Daniel Cohn-Bendit über Terror in Paris: „Wir müssen die Angst überwinden“

Der Politiker spricht über die „Generation Bataclan“ und die richtige Strategie im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“.

Ein Altar mit kleinen Fotografien von Opfern des Pariser Anschlags, daneben weiße Rosen

Ein selbst gebastelter Altar für die Opfer des Anschlags in Paris Foto: reuters

taz: Herr Cohn-Bendit, wie geht es Ihnen?

Daniel Cohn-Bendit: Na ja, wir sind hier in Paris, in der „Hauptstadt des Krieges“. Im Stadtteil Saint-Denis ist die Schießerei unter der Woche weitergegangen, da kann noch einiges auf uns zukommen.

Nach dem Attentat auf Charlie Hebdo im Januar sagten Sie uns: Wir müssen jetzt rationalisieren, nicht emotionalisieren. Bevor wir das hier tun, die Frage: Wie erleben Sie derzeit die Stimmung in Paris, wenige Tage nach der Anschlagsserie?

Gemischt. Die Leute, die ich treffe oder auf der Straße spreche, sagen einerseits: Wir lassen uns unsere Art, zu leben, nicht wegnehmen. Wenn wir jetzt klein beigeben, uns verkriechen, dann haben die Terroristen gewonnen. Andererseits gibt es eine große Angst. Ich habe gerade mit dem früheren französischen Fußballnationalspieler Vikash Dhorasoo gesprochen. 42 Jahre alt, ein Linker. Er betreibt über den Fußball viele Ini­tiativen für Jugendliche in den Stadtteilen. Und Vikash Dhorasoo sagt: Ich gehe derzeit nicht aus dem Haus; und ich werde am Wochenende mit meiner Frau und meinen Kindern ganz sicher nirgendwo auf der Terrasse eines Cafés sitzen. Letzten Mittwoch waren die Kinos leer. In einer Nachmittagsvorstellung der „Neuen Abenteuer Aladins“, zu der normalerweise Hunderte Eltern mit ihren Kindern kämen, saßen ganze sieben Zuschauer.

Nachvollziehbar.

Klar. Also es gibt beides: die positive Trotzreaktion und eine große Furcht. Wenn man auch bedenkt, wie lange das Feuergefecht unter der Woche in Saint-Denis mit der IS-Zelle gedauert hat, dann sind die Leute natürlich zusätzlich schockiert. Dazu die Länderspielabsage in Deutschland, auch wenn wir über die tatsächliche Gefährdung dieses Fußballspiels wenig wissen. In der Realität ist es aber eine weitere Terrormeldung. Und dann wissen die Menschen in Paris auch: In zwei Wochen wollen wir 90 Staatschefs hier zum Klimagipfel empfangen.

Schwierig.

Ja, die Diskussion ist schon im Gange. Wahrscheinlich wird es keine Demonstrationen und öffentlichen Kundgebungen geben. Der Klimagipfel und die Proteste dagegen werden in klar definierten Räumen stattfinden. Darüber kann man streiten, soll man diskutieren. Das Beispiel des Anschlags auf die Friedensdemo in Ankara, bei dem es 109 Tote gab, ist jedoch in aller Köpfen. Tatsache ist, dass nicht nur die Behörden, sondern die Franzosen vor einem riesigen Dilemma stehen: Weiterleben, weitermachen und in Kauf nehmen, dass erneut etwas Schreckliches passieren kann – oder nachgeben, um sich in Sicherheit zu bringen?

„30 Prozent der jungen Franzosen, die nach Syrien in den heiligen Krieg ziehen, sind laut offizieller Erkenntnisse Konvertiten“

Haben Sie oder Freunde von Ihnen persönlich Opfer unter den vielen Toten und Verletzten zu beklagen?

Zwei Tage nach der Attentatsserie war ich bei sehr guten Bekannten beim Essen. Ihr Sohn war in einem der Restaurants, wo es allein 19 Tote gab, in der Rue Charonne. Sie feierten dort am 13. November einen Geburtstag. Sie tranken, und dann haben einige seiner Freunde gesagt, wir gehen jetzt eine rauchen. Er, auch Raucher, ist nicht rausgegangen. Dann kam der Angriff. Zwei der Freunde von ihm starben. Eine Freundin hat ein Bein verloren, erlitt einen Bauchschuss. Er hat sie rausgezogen unter all den Leichen. Das ist schrecklich, traumatisierend. Seit den Ereignissen vom Freitag leben die Überlebenden dieser Gruppe wie ein kleiner Stamm zusammen. Sie ziehen von Wohnung zu Wohnung, diese zehn oder zwölf Menschen. Sie trösten sich, versuchen über die Ereignisse zu sprechen. Es traf in Paris überwiegend die Generation zwischen 20 und 40 Jahren. Weltoffene Menschen. Das 11. Arrondissement, wo die Massaker stattfanden, die Konzerthalle Bataclan, das ist die kosmopolitische, offene Stadt.

