Bremer Grüne vor der Urwahl: Lieber voten als streiten

Bremens Grüne wählen ihre Spitzenkandidatin per Urwahl: Damit holen sie ihre verschleppte inhaltliche Festlegung nach und halten Konflikte klein.

Das Gesicht von Karoline Linnert von den Grünen in Bremen

Ohne viel Streit wird kurzum über Bremens Spitzenkandidatinnen abgestimmt. Bisher unangefochten an erster Stelle: Karoline Linnert. Foto: dpa

BREMEN taz | Letztlich ist es kaum mehr als eine Umbenennung: Bislang hatte stets die Landesmitgliederversammlung (LMV), bei der jedes Parteimitglied stimmberechtigt ist, die Spitzenkandidatin für Bremens Grüne festgelegt. Jetzt soll darüber erstmals eine Urwahl entscheiden – bei der auch jedes Parteimitglied eine Stimme hat.

Das neue Format ist kein Aufbruch, sondern eher ein Ausweg: Der Vorschlag des Vorstands, bei der Bürgerschaftswahl 2019 mit – in dieser Reihenfolge – Bürgermeisterin Karoline Linnert, Fraktionschefin Maike Schaefer und Sozialsenatorin Anja Stahmann die Listenplätze eins bis drei zu besetzen, hatte für Kritik gesorgt.

Mitte Juni hatte die LMV dann gefordert, den Urwahlmodus zu prüfen. „Das haben wir machen lassen“, so Vorstandssprecher Ralph Saxe zur taz, juristische Bedenken gab es keine. Jetzt hat der Vorstand das Verfahren eingeleitet. Bis zum 19. August dürfen sich also alle Mitglieder der Bremer Grünen zur Wahl stellen – auch Männer, die sich, wie Dieter „Hucky“ Heck, durchs Frauenstatut der Partei diskriminiert sehen.

Das besagt, dass alle ungeraden Listenplätze für Frauen reserviert sind – sie können sich aber auch auf gerade Plätze bewerben. Von Heck allerdings ist ohnehin nicht zu erwarten, dass er antritt: „Ich bin weit davon entfernt, irgendetwas werden zu wollen“, sagt er der taz. Ein männlicher Bewerber würde vielleicht als Provokation, „aber dann doch vor allem als Lachnummer wahrgenommen werden“.

Linnerts Fallhöhe

Allerdings hofft er, dass mit dem Basisentscheid die Trias auseinanderfliegt. Verlöre Linnert die Urwahl, so das Szenario, ist nicht davon auszugehen, dass die von 2003 bis 2015 unangefochtene Nummer eins der Partei zur Bürgerschaftswahl antritt. Dem Vernehmen nach wird Linnert sich der Urwahl stellen, bestätigt hat sie ihre Kandidatur noch nicht. Öffentlich zugesagt hat dagegen Maike Schaefer, die Chefin der Bürgerschaftsfraktion.

Weil anders als bei Wahlversammlungen die Briefwahl zugelassen ist, erwartet Saxe „eine etwas höhere Beteiligung“ bei der Abstimmung. Andere Effekte verspricht er sich nicht. Manche werden sogar regelrecht vermieden: Während die Bundespartei ihre Urwahlen der Spitzentandems seit der Bundestagswahl 2013 mit Rededuellen landauf, landab als Mobilisierungs-Events inszeniert, gibt es in Bremen nur eine zentrale Veranstaltung.

„Hucky“ Heck tritt nicht an

„Ich bin weit davon entfernt irgendetwas werden zu wollen“

Und während sie in Flächenländern wie Bayern als Instrument der Mitgliederwerbung eingesetzt wird, verhindert das Bremer Timing, dass das Voting zum Anlass für Neueintritte gerät: Urwahlberechtigt ist nur, wer am 22. August seit mindestens vier Wochen Parteimitglied war. Stichtag war Mittwoch, der 26. Juli.

Urwahl um strategische Ausrichtung

Als großen Zugewinn an Demokratie will Saxe die Neuerung nicht verkaufen: „In meinen Augen waren die Listenwahlen in Bremen immer Urwahlen“, sagt er – weil der Grünen-Landesverband kein Delegiertensystem hat. Tatsächlich: Wenn Hannah Arendts Befund zutrifft, nachdem das Politische erst an einem greifbaren öffentlichen Platz denkbar wird, wird man diesen Vorgang, der Diskussion und Entscheidung aufs Sofa der Parteimitglieder verlagert, als Privatisierungsprozess deuten müssen.

Er ersetzt den offenen Schlagabtausch um die bessere Strategie für die Partei, den Mitglieder aber auch die zwei Kandidatinnen bislang ohnehin schon zu vermeiden bemüht waren. „Ich wollte nicht in einer Kampfkandidatur gegen Linnert antreten“, bestätigt Schaefer auf Nachfrage. Jetzt, auf dem Wege der Urwahl, tut sie es doch: „Weil ich von sehr vielen ermutigt worden bin.“ Es sei „gar nicht so, dass ich unbedingt nach vorne will“.

Programmatisch würde Schae­fer gerne Klimaschutz, eine bessere Balance zwischen Wohnraumbedarf und Baumschutz in der wachsenden Stadt und die Sauberkeit der Gewässer in den Fokus rücken. In der kommenden Legislatur laufen die Trinkwasserkonzessionen aus, und „Bremen hat nur in Blumenthal und Vegesack eigene Brunnen“, sagt sie. „Wir müssen die dortige Förderung wenigstens als Trinkwasserschutzgebiet ausweisen.“

Bei der Urwahl drehe es sich weniger um Personen, als um eine strategische Ausrichtung, so Schaefer, die als umweltpolitische Sprecherin der Fraktion nach eigener Einschätzung „für ein Kernthema grüner Politik“ steht. Linnert dagegen steht für Nachhaltigkeit durch Sanierung der Finanzen. Womit sich ein Wahlkampf besser erfolgreich gestalten lässt, darüber sei jetzt zu entscheiden, und „das müssen die Parteimitglieder wissen“, sagt Schaefer.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.