DDR-Literatur auf der Theaterbühne: Sie ploppen aus den Gräbern

In Berlin wurden „Der geteilte Himmel“ von Christa Wolf und „Zement“ von Heiner Müller inszeniert. Sie erzählen von der Macht der Bürokratie.

Jule Böwe spielt Rita in „Der geteilte Himmel“, das in der Schaubühne läuft. Bild: dpa

Vom Projekt des Kommunismus, vom Verlangen eines sich selbst erst erfindenden Staats nach Identifikation mit seinem System, von der Hoffnung auf die Verwirklichung sozialer Utopien, deren Durchsetzung aber von Anfang mit Fehlern erkauft wurde, mit Verleugnung, Denunziation und der Macht bürokratischer Apparate, erzählen in Berlin gleich zwei Theaterabende.

Beiden liegen Klassiker der DDR-Literatur zugrunde, beide wurden von Regisseuren ins Werk gesetzt, die die Suche nach alternativen politischen Systemen zum Gegenwärtigen nicht aufgeben möchten. In der Schaubühne zeigte Armin Petras eine Dramatisierung von Christa Wolfs Roman „Der geteilte Himmel“, am Maxim Gorki Theater inszenierte Sebastian Baumgarten Heiner Müllers „Zement“.

Warum die Beschäftigung mit Heiner Müller immer wieder wichtig werden kann, erfährt man zum Beispiel bei dem Theaterhistoriker Hans-Thies Lehmann in seinem Buch „Tragödie und Dramatisches Theater“. Das Tragische ist bei Lehmann auch eine Dimension wiederkehrender historischer Erfahrung, zum Beispiel dann, wenn ein neues Rechts- und Staatssystem, und sei es auch eine Demokratie, einen Vorgänger ablösen will.

Nimmt man den Theatertext, wie es Lehmann für die antiken Dramen Senecas exemplifiziert, als einen Diskurs der Selbstverständigung einer Gesellschaft, dann ermöglicht die Aufführung ein Bewusstsein davon, „dass alle Rechtsordnung mit gezinkten Karten erspielt wurde und zugleich dieser ihr immanente Betrug bzw. diese ihrerseits nicht rechtliche Gewalt, der die Ordnung Entstehen und Bestand verdankt, stets von ihr verhüllt wird.“

Dialog mit den Toten

Dass dieser Preis, der für Veränderung gezahlt wird, kein erledigtes Kapitel der Geschichte ist, zeigen die jüngsten Geschichten von Revolutionen und Bürgerkriegen. Lehmann formuliert sehr allgemein gesprochen, und dennoch passt es auf die Gegenwart: „Es ist damit zu rechnen, dass die ’eingewickelten‘ Furien, Repräsentantinnen des Vergeltungswunsches, wiederkehren. Und es ist gut, wenn das Bewusstsein dafür nicht schwindet – zumal in einer Gesellschaft, die so sehr dazu neigt, sich über den Abgrund ihrer Realität, die aggressives Rivalisieren aller mit allen heißt, mit der Ideologie des Ausgleichs zu betrügen.“

Heiner Müller ist deshalb für Hans-Thies Lehmann ein wichtiger Autor, weil er immer wieder in diesen Abgrund der Realität blickte. Seine Theaterarbeit gilt der Totenbeschwörung, so werden Müllers Texte oft gesehen – als ein Dialog, den das Stück stellvertretend für die Gesellschaft mit den Toten führt. Und tatsächlich lässt Sebastian Baumgarten in seiner Inszenierung von „Zement“ die Figuren anfangs aus ihren Gräbern ploppen, wie aus einem Pop-up-Buch.

Die Erde spuckt sie aus mit einem rülpsenden Geräusch und wird sie am Ende gurgelnd wieder verschlingen. Und wie bei Figuren aus einem Bilderbuch sind die Körper der Schauspieler mit Linien überzeichnet, die Hemden auf die nackte Haut gemalt, was sie schmal und schmächtig aussehen lässt. Zwar verschwindet bald ihr anfängliches Schwanken wie von Puppen, doch den Charakter eines Kasperletheaters, auf der jede Figur exemplarisch für eine ganze Klasse steht, verlieren sie nie.

„Zement“ beruht auf der Dramatisierung eines Romans von Fjodor Gladkow, 1925 geschrieben. Gleb Tschumalow, der während der Revolution die Weißen bekämpft hat, braucht nun deren Hilfe ebenso wie die der ersten, von frischer Machtfülle berauschten Apparatschiks, um ein zerstörtes Zementwerk wieder aufzubauen. Die Dialoge, oft bleischwer und papiern, sind wie eine ständige Einübung in die Rechtfertigung von Kompromissen, die notwendig scheinen, um etwas, das gerechter sein könnte, möglich zu machen.

Allein zwischen Weißen und Roten

Aber es scheint unmöglich, solches Verlautbarungsdeutsch anders denn als Karikatur zu spielen. Deshalb kommt man den Figuren kaum nahe und fremdelt, wo sie ihr Leid ausbreiten. Sesede Terziyan beispielsweise spielt Dascha, Glebs Frau, die in der Zeit, als er als Partisan abgetaucht war, allein zwischen Weißen und Roten ihren Kurs halten musste, bedroht, erpresst, sexuell genötigt, bis sie sich um des Überlebens willen in Anpassung fügte.