Die Zeitung Libération spricht von der „Generation Bataclan“.

Ja, es ist die urbane französische Gesellschaft, die kosmopolitische, die gemischte, die unmittelbar ins Herz getroffen wurde. Der Angriff galt den Franzosen und diesem Lebensstil.

geboren am 4. April 1945 in Montauban, Frankreich. Publizist und Politiker der Partei der Grünen in Frankreich und Deutschland. Befand sich zum Zeitpunkt des Attentats in Paris, wo er zeitweise lebt. Von 1994 bis 2014 war er Mitglied im Europäischen Parlament in Brüssel und einer der Vorsitzenden der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz.

Ist es ein elitärer Lebensstil, der da angegriffen wurde?

Unsinn. Es ist ein Lebensstil unterschiedlicher Schichten, der da angegriffen wurde. Also, man muss jetzt mal aufpassen, was man so sagt. Wir wissen vieles noch nicht, aber die Islamisten behaupten doch ganz offen, dass sie in Paris die Dekadenz der hedonistischen Gesellschaft attackiert haben. Bei dem Angriff auf das Bataclan können zudem antisemitische Motive eine Rolle gespielt haben. Der vorige jüdische Besitzer wurde bedroht. Die Ermittler schließen dies als zusätzliches Motiv nicht aus. Alljährlich fand im Bataclan eine Benefizveranstaltung für Israel statt, organisiert von einer jüdischen Ini­tiative.

Neben den Hedonisten im 11. Arrondissement wurde auch das Stade de France und das Länderspiel Frankreich – Deutschland attackiert. Wie würden Sie die neue Qualität der Anschlagsserie vom 13. November charakterisieren?

Die Anschläge im Januar auf Charlie Hebdo und den koscheren Supermarkt waren noch relativ zielgerichtet. Auf Intellektuelle, Zeichner, die den Propheten beleidigt haben sollen. Gegen Polizisten, die sie schützen, oder Putzfrauen, die für sie arbeiten. Und gegen Juden, die für sie Feinde sind. Die Attentate vom Freitag, den 13. November beinhalten nun eine weitere Dimension des Schreckens. Jede und jeder, der in Frankreich lebt, sich mit dem hiesigen Lebensstil identifiziert, ins Fußballstadion geht, in eine Kneipe, ins Konzert, ist Teil eines höllischen Lasters und ein Feind, den man ermorden darf.

Es ist ein Kampf um Begriffe und Erzählungen, global ausgefochten mit Kalaschnikows, Youtube und dem Koran. Was die Gelehrten der islamischen Welt dem „Islamischen Staat“ entgegensetzen, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 21./ 22. November 2015. Außerdem: Wie geht das Leben in Paris nach den Anschlägen weiter? Und: „Eisbären sind einfach nicht hilfreich“, sagt Srđa Popović. Der Revolutionsberater im Gespräch über Strategien im Kampf gegen den Klimawandel. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Wie kann man diesen Terror in Worte fassen? Ein neuer faschistischer Volkskrieg?

Es ist ein islamischer Faschismus. Es ist nicht der Islam, der faschistisch ist, aber es gibt den Islamofaschismus. Sie berufen sich auf einen Islam und handeln wie Faschisten. Da muss man nicht drum herumreden: Wir haben es mit einer aktiven terroristischen und faschistischen Mörderbande zu tun, einem Mörder"staat“ in Anführungsstrichen, dem „Islamischen Staat“.

Präsident Hollande sagt, Frankreich befinde sich im Krieg. Hat er damit recht?

Nein. Krieg gibt es in Syrien. Wenn ich mit jungen Menschen spreche, die den Freitag überlebt haben, beschreiben sie den Angriff als kriegerischen Moment. Die Kugeln, die auf sie abgefeuert wurden, kamen aus Kalaschnikows. Die Wucht, das Schreckliche, es war ein kriegerischer Moment. Das Massaker in der Konzerthalle Bataclan, wo sie töteten und töteten, auf eine Menge von Menschen in einem geschlossen Raum immer wieder schießen. Die Konzertbesucher liegen auf dem Boden, schreien: Nein, nein! Und wieder und wieder schießen die Attentäter da hinein. Das sind Momente von Krieg und Vernichtung.

