Carsten S. im NSU-Prozess: Alles gesagt und nichts gewusst

Die Vernehmung von Carsten S. ist abgeschlossen. Die Nebenklage ist enttäuscht. Es gab wenig Fakten und keine echte Reue, kritisieren sie.

Hat sich nach eigener Aussage „komplett nackig“ gemacht: Carsten S. Bild: dpa

MÜNCHEN taz | Ob er sich bereits „völlig nackig“ gemacht habe, wurde der Angeklagte Carsten S. im Laufe der vergangenen dreizehn Verhandlungstage im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) in München von einer Rechtsanwältin der Nebenklage gefragt. „Ja, komplett“, antwortete S. Will heißen: Er hat alles gesagt, an was er sich nach eigenen Angaben erinnert.

Carsten S. war es, der dem Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach eigenen Angaben die Waffe besorgte, mit der diese mutmaßlich neun Menschen erschossen. Er hielt Kontakt zu der Untergetauchten, brach in Zschäpes ehemalige Wohnung ein, um Akten und Dokumente zu vernichten. Außerdem gab er Hinweise auf zwei weitere Gewalttaten, die nun vom BKA auf einen möglichen Zusammenhang mit dem NSU überprüft werden.

„Die Vernehmung von Carsten S. hat einige neue Aspekte zutage gefördert“, sagt Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der Gamze Kubasik, die Tochter des 2006 in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, vertritt. Vor allem die Tatsache, dass Mundlos und Böhnhardt gegenüber Carsten S. zu erkennen gegeben haben sollen, dass sie bewaffnet sind, Banküberfälle und Sprengstoffanschläge begehen, werfe ein vollkommen neues Licht auf die Anfangszeit des NSU. „Offensichtlich waren die Untergetauchten gar nicht so konspirativ in ihrem Vorgehen, wie bislang angenommen“, so Scharmer.

Aus den Fragen der Nebenkläger vor Gericht wird deutlich: Viele wollen nicht nur herausfinden, inwieweit Beate Zschäpe und die drei mutmaßlichen Helfer an den Banküberfällen, die dem Trio angelastet werden, beteiligt waren. Vielmehr wollen einige auch die Verbindungen aufdecken, die der NSU womöglich zu Neonazis in anderen Bundesländern unterhielt, und so herausfinden, ob es Unterstützer gab. Anderen geht es um die Strukturen und das Leben im rechten Umfeld des Trios.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Immer wieder wurde Carsten S. im Laufe seiner achttägigen Vernehmung nach Verbindungen in die rechte Szene anderer Bundesländer befragt. Die Ausbeute blieb mau: „Da hab ich keine Erinnerung“, sagte der 33-Jährige immer wieder. Alexander Kienzle, Rechtsbeistand der Familie des Kölner NSU-Opfers Halit Yozgat analysiert: „Mit Carsten S. wird es kaum möglich sein Strukturen und Verbindungen aufzuklären.“

Entschuldigung wird entwertet

Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der eine Betroffene des Kölner Nagelbombenanschlags vertritt, kritisierte am Donnerstag: „So genau der Angeklagte die Details der Waffenübergabe erinnerte, so stark wird seine Aussage durch ein Abstreiten und ein Nicht-Zulassen-Wollen, konterkariert, wenn es um seine Einstellungen geht.“ S. sei nicht in der Lage, die gesamte Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Dadurch werde auch seine Entschuldigung gegenüber den Angehörigen der Opfer entwertet.

Unterdessen hat Bayerns Justizministerin Beate Merk die Angehörigen der NSU-Mordopfer wegen der jahrelang erfolglosen Ermittlungen um Entschuldigung gebeten. „Ich bedauere das sehr als Vertreterin der Exekutive – vor allen Dingen aber auch ganz persönlich“, sagte Merk am Donnerstag im NSU-Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags.

Die Verteidigung des Mitangeklagten Ralf Wohlleben beantragte indes überraschend, den Haftbefehl gegen ihren Mandanten aufzuheben. Dass es sich bei der von Carsten S. identifizierten Waffe, an deren Beschaffung Wohlleben laut S. maßgeblich beteiligt gewesen sein soll, um die Tatwaffe handle, sei nicht erwiesen, sagte Wohllebens Anwältin Nicole Schneiders. Über den Antrag wird Montag entschieden.

In Kooperation mit Radio Lora München, www.lora924.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.