Bremen bundesweit Vorreiter: Tarif für jeden dritten Pfleger

Die Tarifgemeinschaft Pflege Bremen und Ver.di haben den bundesweit ersten trägerübergreifenden Tarifvertrag für die Altenpflege unterschrieben.

Ein Schild auf einer Demosntration mit der Aufschrift "Gute Pflege geht nicht für schlechten Lohn"

Eine Erkenntnis, die sich in Bremen durchgesetzt hat Foto: dpa

BREMEN taz | Ein „Meilenstein in der Pflege“: So nennt die Bremer Tarifgemeinschaft Pflege den gestrigen Abschluss eines Tarifvertrages für die Beschäftigten von Pflegediensten und -heimen in der Freien Wohlfahrtspflege von Bremen und Bremerhaven. In der Tat: Dieser trägerübergreifende Tarifvertrag ist bundesweit der erste seiner Art und durch ihn werden sich die Arbeitsverhältnisse von über 3.000 Pflegenden verbessern, aber ein wirklicher „Meilenstein“ wäre wohl erst ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag (AV) für alle 9.000 Beschäftigten – und der ist nicht in Sicht.

Tarifvertrag für Azubis scheiterte 2015

Das wurde im Dezember 2015 deutlich: Damals hatte die Tarifgemeinschaft ihren abgeschlossenen Tarifvertrag für Pflege-Azubis für allgemeinverbindlich erklären lassen wollen, doch der Tarifausschuss des Landes Bremen lehnte ab. Die sechs Mitglieder des paritätisch mit jeweils drei Arbeitgeber- und drei Arbeitnehmervertretern besetzten Ausschusses konnten sich nicht einigen.

Sie brachten in ihren Beratungen nicht die erforderliche Mehrheit von vier Stimmen zustande – zur großen Freude der Arbeitgeber: „Die Entscheidung ist ein Sieg der wirtschaftlichen Vernunft zum Wohle der Bremer Jugendlichen“, sagte damals Rainer Brüderle, Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (BPA). Denn so hätten „gerade die kleineren Einrichtungen weiterhin die Möglichkeit, Ausbildungsplätze zu schaffen und sich im Wettbewerb zu bewähren“.

Unter Wettbewerb versteht Arnold Knigge, Vorstandssprecher der Tarifgemeinschaft und der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Bremen (LAG), freilich etwas anderes: „Wettbewerb sollte über Qualität und nicht zu Lasten der Arbeitsbedingungen stattfinden“, sagt er. Er will trotz der Niederlage versuchen, auch den am gestrigen Donnerstag unterzeichneten Tarifvertrag Pflege in Bremen (TV ­Pflib) vom Senator für Arbeit für allgemeinverbindlich erklären lassen: „Nachdem wir bei den Azubis so kläglich gescheitert sind, wissen wir allerdings noch nicht, wann das konkret geschehen wird“, sagt Knigge.

Der TV Pflib gilt verbindlich für 16 Pflegeanbieter, zu denen unter anderen Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Diakonie, Deutsches Rotes Kreuz, Paritätischer Wohlfahrtsverband – und als neuestes Mitglied auch die Bremer Heimstiftung gehören: „Die war bis zur Verhandlung über die Allgemeinverbindlichkeit des Azubi-Tarifvertrages noch Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband und ist nach dem Scheitern zu uns gewechselt“, sagt Knigge.

Arnold Knigge, Tarifgemeinschaft

„Wettbewerb sollte über Qualität und nicht zu Lasten der Arbeitsbedingungen stattfinden“

Der Vertrag sieht einheitliche Vergütungen, verbindliche Zeitzuschläge für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit, eine Jahressonderzahlung und eine Urlaubsregelung vor. Er gilt in der stationären Pflege der Tarifgemeinschaft ab 1. Juni und in der ambulanten Pflege ab 1. Oktober. „Mit dem Tarifvertrag verbessern wir die Arbeitsbedingungen vieler Beschäftigter im Pflegebereich. Sie werden zukünftig zum Teil mehrere Hundert Euro mehr verdienen“, sagt Ver.di-Landesbezirksleiter Detlef Ahting.

Rückendeckung aus der Politik

Die Beteiligten haben neben dem TV Pflib eine sogenannte „Sozialpartnerschaftserklärung“ unterzeichnet. Darin haben sie vereinbart, über weitere Verbesserungen wie zusätzliche freie Tage oder Zulagen zu verhandeln. „Das Niveau des TV Pflib soll schrittweise auf das Niveau des Tarifvertrages für die Länder (TV-L) angehoben werden“, heißt es dort. „Zudem wurde ein Tarifvertrag für die Auszubildenden in der Altenpflege verhandelt und zwischenzeitlich zum zweiten Mal abgeschlossen. (…) Den Tarifvertragsparteien ist bewusst, dass der Abschluss des TV Pflib einen Einstieg darstellt, für den ein Übergangszeitraum von zwei Jahren vorgesehen ist. Die marktverändernde Wirkung des Tarifvertrages wird dabei unterstützt von politischen Aussagen der Bremer Sozialsenatorin und der Vertreter der Pflegekassen.“

Der letzte Satz spielt auf die im Herbst von Pflegekassen, Wohlfahrtsverbänden und Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) verabschiedete „Bremer Erklärung“ an. Dort heißt es, die Pflegeberufe könnten aufgewertet werden, wenn ihre Bezahlung nach Tarifverträgen verbessert werde. Für Knigge ist das eine politische Rückendeckung, die er benötigen wird: Denn der TV Pflib ist auch Grundlage für die laufenden Verhandlungen mit Kostenträgern wie den Pflegekassen – und Knigge geht davon aus, dass der Tarifabschluss mit „nicht unbeträchtlichen Kostensteigerungen“ verbunden ist.

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