Also nennen wir es doch Krieg?

Nein. Denn was bringt uns das? Wenn wir jetzt sagen, es ist Krieg, dann gehen unsere Kinder nicht mehr raus. Nicht mehr in die Schule. Sie bleiben zu Hause und verstecken sich unterm Bett. Wir müssen unsere Angst überwinden. Und das kann man nicht, wenn man von Krieg redet. Das ist das Erste. Und das Zweite: Der Islamofaschismus hat natürlich ein politisches Ziel. Sie wollen die muslimischen und nichtmuslimischen Menschen in Europa gegeneinander aufhetzen. Triumphiert als Reaktion darauf jetzt die Islamophobie, hätten sie gewonnen. Dann müssten sich die Muslime gegen den Rest der Gesellschaft verteidigen. Wir wollen aber weder Rassismus noch Bürgerkrieg.

Und dennoch: Der IS führt Krieg im Nahen Osten, und er rekrutiert Leute in Europa. Die Attentate sind zwischen Frankreich und Syrien verlinkt.

Richtig. Der IS führt Krieg in ­Syrien und Irak. Und sagt, Frankreich, ist Teil dieses Krieges. Und deswegen ist Frankreich im Moment die Hauptzielscheibe in Europa. Er hat aber auch andere im Visier. In Frankreich ereigneten sich grauenhafte Anschläge, aber das ist noch kein Krieg.

Der IS zielt auf Frankreich auch wegen seiner vielen Einwanderer aus Nordafrika. Er hofft, in den muslimischen Migrationsmilieus Unterstützung zu finden. Nicht ganz unberechtigt, oder?

Moment, Moment. 30 Prozent der jungen Franzosen, die nach Syrien in den heiligen Krieg ziehen, sind laut offiziellen Erkenntnissen Konvertiten.

Das weiß man sicher?

Ja. Die Sicherheitskreise reden darüber nicht gern öffentlich. Sie wollen nicht zusätzlich Angst machen. Zuständig für das Waffenarsenal des IS im Ausland, des „Islamischen Staat“ in Rakka, ist zum Beispiel ein konvertierter Bretone. Die Audiobotschaft des IS zu den Anschlägen vom Freitag sprach ein konvertierter Franzose. Neben diesen Konvertiten kommt aber ein weiteres gefährliches Moment beim IS hinzu. Hinter dem IS stehen auch Strategen aus Saddams Husseins altem irakischem Machtapparat – früherer Geheimdienst, Militär plus Baath-Partei.

Wir müssen also stärker über Politik und die wirkliche Struktur des IS sprechen, die Religion dient nur als Maske?

Im IS kommen verschiedene Negativkräfte zusammen. Im Irak hat man über die Intervention gegen Diktator Saddam Hussein ein Machtgefüge gesprengt und eine Gesellschaft in ihre Einzelteile zerlegt. Mit all den nun absolut auftretenden Widersprüchen.

Das hilft uns jetzt aber auch nicht weiter. Wie al-Qaida vorher in Afghanistan nutzt der IS nun Syrien und Irak als Symbol und Aufmarschgebiet, um weltweit Anschläge zu verüben.

Deswegen sage ich ja auch nicht, dass die Intervention gegen den IS in Syrien falsch ist. Aber man muss sich auch politische Fragen stellen, wie ein neues stabiles Machtgefüge dort aussehen könnte. Ohne einen Teil des alten zu übernehmen, wird es kaum eine Lösung geben. Ein offen ausgetragener Kampf zwischen Schiiten und Sunniten hat Auswirkungen bis nach Europa, kann in Ländern wie Frankreich zur Radikalisierung unter ­einem Teil der Jugendlichen führen und zu Attentaten wie dem am 13. 11.

Gut, man muss die Lage in Syrien politisch und militärisch stabilisieren. Aber das kann dauern. Unabhängig davon: Was kann, was muss man in Frankreich nun tun?

Eine verschärfte Sicherheitspolitik allein wird kaum erfolgreich sein. Natürlich ist die Situation gefährlich, und die Polizei muss diese faschistischen, mörderischen Angriffe abwehren. Man muss über einzelne Bestimmungen des Ausnahmezustands diskutieren. Aber man hüte sich davor, mit dem Gestus der Besserwisserei, wie es die taz auch manchmal tut, daherzukommen. Die französische Gesellschaft ist derzeit sehr labil. Sie erwartet zu Recht, dass Staat, Polizei und Geheimdienste sie schützen. Versagt in ihren Augen die Regierung Hollande, weil sie zu weich ist, steht Marine Le Pen schon in den Startlöchern. Gleichzeitig stellt sich die Frage: Warum ziehen Konvertiten in den Krieg und warum gibt es Menschen, oft junge aus der Banlieue, die der Propaganda des IS folgen?

