Containerdorf für Geflüchtete: Lagerkoller im Niemandsland

In einem Lager in Horst leben 300 Flüchtlinge. Sie sind isoliert, die Zustände mies. Aktivisten haben eine Woche lang bei den Containern gecampt.

Frauen kochen in einem Zelt

Endlich wieder selbst kochen: Frauen im Solidaritätscamp Foto: Miguel Ferraz

HORST taz | Mitten im Wald zwischen Lauenburg und Boizenburg, im westlichsten Zipfel von Mecklenburg-Vorpommern, liegt die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Hier, in Nostorf-Horst, verlief zu DDR-Zeiten die Grenze zu Westdeutschland, das Dorf lag im Sperrgebiet. In der ehemaligen Kaserne leben heute laut Innenministerium mehr als 300 Geflüchtete.

Betrieben wird das Lager von den Maltesern. Auch die Hansestadt Hamburg bringt hier Geflüchtete unter. Und zwar: Weitgehend isoliert von der Außenwelt und unter Bedingungen, die viele von ihnen immer wieder als „psychische Folter“ beschreiben. Etwa ein Drittel ist minderjährig. Eine Woche lang haben antirassistische Aktivisten in Wohnwagen vor dem Heim gecampt.

Kurz nach der Ankunft in Horst kommt die Polizei. Eine Taxifahrerin, die Geflüchtete im Auftrag der Heimleitung hin und her fährt, hatte sich aufgebracht beschwert, dass einer der Aktivisten aus dutzenden Metern Entfernung ein Foto von der Heimeinfahrt gemacht hatte, während sie mit ihren Taxi dort stand. Nichts Verbotenes, doch es illustriert die Stimmung, die den Unterstützern hier entgegengebracht wird. „Dass da nichts bei rauskommt, wissen wir beide, aber ich verschrifte das jetzt mal“, sagt der junge Polizist, als er die Personalien aufnimmt.

Ein Metalltor versperrt den Eingang

Die Aktivisten stammen von „Pro Bleiberecht“, einer noch junge Vernetzung von antirassistischen Initiativen, Flüchtlingshelfern und anderen aus Mecklenburg-Vorpommern. Ihr Ziel ist die Schließung des Lagers. Über die Mahnwache wollten sie vor allem in Kontakt mit Bewohnern kommen und einen „Monitoring-Effekt“ erzielen, um einen Eindruck von den Vorgängen im Inneren zu erhalten. Denn Zutritt zur Einrichtung haben sie nicht. Der Hamburger Flüchtlingsrat und Pro Asyl klagen deshalb derzeit. Sie berufen sich dabei auf die sogenannte EU-Aufnahmerichtlinie von 2013, die aber von der Bundesrepublik bis heute nicht in nationales Recht umgesetzt worden ist.

Die Zufahrt zum Lager wird von einem Metalltor versperrt. Seitlich davor stehen trostlose Wohncontainer, drumherum Maschendrahtzaun. In diesen Containern – auf verwaltungsdeutsch „vorgelagerte Unterkunftseinrichtung“ genannt – werden die Neuzugänge untergebracht.

Am Zaun hängt ein Banner der Malteser, darauf steht „Willkommen“ in 20 Sprachen. Dabei ist Horst für viele Menschen Endstation, sie werden von hier aus abgeschoben. Fast 200 der aktuell hier untergebrachten Menschen haben laut Ministerium eine geringe Bleibeperspektive.

Bewohnerin des Lagers

„Die Kinder lernen nichts.Die Hygiene und Sauberkeit ist schlecht und in den Waschräumen gibt es keine Seife“

Die Campingwagen der Aktivisten stehen am Rande eines vom Regen durchgeweichten Sandweges, nur wenige Meter von den Wohncontainern entfernt. Es gibt ein großes, beheizbares Zelt mit Tischen, Bänken, Gaskocher und eine eigene Solaranlage, die Strom produziert.

Im Zelt erzählt Dunja von ihren Erlebnissen im Lager. Die junge Mutter heißt in Wirklichkeit anders und alle Angaben werden bewusst vage gehalten, weil sie Angst hat, dass es schlechte Auswirkungen auf ihr Asylverfahren hätte, wenn sie mit der Presse spricht.

Gemeinsam mit ihrem Mann und den Kindern floh sie vor religiöser Verfolgung aus ihrem Heimatland. Freunde und Verwandte waren verhaftet worden, sie selbst wurden gewarnt und konnten über mehrere Stationen nach Deutschland fliehen.

Sichtlich erschüttert rattert sie zu Beginn herunter, was in Horst für sie nicht in Ordnung ist. „Für die Kinder gibt es keine Schule, keinen Kindergarten, nur einen Raum zum Spielen“, erzählt sie. „Die Kinder lernen gar nichts. Die Hygiene und Sauberkeit ist schlecht und in den Waschräumen gibt es keine Seife.“

Die Bewohner vertrauen den Mitarbeitern nicht

Immer wieder berichten aktuelle und ehemalige Bewohner, dass sie ihre Räume nicht abschließen könnten und in ihrer Abwesenheit ihre Sachen von Mitarbeitern des Lagers durchsucht würden – angeblich, um Kochutensilien zu suchen, sagt Dunja.

Denn selbst zu kochen, ist den Bewohnern verboten. Jeden Tag bringt ein Caterer das Essen, jeden Tag gebe es Kartoffeln, Reis oder Nudeln und Sauce. Ein ehemaliger Lager-Bewohner und ein Hamburger Rechtsanwalt, der Geflüchtete unterstützt, berichten beide, dass der ausgeschenkte Tee teilweise bis zu drei Tage alt sei und manchmal Magenbeschwerden hervorrufe.

