei Jungs in Trainingsanzügen suspekt. Wie sich aber nach den neuesten Entwicklungen herausstellte, waren all diese Mutmaßungen falsch.

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