Und, warum?

Es gibt viele Gründe der Desorientierung wie die hohe Jugendarbeitslosenquote, 25 Prozent in Frankreich, in Belgien kaum weniger. Ganze Gruppen junger Menschen fühlen sich als Muslime abgelehnt. Manche wachsen in mehreren Generationen der Arbeitslosigkeit in weitgehend abgehängten Stadtvierteln heran. Die begreifen das als eine Art von sozialer Stadtviertel-Apartheid. Denen müssen wir bessere Perspektiven geben. Früher orientierte man sich als Klasse eher nach links (Kommunismus) oder rechts (Faschismus). Heute wird die bestimmende Ideologie dort über die Religion, den Islamismus formuliert. Das ist nicht der Islam, ich weiß auch gar nicht, was der Islam ist. Aber die Interpretation des Islam hat eine sonderbar faszinierende Wirkung auf viele Menschen.

Können Sie das konkretisieren?

Ich habe im Radiosender Europe 1, für den ich ja auch arbeite, eine Aufnahme gehört. Eine Predigt in einer Moschee für Kinder in Frankreich, die in den Islam eingeführt werden. Da sagt der Prediger in Französisch: „Wenn du eine Geige, eine Trompete, eine Elektrogitarre hörst, was ist das?“ Darauf antworten die Kinder im Chor und auf Arabisch: „Das ist des Teufels.“ Die Re­kru­tie­rung findet auch andere Wege als über solche Moscheen. Aber das ist trotzdem unfassbar und gruselig. Es muss auch einen Kampf der Muslime um einen aufgeklärten Islam geben.

Warum wird ein solcher Schuppen nicht sofort dichtgemacht?

Gute Frage. Nach den Anschlägen wurde er es jetzt gerade. Die französische Justizministerin gab bekannt, dass sie zuletzt 30 extremistisch orientierte Moscheen geschlossen haben. Das ist oft kompliziert, wir leben in einem Rechtsstaat. 20 bis 30 Prozent der Moscheen in Frankreich sollen unter Einfluss der Salafisten stehen. Für die Behörden ist es vielleicht sogar besser, sie nicht zu schließen. So können sie die Szene leichter beobachten.

Sind diese Prediger Franzosen, oder werden sie aus dem Ausland geschickt?

Teils, teils. Problematisch ist, dass viel aus dem Ausland finanziert wird. Saudi-Arabien, Katar. Aber um das deutlich zu sagen: Zum Glück wollen die meisten Jugendlichen muslimischer Herkunft, auch wenn sie arbeitslos sind, nicht in den Dschihad ziehen. Die Biografien derjenigen, die als Konvertiten oder geborene Muslime den Schritt zum Islamofaschismus gehen, die müssen wir genau anschauen. Auch die Faszination, die der IS auf manch junge Frau ausübt. Bei dem Feuergefecht im Pariser Stadtteil Saint-Denis hat sich jetzt erstmals in Frankreich eine junge Frau selbst in die Luft gesprengt. Sie galt lange als Partyqueen und hat sehr gerne Wodka getrunken.

Das offizielle Frankreich scheint hilf- und sprachlos.

Präsident Hollande hat in einer Rede jetzt gesagt, der Sicherheitspakt schlägt den Stabilitätspakt. Also, Frankreich muss jetzt in Sicherheit investieren, in Polizei und Nachrichtendienst. Egal ob es damit die Kriterien des europäischen Stabilitätspakts erfüllen kann oder nicht. Aber er hätte sagen müssen: Der Sicherheitspakt und der Solidarpakt schlagen zusammen die Argumente für den Stabilitätspakt. Sicherheit schafft man doch nicht allein mit Gewehren. Hollandes Regierung müsste fünf oder zehn Milliarden Euro in die Hand nehmen, um zusammen mit den Arbeitgebern sofort die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wir müssen die jungen Menschen, die sich ausgestoßen fühlen, wieder in den sozialen und ökonomischen Prozess integrieren. Man muss die soziale Apartheid, die ungleichen Chancen, die du hast, je nachdem aus welchem Viertel du stammst, in Frankreich überwinden.

Ist der Begriff der Apartheid für die soziale Beschreibung in Westeuropa nicht viel zu stark?