Das Innenministerium teilt dazu mit, dass die Zimmer durch eine sogenannte Hotelschließung von innen verriegelbar seien. Durchsuchungen der Räume – jedenfalls ohne, dass die Bewohner dabei sind – fänden nicht statt. Beim Kochverbot verweist eine Sprecherin auf Brandschutz und Hygiene. Zum fehlenden Schulunterricht für die Kinder heißt es knapp: „Für in der Erstaufnahmeeinrichtung aufhältige Kinder besteht keine Schulpflicht.“ Dabei schreibt die EU-Aufnahmerichtlinie vor, dass die Schulbildung höchstens für drei Monate ausgesetzt werden darf, nachdem die Eltern Asyl beantragt haben.

Doch schlimmer sei der Umgang durch das Personal und den Sicherheitsdienst mit den Menschen, erzählt Dunja. Einer Schwangeren habe ein Mitarbeiter, an den sie sich mit einem Problem gewandt hatte, gesagt, dass Horst eben kein Hotel sei. Dieser Spruch begegnet einem in Gesprächen mit Bewohnern immer wieder. „Sie mögen die Menschen hier nicht“, klagt Dunja über die Mitarbeiter. „Sie erklären nichts, sie befehlen nur. Sie sind einfach Rassisten.“

Als ihre Kinder sich einmal nach dem Essen auf ihr Bett erbrachen, habe sie erst nach langen Diskussionen eine neue Bettdecke bekommen, erzählt Dunja. Die alte war vom Reinigen noch nass. Für die Kinder gebe es keine oder zu wenig warme Kleidung. Um Winterschuhe für ihre Kinder zu bekommen, habe sie im Gegenzug deren Sneakers abgeben müssen – die einzigen Schuhe, die die Kinder besessen hatten.

„Das Schlimme ist, die meisten Menschen hier hatten ein Leben, Jobs, Wohnungen, aber sie konnten nur ihr Leben retten. Alle Menschen hier sind wütend, sie fühlen sich wie in einem Gefängnis.“ Doch bei Konflikten, wie sie bei so vielen unterschiedlichen Menschen auf engem Raum beinahe unvermeidlich sind, heiße es vom Personal oft: „Klärt das unter euch.“

Ihre Kinder lässt Dunja nicht alleine draußen spielen, das sei zu gefährlich. „Die Sicherheit ist ein großes Problem.“ Und so bleibt den Menschen kaum etwas anderes, als tagein, tagaus zu warten. „Diesem Bundesland sind Flüchtlinge egal“, sagt Dunja.

Alle Bewohner werden von der Polizei geweckt

Bis zu sechs Monate, der Laufzeit des Asylverfahrens, können die Menschen in Horst behalten werden. Geflüchtete aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten oder deren Asylverfahren wenig Aussicht auf Erfolg hat, können bis zu einem Jahr hier untergebracht werden.

In Mecklenburg-Vorpommern wird wieder unangekündigt und auch nachts abgeschoben werden. Die Polizei, so berichten es Unterstützer und Bewohner übereinstimmend, rücke dann in Mannschaftsstärke an. In allen Räumen werde das Licht angeschaltet und die Bewohner geweckt, damit sich niemand in anderen Zimmern verstecken kann. Mit stockender Stimme erzählt Dunja davon, dass Kinder, die mit ihrer Mutter abgeschoben werden sollten, zu ihr ins Zimmer flohen und sie anflehten, ihnen zu helfen. Dann fängt sie an zu weinen.

Unter den Bewohnern herrsche Angst und Schrecken, Schlafstörungen seien die Regel, sagt auch Ernst-Ludwig Iskenius von Pro Bleiberecht. Der 65-Jährige ist pensionierter Arzt und wohnt für die Mahnwache in einem der Campingwagen. 15 Jahre leitete er in Baden-Württemberg ein Zentrum für traumatisierte Kinder und Jugendliche mit Schwerpunkt auf Flüchtlingskindern. Das Lager Horst bezeichnet er als „offene Wunde“ für die Zivilgesellschaft, für den Rechtsstaat und die Werte, die Politiker in Sonntagsreden gerne hochhalten. „Was hier passiert, hat mit einem humanem Umgang nichts mehr zu tun.“

In der fehlenden Beschulung und der mangelhaften Beratung sieht Iskenius einen Verstoß gegen die EU-Aufnahmerichtlinie. Juristische Gegenwehr ist praktisch nicht möglich: Selbst wenn ein Bewohner bereit wäre, zu klagen, entfällt sein Klagerecht, sobald er in eine andere Einrichtung umverteilt wird. Es ist ein Fehler im System.

Kontinuierlich kommen während der Mahnwache Bewohner in Iskenius’ Wohnwagen. Um die zehn am Tag, sagt er, doch nicht alle würden sich trauen. „Der Beratungsbedarf ist riesig.“ Das liege auch daran, dass es, bis auf eine Sprechstunde des Flüchtlingsrates und – laut Ministerium – einer staatlichen Beratung, keine Hilfestellung für die Bewohner gebe.

„Was die Leute bekommen, ist ein Zettel mit ihren Rechten und Pflichten, das wars“, sagt er. Häufig kann Iskenius keine Hoffnung machen: „Für die Masse der Leute ist das hier Endstation.“ Sie sind Dublin-Fälle, also über einen sicheren Staat nach Deutschland eingereist und werden dorthin zurückgeschoben.

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