Bregenzer Festspiele: Mit Bruckner walzt du sie nieder

Karl Böhm war ein berühmter Dirigent und politischer Opportunist. Das beleuchtet großartig „Böhm“, ein Stück für einen Puppenspieler.

Ein junger Mann in weißem Kittel und ein alter Mann im roten Pullover, der eine lebensgroße Puppe ist

Nikolaus Habjan im Kittel des Pflegers, und die Puppe des alten Mannes, der von Karl Böhm besessen ist Foto: Karl Forster/Bregenzer Festspiele

„Bregenz. Warum ausgerechnet Bregenz.“ Allein schon die Zuschauer scheinen für den alten Mann, der sie von der Bühne des Theaters am Kornmarkt in Bregenz gleich zu Beginn so annölt, eine Zumutung zu sein. Wie überhaupt die Gegenwart, die sein Gesicht in Falten des Beleidigtseins zerknautscht hat. Ein äußerst sprechendes Gesicht, so empfindet man. Dabei gehört es einer Puppe, bewegt und mit Stimme versehen von Nikolaus Habjan.

Nikolaus Habjan ist nicht nur Schau- und Puppenspieler, sondern auch der Regisseur des Theaterstücks „Böhm“, das Paulus Hochgatterer für ihn geschrieben hat. Im Mittelpunkt steht ein alter Mann im Rollstuhl, der sich mit seinem Pfleger und dessen Schwester unterhält. Was ihn umtreibt, ist die Erinnerung an den Dirigenten Karl Böhm, an dessen geliebte Musik und an seinen politischen Opportunismus.

Die Premiere war im März in Graz, aber mit gutem Grund war „Böhm“ jetzt von den Bregenzer Festspielen eingeladen. Denn auch in Bregenz hat Karl Böhm viermal mit den Wiener Symphonikern gastiert, zwischen 1948 und 1980. 1948. Da war das Auftrittsverbot knapp vorbei, mit dem die alliierten Besatzungsbehörden in Wien Böhm 1945 wegen seiner großen Nähe zum Regime der Nationalsozialisten belegt hatten. 1980 dirigierte er bei der Eröffnung des Festspielhauses.

Propaganda in eigener Sache

Dort zeigen die Festspiele in diesem Jahr die Oper „Bea­trice Cenci“ von Berthold Goldschmidt, der Ende der 1920er Jahre als musikalischer Berater mit Karl Böhm am Opernhaus Darmstadt zusammengearbeitet hat. Goldschmidt schrieb darüber, wie Alban Berg damals von Böhm diskreditiert wurde: „Die Oper kann man doch nicht machen! Das würde unseren Betrieb über Jahre hinaus lahmlegen. Überhaupt, die ganze Richtung ist doch …“ In den 1950er Jahren hingegen inszenierte sich Böhm als Förderer von Alban Berg.

„Der große österreichische Komponist Alban Berg und der große österreichische Dirigent Karl Böhm – so lief die Propaganda bei den dann einsetzenden Plattenaufnahmen und Aufführungen“, regte sich Goldschmidt auf.

Es führen also viele Verästelungen von Karl Böhm zu den Bregenzer Festspielen, die das Drama „Böhm“ auch zu einem Stück Erinnerungspolitik in eigener Sache machen. Das Musiktheater steht in Bregenz im Vordergrund, vor allem auf der Seebühne, wo dieses Jahr wieder Bizets „Carmen“ gespielt wird, mit den Wiener Symphonikern und von dem Regisseur Kasper Holten mit vielen Effekten (Feuerwerk, Kletterer, Ankunft mit Booten über den See, Tanz im Wasser) liebevoll und unterhaltsam inszeniert.

Klassik populär gegen ihre elitäre Vereinnahmung

Wunderbar gesungen und ein großer Anziehungspunkt, ist „Carmen“ an 29 Abenden auf der großen Bühne zu erleben. So lange zahlt man für die Hotelzimmer Festspielaufschlag, sitzt abends in jedem Bus mit anderen Festspielgästen zusammen und hat noch beim Baden im Bodensee am nächsten Tag im Ohr, wie der Tod Carmen auf einer Spielkarte erscheint.

Die große Seebühne, „Carmen“, das ist die populär gewordene Klassik, Oper als gelungene Muscialkonkurrenz. Das Stück „Böhm“ führt hingegen auch hinein in einen von Standesdünkel, elitärem Abgrenzungswahn und fast schon pathologischen Verehrungs- und Verklärungsbedürfnissen geprägten klassischen Musikbetrieb, in dem Böhm als ein Meister gefeiert wurde.