Wir sollten mal zusammen durch Molenbeek bei Brüssel spazieren gehen.

Machen wir, wir sind dabei.

Dann würdet ihr sehen, dass es Stadtviertel gibt, die von Verwaltung und Polizei teilweise aufgegeben wurden. Und in diesen Stadtvierteln wird nicht nur mit Drogen gedealt. Soziale Apartheid nenne ich es, wenn der Staat über mehrere Generationen hinweg Familien in ganzen Quartieren vernachlässigt und trotz Sozialhilfe, die gibt es natürlich, keinerlei Weg aus der Dauerarbeitslosigkeit aufzeigt.

Das ist immer noch von der ­Beschreibung rassistischer Ordnungen wie im früheren Südafrika entfernt.

Nennt es, wie ihr wollt. Den Apartheidsbegriff hat der französische Premierminister nach den Charlie-Hebdo-Anschlägen in die Diskussion geworfen. Er meinte, wir müssten Situation und Chancen für Menschen aus abgehängten Vierteln verbessern. Der allergrößte Teil der Menschen, die dort leben, will nicht in den Dschjihad. Die spielen auch lieber Fußball und hören Musik. Doch wir müssen die fünf Prozent im Auge haben, die wegen ihrer Perspektivlosigkeit anfällig sind, sie in die Gesellschaft integrieren, um den Extremisten das Wasser abzugraben.

Und was bedeutet das jetzt für die Diskussion mit den Flüchtlingen in Europa?

Sicherheitspolitisch sehe ich da überhaupt keinen relevanten Zusammenhang. Selbst wenn einer der Attentäter, als Flüchtling getarnt, nach Frankreich gekommen wäre. Ein Sicherheitsbeamter hat mit Recht gesagt, der Islamische Staat muss nicht als Flüchtling getarnt reisen, um hier rein- und rauszukommen. Der Hauptdrahtzieher soll permanent zwischen Rakka, Europa, Griechenland, Brüssel und Paris hin und her gereist sein. Nicht als Flüchtling getarnt. Also, da sollte man nun wirklich nichts durcheinanderbringen. Die vielen Bürgerkriegsflüchtlinge kommen doch auch hierher, weil Deutschland und andere Länder nicht genug Geld an das UNHCR für die Flüchtlingscamps in Libanon, Jordanien und der Türkei überweisen. Die Regierung Merkel hat 2013 und 2014 genauso wie die Hollandes die Zuweisungen gekürzt.

Das hat jetzt aber auch nichts mit den Anschlägen zu tun.

Aber mit der Frage, wie wir solidarisch sein können und dem IS ein anderes Weltbild entgegensetzen. Schaut doch: Auch dem einzigen Staat, in dem der Arabische Frühling einigermaßen erfolgreich ist, Tunesien, hilft man nicht, damit er sich stabilisieren kann. Haben Herr Schäuble und die Europäische Union den Tunesiern ihre fünf Milliarden Euro Schulden erlassen? Nein. Das haben wir immer noch nicht geschafft. Das wäre ein klares Zeichen der Unterstützung, damit nicht die gesamte Region in die Hände der Islamisten fällt. Der IS rüstet sich doch längst für die Entscheidungsschlacht um Algerien. Daher hat er auch eine gewisse Anziehungskraft für die frühere maghrebinische Migration in Frankreich und Belgien, versucht dort unbedingt Fuß zu fassen. Das ist die geopolitische Situation, von Rakka bis Algier, von Tunis bis Paris.

Und was folgt für die internationale Politik daraus?

Nach den Anschlägen von Paris sagt die französische Politik, Hauptfeind in Syrien ist der IS, auch wenn Diktator Assad große Schuld auf sich geladen hat. Und Präsident Hollande sucht wie Obama eine Einigung mit Putin. Realpolitik kann teuflisch unmoralisch sein. Aber will man im Kampf gegen den IS vorankommen, muss man die Russen einbeziehen. Die Verhandlungen in Wien haben eine politische Lösung in Aussicht gestellt. Es gibt keinen Masterplan. Man muss hoffen, dass eine Feuerpause zwischen den gemäßigten Rebellen und Assad zustande kommt und eingehalten wird. Nur so kann der IS zerschlagen werden, um dann später in Wahlen über die Zukunft Syriens zu entscheiden. Dazu brauchen wir eine UN-Resolution, die sowohl den Ansatz der Friedensgespräche in Wien sichert als auch den Einsatz von Waffengewalt gegen den IS völkerrechtlich legitimiert. Und jetzt bleibt mir nur noch zu sagen: Inschallah, möge alles besser werden.

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