Büro für Reintegration: Eleganter als abschieben

In Bayern hilft das Büro für Reintegration Flüchtlingen, in ihre Heimat zurückzukehren. Nun wollen Berlin und Niedersachsen folgen.

Menschen steigen in ein Flugzeug ein

Szenen einer Abschiebung – Projektleiterin Marion Lich setzt auf Freiwilligkeit Foto: dpa

MÜNCHEN taz | Eine junge Afrikanerin steigt die Treppe hinauf in den vierten Stock des Amts für Wohnen und Migration des Sozialreferats der Stadt München. Sie klopft an eine Bürotür, an der ein blaues Plakat hängt: „Coming Home. Rückkehrhilfen für Flüchtlinge.“ Die junge Frau hat einen Termin bei Diem-Tu Tran, Beraterin in Rückkehrfragen. „Ich möchte wieder nach Hause“, sagt sie. „Nach Nigeria.“

Vor gut einem Jahr ist die Alleinerziehende mit ihren beiden kleinen Kindern nach Bayern gekommen. Sechs Jahre hatte sie zuvor in Libyen und Italien gelebt. Ihr Asylverfahren läuft noch. Doch die 27-Jährige hat sich bereits gegen ein Leben in Deutschland entschieden. Jetzt sucht sie Unterstützung bei der Münchner Rückkehrhilfe.

2015 haben sich an diese Stelle mehr als 1.000 Personen gewendet, die eine Heimkehr in ihr Land erwogen – abgelehnt, geduldete oder anerkannte Flüchtlinge. 678 sind tatsächlich ausgereist. „Aber sich wieder einzufinden in die Heimatgesellschaft ist nicht einfach“, weiß Beratin Tran. „Vor allem, wenn Menschen mehrere Jahre fort waren, Kinder hier zur Schule gegangen sind, sich zu Hause viel geändert hat und kein Arbeitsplatz wartet.“

Die Münchner Rückkehrhilfe beruht auf zwei Pfeilern. Der eine ist die Organisation der Ausreise. Finanziert wird diese über ein Programm der Internationalen Organisation für Migration. Es beinhaltet die Kostenübernahme für die Reise und eine Starthilfe zwischen 300 und 500 Euro, je nach Herkunftsland. Diese Zuschüsse stehen Migranten aus 40 Staaten zu. Zweiter Pfeiler ist eine „Perspektivenberatung“ in mehreren Sitzungen für eine Existenzgründung.

Marion Lich, Projektleiterin

„Abschiebungen kommen den Staat teurer zu stehen“

Im Erstgespräch findet Diem-Tu Tran heraus, dass die nigerianische Mutter gut nähen kann und zu Hause eine Schneiderei aufmachen möchte. Doch es fehlt der Frau das Startkapital. Verwandte hat sie keine mehr. Sie muss bei null anfangen.

Die Münchner Rückkehrhilfe feiert dieses Jahr 20-jähriges Jubiläum. Ihre Arbeit startete 1996, als 21.000 bosnische Flüchtlinge in der Stadt lebten. Nach dem Dayton-Abkommen begannen ihre Ausweisungen. Marion Lich, damals Gründerin und bis heute Leiterin des Büros, erinnert sich. „Die Leute standen vor dem Nichts, noch dazu in Gebieten, die nach der ethnischen Trennung gar nicht ihre Heimat waren.“

Gegen die Bundesentscheidung konnte der Stadtrat nichts tun. Aber er beschloss die Initiative „Sichere Rückkehr statt Vertreibung ins Ungewisse“. Mit EU-Förderung halfen Lich und ihre KollegInnen damals 150 Familien, in Bosnien Wohnungen, Arbeits- oder Ausbildungsplätze zu finden. Sie organisierten über 100 Transporte mit Sachspenden. Damit beschenkten sie auch staatliche Kindergärten oder Krankenhäuser. „Wir wollten keinen Neid schüren bei denen, die während des Kriegs im Land ausgeharrt hatten“, so Lich.

Rückkehrer und Daheimgebliebene

Diese Idee gilt bis heute. „Wir versuchen immer die Rückkehrer mit Daheimgebliebenen zusammenzuspannen.“ Wie bei einem irakischen Familienvater, der kürzlich gemeinsam mit einem Verwandten ein Computerfachgeschäft eröffnen konnte. „So werden die Heimkehrer zu Hause weder als Gewinnler betrachtet noch als Gescheiterte, die mit leeren Händen zurückkommen“, sagt Lich.

Derzeit stehen die BeraterInnen vor einem neuen Phänomen. Viele Flüchtlinge, die erst seit Kurzem hier sind, gar erst eine Woche, meldeten sich, vor allem Afghanen. Seit der großen Ankunftswelle im Herbst 2015 fragten bayernweit rund 1.000 von ihnen eine Heimkehr an. „Die haben sich alles leichter vorgestellt, merken nun, dass sie nicht so schnell an einen einträglichen Job gelangen und vergehen dazu vor Heimweh“, sagt Lich. Das Beratungsangebot gilt auch für sie. „Existenzgründung fördern wir aber nur bei Leuten, die mindestens ein Jahr in Deutschland gelebt haben.“ Ausgereist sind in diesem Jahr bisher 242 Personen.

In Bayern gibt es derzeit sechs Stellen für Reintegration. Weil die Nachfrage steigt, hat das bayerische Sozialministerium 2016 die Zuschussmittel gegenüber dem Vorjahr verdoppelt, auf 1,5 Millionen Euro. Zu den vier BeraterInnen in München werden sich zwei weitere gesellen. Überall in den bayerischen Unterkünften hängen die blauen Plakate von Coming Home mit dem Angebot in zwölf Sprachen.

„Hier ist das Ticket, da ist die Tür“

Doch nicht in allen deutschen Städten gibt es so qualifizierte Hilfe. Zwar können die Gelder für die Reisekosten und die Starthilfe überall über Sozialverbänden beantragt werden, wie beispielsweise Caritas, Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt oder bei der Ausländerbehörde. Aber die bundesweiten Qualitätsunterschiede in der Beratung seien gravierend. „Oft wissen die Angestellten bei den Behörden wenig, was es an Hilfestellung alles gibt“, so die Erfahrung von Marion Lich. “Mancherorts läuft es eher nach dem Motto: Hier ist das Ticket, da ist die Tür!“

Von den Erfahrungen der Münchner sollen deshalb nun auch andere Bundesländer profitieren. Derzeit berät Marion Lich das LaGeSo in Berlin und das Innenministerium von Niedersachsen bei der Gründung eigener Büros für Reintegration. Stolz sind die Münchner auf ein Projekt in Kabul. Mit Hilfe eines Afghanen, der in Bayern eine Ausbildung zum Orthopädie-Techniker gemacht hatte, konnten dort mehrere Werkstätten gegründet werden, in denen Prothesen für die Opfer von Minen und Anschlägen hergestellt werden.

Die junge Nigerianerin, die diesmal vorsprach, wird mit Hilfe ihrer Beraterin nun einen Businessplan aufstellen. Für ein halbes Jahr kann sie damit Unterstützung bei der Miete und der Betreuung ihrer Kinder beantragen. Vor ihrer Ausreise wird sie noch einen Computerkurs machen, um ihre Buchhaltung besser zu organisieren. In Nigeria wird sie dann von der Frauenhilfsorganisation Solwodi betreut, die gezielt Rückkehrerinnen unterstützt. All dies allein herauszufinden – schier unmöglich.

„Wer nun denkt, der Beratungsaufwand koste zu viel, der irrt“, sagt Marion Lich. „Abschiebungen kommen den Staat deutlich teurer zu stehen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.