Es ist eine Passionsgeschichte, die Dascha wieder und wieder durchläuft, auch um Gleb ihren Panzer aus Gefühlskälte zu erklären. Sesede Terziyan spielt Dascha hart und hölzern, die Nackenmuskeln und die Schultern steif vor Schmerz und irgendwie verloren gegenüber dem Pathos der Rolle.

Sicherer im Verhältnis zu seiner Rolle und mit größerem Unterhaltungspotenzial ist der Badjin, Genosse Volkskommissar, von Thomas Wodianka. Seine Verordnungen, eine Anhäufung von Ausschlüssen bis zu einem nicht mehr lebbaren Maß, diktiert er in die Schreibmaschine, und Wodianka legt den geschriebenen Maschinentakt als Stepptanz hin.

Seine Figur ist angereichert mit zuletzt nur noch geflüsterten Einsichten, die ständige Analogien zur Geschichte der DDR nahelegen. Doch so sehr das amüsiert, es bleibt in einem eng gezogenen Rahmen, in dem sich der werdende Stalinismus der frühen Sowjetunion in der DDR spiegelt. Heiner Müllers Text „Zement“ aber wird spannend erst durch die Einschübe von Prosastücken, die den Bogen zur Antike schlagen.

Prometheus und Herakles

Wie etwa die Geschichte von Prometheus, den in der Gefangenschaft zuletzt mehr mit dem Adler verband, der seine Leber fraß und ihn mit seinem Kot nährte, als mit Herakles, seinem Befreier. Peter Jordan, der den Gleb Tschumalow spielt, erzählt diese Geschichte mal eben schnell weg.

In diesen Einschüben aber öffnet sich nicht nur der ganze Geschichtspessimismus von Heiner Müller, sondern sie könnten durch den Tempowechsel im Erzählen, durch die Distanz zu den Dialogstücken, auch einen erweiterten Denkraum öffnen. Was in der Handlung zwischen den Figuren einer Logik folgt, die einen schlicht verzweifeln lassen könnte, erfährt in diesen Einschüben, allein dadurch, dass nicht mehr zu personifizieren ist, wer oder was redet – vielleicht die List der Geschichte? – eine Wendung zu einem anderen Möglichkeitsraum.

Der aber öffnet sich in der Inszenierung von Sebastian Baumgarten am Gorki-Theater kaum, zu sehr ist sie mit Illustrationen des Textes vollgestellt. Als ob der Regisseur, dem es eigentlich mehr auf das Nachdenken denn auf das Nacherzählen ankommt, diesmal zu vorsichtig gewesen ist.

Am Gorki-Theater war Armin Petras lange Intendant, bevor er nach Stuttgart ging, und er hat sich dort als Regisseur oft damit befasst, zu schauen, was von den sozialistischen Projekten der Geschichte möglicherweise zur Wiedervorlage geeignet ist. 2009 inszenierte er „Rummelplatz“ nach einem Roman von Werner Bräunig über das Leben der Bergarbeiter in der Wismut. Das war ein figurenreiches Panorama über das Wachsen des Glaubens an einen Neuanfang, über die Mobilisierung ungeahnter Kräfte, über Täuschungen und Enttäuschungen. Das Theater ließ da noch einmal das Herzblut eines Anfangs spüren, der um kommende Bitterkeit schon wusste, aber noch von der Hoffnung zehren konnte.

Zum Sandkasten geschrumpft

Die Erinnerung an Petras „Rummelplatz“ ließ viel von seiner Inszenierung des „Geteilten Himmels“ von Christa Wolf erwarten. Aber statt eines Panoramas erhält man eher ein Kammerspiel. Schon der Bühnenraum bekommt etwas von einem begrenzten Sandkastenspiel durch Filmprojektionen, die das Publikum auf allen vier Seiten einschließen. Da folgt man den Protagonisten Rita und Manfred in ihre Dachstube, wo sie sich im Bett aus Christa Wolfs Roman vorlesen.

Von der Erzählung um die junge Lehramtsstudentin Rita, die im Waggonwerk die sozialistische Arbeitswelt kennenlernen soll, und über ihren Versuch, dort mit Ehrlichkeit und Neugierde allen gerecht zu begegnen, in den ersten Zwist mit ihrem Freund Manfred gerät, ist allein diese Beziehungsgeschichte übriggeblieben. Die Rollen von Manfreds Familie und der Brigade im Werk sind verschwunden. Zwar spiegelt sich in der langsamen Entfremdung der Liebenden, wie der Aufbau ideologischen Fronten nach den Herzen junger Menschen griff; allein die Aufführung macht einen nicht satt. Da kann auch Jule Böwe, deren Rita man viele Emotionen und Gedanken abnimmt, nichts dran ändern.

So war es zwar ein schönes Zusammentreffen, dass sowohl an der Schaubühne als auch im Gorki-Theater zwei wichtige Autoren der DDR mit wenigen Tagen Abstand auf die Bühne kamen. Allein am Ende blieb jeweils das Gefühl, zurückgeblickt zu haben, ohne dies groß für das Nachdenken über die Gegenwart nutzen zu können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.