Paulus Hochgatterer hat kein Enthüllungsstück geschrieben, denn die Geschichte, wie gut Karl Böhm sich ab 1934 an der Dresdner Semperoper und ab 1943 in Wien als Direktor der Staatsoper in das System der Nationalsozialisten integrierte, ist bekannt. Es geht auch nicht um eine bloße Abrechnung mit dem Dirigenten und seiner Musik.

Das Reich der Noten

Im Gegenteil, kurze Zitate aus dessen Operneinspielungen werden als emotionale Kommentare genutzt, in denen Raum für die Trauer und die Tragik der Geschichte ist. Das Stück erlaubt dem Zuschauer, die Sehnsucht danach, die Musik von der Politik frei halten zu können, zu teilen, und erzählt zugleich von den fatalen Folgen des Versuchs, das Reich der Noten über das der Menschen zu stellen.

Böhm, wie er von Hochgatterer und Habjan dargestellt wird, war ein Zyniker. Man erlebt ihn bei Proben, wie er die Musiker runterputzt, gerne auch auf ihre Herkunft anspielt. Die Autorität des Dirigenten gilt ihm als unantastbar, er ist damit auch einer der Prototypen des gottgleichen Regisseurs, der Schauspieler und Musiker nur als Ausführende sieht. Dagegen hält Habjan eine Probenszene des Dirigenten Fritz Busch, der von den Nazis aus Dresden vertrieben wurde, damit Böhm kommen konnte.

Böhm ist einer der Prototypen des gottgleichen Regisseurs, der Schauspieler und Musiker nur als Ausführende sieht

Fritz Busch versucht seine Sänger zu Mitdenkenden und Mitfühlenden zu machen. Wie diese Probe unterbrochen wird von Gaukunstwart Alexis Posse, den Nikolaus Habjan ohne Puppe spielt, wie er voll Häme den Machtwechsel ankündigt, gehört zu den Höhepunkten des Stücks.

1938, nach dem Anschluss Österreichs, dirigierte Karl Böhm das „Erste festliche Konzert im neuen deutschen Reich“. Habjan erzählt davon in einem Gespräch zwischen Böhm und dem Konzertmeister Schneiderhahn, der noch etwas unentschlossen ist, ob er sich den Nazis anschließen soll, und nun bei Böhm Rat sucht, der das Konzert mit dem Horst-Wessel-Lied beginnen ließ. Und dann darüber erstaunt ist, wie sehr jener Böhm, der sich der nationalsozialistischen Ideologie doch gerade so anzuschmiegen schien, mit Verachtung über diese Nazis redet. „Deutsche Arbeitsfront, lauter einfache und willige Leute im Saal, alle so … bereit. Kraft durch Freude eben. Die Tannhäuser-Ouvertüre, damit packst du sie, und dann die Fünfte Bruckner, damit walzt du sie nieder. Einfacher geht es nicht.“

„Wenn das Politische auf Sie zukommt, schauen Sie auf die Noten“, rät Böhm am Ende dem Konzertmeister Schneiderhahn. (Fast wie ein Echo davon klingt ein Satz, der mir aus meiner Reiselektüre, einem Roman von Robert Seethaler, entgegenpurzelt: „Im Grunde genommen schert sich nämlich kein Mensch um das Politische, wenn nur das Musikalische stimmt.“ Ist das jetzt Zufall, oder doch mehr eine von Österreichs Autoren vielfach beobachtete Eigenschaft ihres an Festspielen reichen Landes?)

Überheblichkeit, in großem Maße, das ist Böhms Defekt in diesem Stück. Es schmeichelt ihm, auf einer von Hitler geführten Liste der „gottbegnadeten“ Künstler und Dirigenten zu stehen. Wie Habjan davon erzählt, ist große Komödie und Tragödie zugleich.

Solo eines Spielers

Dabei ist die Inszenierung doch eigentlich ein Solo von Habjan mit mehreren Puppen. Er hat die Puppen entworfen, er führt ihre Bewegungen, er verleiht ihnen Stimmen. Der Regisseur spielt und bestimmt jede Rolle selbst, hat also durchaus ein gottähnliches Verhältnis zu ihnen.

Manchmal sieht man ja, wie er sie von der Bühne räumt und in einer Schublade versenkt. Seine Puppen lässt er das System eines Kunstbetriebs, der dem Glauben an führungsstarke Genies verfallen ist, karikieren und parodieren und hat sich in ihnen doch Mitspieler geschaffen, die er genau so führen kann. Das hat etwas Ambivalentes, die Gratwanderung könnte auch schiefgehen. Dass sie es nicht tut, liegt vielleicht auch daran, dass sein System immer transparent gehalten wird.

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